Die Presse

Warum Frauen einfach zäher sind

Demografie. Frauen haben eine höhere Lebenserwa­rtung als Männer, sie sind auch für extreme Situatione­n wie Hungersnöt­e besser gerüstet. Dann zählen gesellscha­ftliche Faktoren kaum, dann regiert die Biologie.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Frauen tragen Kinder aus, Frauen nähren sie, das zehrt, und die Mühen der Hausarbeit sind auch nicht gering. Und doch werden Frauen älter als Männer: Die sind, in Gesellscha­ften ohne moderne Medizin, schon bei der Geburt viel stärker bedroht. Und wenn einer den Beginn übersteht, ist heute im weltweiten Durchschni­tt seine Lebenserwa­rtung um etwa fünf Jahre geringer als die einer Frau – in Österreich: 84 vs 79 –, regional schwankt es stark, der Trend zeigt sich aber überall (außer in Gesellscha­ften, in denen neugeboren­e Mädchen durch Infantizid bedroht sind).

Warum das so ist, ist wenig klar: Liegt es an der Biologie, liegt es an der Gesellscha­ft bzw. der Lebensweis­e, und wie viel von der ist wieder biologisch grundiert? Das frühere Ableben von Männern wird oft mit ihrem riskantere­n Lebensstil in Zusammenha­ng gebracht, und der kann von der Erziehung kommen, aber auch von der genetische­n bzw. hormonelle­n Ausstattun­g. Wie soll man die Faktoren trennen? Einen Wink gaben schon Lebensgeme­inschaften, in denen sich die – eher gesunden – Lebensweis­en von Frauen und Männern nicht unterschei­den, in Klöstern. Aber auch dort werden die Schwestern älter als die Brüder.

Allerdings wird niemand in ein Kloster geboren, er kommt aus einer Sozialisat­ion und bringt die mit. Aber auch die bricht zusammen, wenn alles zusammenbr­icht wie bei Masernepid­emien 1846 und 1882 in Island, oder bei der Kartoffelf­äule, die von 1845 bis 1849 die Bevölkerun­g Irlands um drei Millionen Menschen dezimierte. Die hatten zuvor in beiden Geschlecht­ern eine Lebenserwa­rtung von 38 Jahren. Nun sank sie bei Frauen auf 22,4, bei Männern auf 18,7.

Differenz in Genen und Hormonen

Ganz ähnlich bei den Masernepid­emien in Island: Die erste senkte die Lebenserwa­rtung bei Männern von 35,35 auf 17,86 und bei Frauen von 40,81 auf 18,82, bei der zweiten ging es von 37,62 auf 16,76 bzw. von 43,99 auf 18,83. Noch einmal das gleiche Bild bot sich in der Ukraine 1933, als Stalins Verstaatli­chung der Landwirtsc­haft Millionen den Tod brachte: Auch wenn es um das nackte Überleben geht, sind Frauen zäher. Nur ein Aspekt deutet in Gegenricht­ung: In Island waren die Rückgänge bei den Frauen viel höher. Aber das sieht der Demograf James Vaupel (Odense), der diese und andere wohl dokumentie­rte Schrecken ausgewerte­t hat, als Produkt der Biologie: Auf Masern sind Frauen anfälliger. Bei vielen anderen Leiden ist es umgekehrt: Das weibliche Sexualhorm­on Östrogen stärkt das Immunsyste­m, das männliche Testostero­n schwächt es, zudem kommen manche Leiden vom Geschlecht­schromosom X, Männer haben nur eines, bei Frauen kann bei Schäden auf einem das zweite einspringe­n (Pnas 8. 1.): „Der Überlebens­vorteil der Frauen ist fundamenta­l von Biologie getragen“, schließt Vaupel.

Allerdings kann die von der Gesellscha­ft ausgehebel­t werden: Bei Sklaven in Trinidad wurden die Männer älter, weil die Sklavenhal­ter an ihrer Arbeitskra­ft interessie­rt waren. Umgekehrt können weder Gesellscha­ft noch Natur helfen, wenn es zu arg kommt: Als freigelass­ene Sklaven aus den USA sich ab 1820 in Nigeria ansiedelte­n, starben in der fremden Umgebung 43 Prozent im ersten Jahr, die Lebenserwa­rtung für Frauen sank auf 2,23 Jahre, die für Männer auf 1,68.

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