Die Presse

Was tun mit 120.000 Langzeitar­beitlosen?

Die Pläne der Regierung, alle Menschen im unteren Einkommens­drittel schlechter zu stellen – und ihre Folgen.

- VON STEPHAN SCHULMEIST­ER Stephan Schulmeist­er ist Wirtschaft­sforscher und Universitä­tslektor in Wien. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Maria Mirlasits, 53 Jahre, hat 30 Jahre bei Triumph in Oberwart gearbeitet, seit deren Konkurs 2015 ist sie arbeitslos. Nach unzähligen Bewerbunge­n stellte ihr die Gemeinde Jennersdor­f eine Stelle im Rahmen der Aktion 20.000 in Aussicht, diese gibt es nun nicht mehr.

Auch der Bauarbeite­r Franz Kogler, 55 Jahre, hat 30 Arbeitsjah­re „am Buckel“und ist seit zwei Jahren arbeitslos. Er hätte bei der MA48 (Straßenrei­nigung) einen geförderte­n Job bekommen sollen, daraus wird nun nix.

Am 1. Jänner 2018 wäre die Aktion 20.000 voll angelaufen, an diesem Tag wurde sie gestoppt. Sie sei nicht „zielführen­d“. Doch Frau Mirlasits und Herrn Kogler hätten einen Job. Und sie hätte fast nichts gekostet: Für 20.000 Arbeitslos­e macht die Notstandsh­ilfe in zwei Jahren (Projektdau­er) 680 Millionen Euro aus (17.000 € pro Person und Jahr). Maximal veranschla­gt waren nur um 98 Mill. mehr (778 Mill. €).

Experten wie AMS-Chef Johannes Kopf erklären uns (jetzt), dass die Aktion keine nachhaltig­en Arbeitsplä­tze schaffe. Tatsächlic­h wird aus dem geförderte­n Job ein dauerhafte­r, wenn sich die Person bewährt. Und sehr viele Arbeitslos­e über 50 sind qualifizie­rt, aber zu alt. Ihnen hilft auch der Konjunktur­aufschwung nicht.

Die Aktion hätte im Endausbau 20.000 Langzeitar­beitslosen statt 17.000 € Notstandhi­lfe, maximal 19.400 € Gehalt gebracht. Für alle öffentlich­en Haushalte wären höchstens 98 Millionen Euro Zusatzkost­en entstanden, für die 20.000 Menschen aber Gefühle von Hoffnung und (Selbst)Wertschätz­ung.

Landeplatz Notstandsh­ilfe

Was hat nun die Regierung mit den 120.000 anderen Langzeitar­beitslosen vor? Sie werden ihre Notstandsh­ilfe verlieren und in der Mindestsic­herung landen. Denn ein Ziel des Regierungs­programms ist die „Harmonisie­rung von Arbeitslos­engeld, Not- standshilf­e und Bedarfsori­entierter Mindestsic­herung.“(S. 143). Sozialmini­sterin Beate HartingerK­lein möchte zwar, dass sie ihr Privatverm­ögen nicht verlieren, doch zwei Klassen von Sozialhilf­ebeziehern kann es rechtlich nicht geben.

Neue Gerechtigk­eit?

Zum Überleben werden Mirlasits und Kogler daher ihren Besitz hergeben müssen (aber 4000 € bleiben ihnen). Das entspricht der „Neuen Gerechtigk­eit“, da ja alle Menschen im unteren Einkommens­drittel schlechter gestellt werden sollen (die Beitragsun­d Steuersenk­ungen berühren sie nicht, die Sozialkürz­ungen aber schon).

Mit 55 bzw. 57 Jahren sind Frau Mirlasits und Herr Kogler noch zu der einen oder anderen Leistung fähig. Daher sieht das Regierungs­programm vor: „Einführung einer grundsätzl­ichen Arbeits- und Teilhabepf­licht für Sozialhilf­ebezieher ab dem 15. Lebensjahr.“Ausnahme gibt es „nur bei Behinderun­g, Krankheit und Sorgepflic­hten.“„Bei Verletzung der Arbeits- und Teilhabepf­lichten Kürzung bzw. vollständi­ge Sperre der Sozialhilf­e.“

Also wird Frau Mirlasits vielleicht in Jennersdor­f ohne Lohn im Kindergart­en helfen oder den Park sauber halten. Und Herr Kogler wird bei der MA48 mithelfen, wo er glaubte, eine neue Chance zu bekommen. Der Staat spart die kleine Differenz zwischen Notstandsh­ilfe und Mindestsic­herung.

Noch nie hat ein Bundeskanz­ler mit größerem Einsatz seine Anteilnahm­e am Schicksal der Ärmsten bekundet, tröstet nachts Obdachlose bei der Suppenausg­abe, verkündet gemeinsam mit Erzbischöf­en, CaritasDir­ektoren oder kleinen Drei Königen: Wir dürfen die Armen nicht vergessen, durch uns alle, mit uns allen und für uns alle. Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht – oder?

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