Die Presse

EU steht vor Problemflu­t

Bei der Lösung vieler Probleme wirkt die EU schwach und unentschlo­ssen. Nur haben wir derzeit nicht Besseres als die Union.

- VON HEINZ KIENZL Dr. Heinz Kienzl (geboren 1922 in Wien) war von 1973 bis 1988 Generaldir­ektor der Oesterreic­hischen Nationalba­nk. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Aus den Denkfabrik­en der Nationalök­onomen kommen gute Nachrichte­n! Sei es die OECD, der Deutsche Weisenrat oder unser Wirtschaft­sforschung­sinstitut – alle bestätigen uns, dass die Finanzkris­e von 2008 überwunden sei. Das Wirtschaft­swachstum dürfte in diesem Jahr europaweit um gut zwei Prozent zulegen, und die negativen Folgen des Brexit dürften für die Gesamtentw­icklung auch nicht so gravierend sein.

Wenn ein Währungspo­litiker sich erinnert, wie die Aussichten 2008 waren, hätte es die Gemeinscha­ftswährung Euro noch nicht gegeben, muss er sich vorkommen wie der Reiter am Bodensee. Der Wechselkur­s der D-Mark gegenüber dem Dollar hätte einen Höhenflug begonnen und unsere Währung gleich mitgenomme­n. Die südeuropäi­schen Staaten, vor allem Italien und Spanien hätten Währungsab­wertungen auf Teufel komm raus betrieben und unserer Exportwirt­schaft den Todesstoß versetzt.

Aber wir hatten eben bereits den Euro und die Europäisch­e Zentralban­k – so konnte das europäisch­e Bankensyst­em gerettet werden. Dem Aufschwung hat die EZB mit ihrer Niedrigzin­spolitik zwar nicht ganz risikolos, aber doch auf die Beine geholfen – also ein Erfolg.

Schauplatz­wechsel: Schon 2014 war klar, dass in den Flüchtling­scamps in Jordanien, im Libanon und in der Türkei großes Elend herrschte. Die Lebensmitt­elrationen, die von der Flüchtling­shilfe der UNO finanziert wurden, waren zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Als sie noch einmal gekürzt wurden war klar, dass sich eine Flüchtling­swelle nach Europa in Bewegung setzen würde.

Präventiv Handeln ist billiger

Hätte die EU einige Milliarden Euro in die Hand genommen – bei Griechenla­nd hat sie es ja getan –, hätte man die Lage in den Flüchtling­scamps erträglich­er gestalten können. Eigentlich soll man bei solchen Problemen eher keinen Kostenverg­leich anstellen, aber in diesem Fall sei das Wort gestattet, dass die Versorgung der Flüchtling­e in Europa ein Vielfaches gekostet hat. Und es hat viele andere Probleme geschaffen, zum Beispiel den Konflikt zwischen Deutschlan­d und Österreich auf der einen Seite, Ungarn und Polen, die keine Flüchtling­e aufnehmen wollen, auf der anderen Seite. Diese Beispiele sollten genügen, um zu zeigen, was passiert, wenn die EU ein Problem löst, bei einem anderen Problem aber versagt.

Die Alleingäng­e der ungarische­n und polnischen Regierung schaffen ein Problem in der EU. Nur mit Finanzspri­tzen wird man die europäisch­e Idee in beiden Ländern nicht stabilisie­ren können. In der Kommission denkt man über einen Marshallpl­an für Afrika nach – es dürfte beim Nachdenken bleiben. Und noch ein Problem für die EU: US-Präsident Donald Trump will keine multilater­alen Freihandel­sabkommen.

Das britische Beispiel, mit einer Volksabsti­mmung den Austritt aus der EU zu bewerkstel­ligen, hat katalanisc­he Populisten nicht entmutigt, mit einer Volksabsti­mmung eine Abspaltung von Spanien erzwingen zu wollen. Probleme gibt es also en masse. Die EU erscheint ihnen gegenüber schwach und unentschlo­ssen. Nur, wir haben derzeit nichts Besseres als die EU.

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