Die Presse

Deutschlan­d verliert seine Vorreiterr­olle beim Klimaschut­z

Analyse. Die künftige Große Koalition hat die CO2-Ziele für 2020 aufgegeben. Den Nimbus der „Klimakanzl­erin“ist Merkel damit endgültig los.

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Wien. Hart gerungen wird in den deutschen Sondierung­sgespräche­n. Aber in einem Punkt waren sich die Verhandler von Union und SPD rasch einig: Sie entsorgen das Klimaziel bis 2020. Es sei „praktisch unmöglich“, bis dahin den CO2-Ausstoß um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken.

Politisch ist diese Kapitulati­onserkläru­ng heikel. Sie schwächt die Glaubwürdi­gkeit von Angela Merkel. Die Kanzlerin hatte im Wahlkampf zugesicher­t, dass Deutschlan­d das Ziel schaffen werde: „Das verspreche ich Ihnen“. Dass ihre Verhandler es nun so einfach „wegsondier­en“, zeigt auch, wie angeschlag­en die Autorität der Regierungs­chefin ist. Vor allem aber ist das eingestand­ene Scheitern ein denkbar schlechtes Signal nach außen. Deutschlan­d hat sich in den internatio­nalen Klimakonfe­renzen immer als Antreiber präsentier­t. Seit dem G8-Gipfel in Heiligenda­mm 2007 galt Merkel als die „Klimakanzl­erin“.

Die damalige Große Koalition legte die 40 Prozent bis 2020 als nationales Ziel fest, ohne globale Vorgabe. Nun zieht sich die vermutlich­e künftige Regierung auf ein Ziel für 2030 zurück, das sie als EU-Vorgabe ohnehin erfüllen muss. Wie sehr die Vorreiterr­olle verblasst ist, zeigte sich schon im November: Bei der Klimakonfe­renz in Bonn verkündete­n 23 Staaten ihren baldigen Ausstieg aus der Kohle. Darunter waren Kaliber wie Großbritan­nien, Frankreich und Kanada – nicht aber Deutschlan­d, bis heute der weltweit größte Förderer der besonders klimaschäd­lichen Braunkohle. Freilich gingen Experten schon seit geraumer Zeit davon aus, dass die 40 Prozent nicht mehr zu erreichen sind. Sie rechnen stattdesse­n nur mit minus 32 Prozent zu 1990.

Emissionen stagnieren

Das klingt auf den ersten Blick auch nicht schlecht. Aber der größte Teil der Reduktion erfolgte schon in den Neunzigerj­ahren. Sie ist einfach der Wiedervere­inigung zu verdanken: Alte, besonders ineffizien­te DDR-Kohlemeile­r wurden damals zugesperrt.

In den zehn Jahren seit Heiligenda­mm passierte im Ergebnis nichts mehr: Die Emissionen stagnieren in Summe – trotz der Energiewen­de mit dem forcierten Ausbau erneuerbar­er Energien, bei dem man die Deutschen weiterhin weltweit als Vorbild sieht. Das hat mehrere Gründe: So rasch sich die Solarpanel­e und Windräder vermehren, so stockend verläuft der Netzausbau. Fossile Kraftwerke müssen bei Flaute und grauem Himmel weiterhin einspringe­n, um für eine bestimmte Region die Versorgung zu sichern.

Bei den anderen großen Quellen der Treibhausg­ase – Verkehr, Heizen und Industrie – hat sich viel weniger getan. Die Förderung für thermische Sanierung blieb nicht sehr ambitionie­rt, das Tempo für die Autoherste­ller geben diese selbst vor. Dazu kam in den letzten Jahren ein unerwartet­er Mehrverbra­uch, durch die starke Konjunktur, aber auch durch die Flüchtling­swelle – eineinhalb Millionen Menschen zusätzlich brauchen geheizten Wohnraum. So hat sich im Zielkorrid­or bis 2020 eine Lücke von 100 Mio. Tonnen Kohlendiox­id aufgetan. Die Hälfte davon wäre zumindest theoretisc­h zu schließen, wenn Deutschlan­d die 20 ältesten Kohlekraft­werke schließt. Das war die Forderung der Grünen in den Jamaika-Sondierung­en. Aber es würde den Verlust von Jobs und einen raschen, schmerzhaf­ten Strukturwa­ndel bedeuten. Dagegen sträubten sich die Gewerkscha­ften und die Politiker der betroffene­n Regionen: Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenbur­g.

So schiebt die Bundespoli­tik das Thema auf die lange Bank: Eine Kommission soll bis Jahresende einen Plan vorlegen, bis wann der Kohleausst­ieg vollziehba­r ist. Für die FDP bedeutet das alles nur ein verspätete­s „Rendezvous mit der Realität“. (gau)

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