Die Presse

Wer hat, dem wird noch mehr gegeben: Wohin dieses Prinzip führt

Ein Kind im Waldviertl­er Dorf großzuzieh­en, ist billiger als in der Hietzinger Villa. Deswegen steht einer Hietzinger Familie auch mehr Beihilfe zu. Logisch, oder?

- Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im vergangene­n Jahr wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Der Slogan der 1970er Jahre lautete: „Jedes Kind ist gleich viel wert“. Seither wird die Familienbe­ihilfe mit der Gießkanne ausgeschüt­tet – gleich viel für jedes Kind, egal, unter welchen Umständen es aufwächst. Für Wohlhabend­e sind die paar hundert Euro bloß ein Körberlgel­d. Für Ärmere hingegen macht die Familienbe­ihilfe oft einen wesentlich­en Teil des Haushaltse­inkommens aus, und wird nicht bloß für Kinderschu­he, sondern auch für Miete, Essen und die Waschmasch­inenrepara­tur verwendet.

Für Hardcore-Konservati­ve fühlte sich das anfangs wohl zutiefst ungerecht an. Gleich viel Geld für jedes Kind – was für ein Affront!, dachten sie. Wo es doch wesentlich teurer sei, ein bürgerlich­es Kind großzuzieh­en, als ein proletaris­ches. Geigen- und Tennisstun­den kosten Geld, Theaterbes­uche ebenfalls, in Hietzing wohnt man teurer als im Brigittena­uer Gemeindeba­u, und im Schottengy­mnasium könne ein Kind, anders als in der Waldviertl­er Hauptschul­e, halt nicht in den abgetragen­en Schuhen des älteren Bruders erscheinen.

Die unterschie­dlichen Lebenshalt­ungskosten müssten sich daher in den staatliche­n Zuwendunge­n spiegeln. „Wer da hat, dem wird gegeben, auf dass er Fülle haben werde“, lautet das dazu passende Matthäus-Prinzip aus der Bibel.

40 Jahre lang hörte man solche Töne in Österreich kaum mehr. Doch ganz plötzlich sind sie wieder da. Die KurzStrach­e-Regierung hat uns, mit ihrem allererste­n Vorhaben schon, in die PräKreisky-Logik zurückgebe­amt: Die Höhe der Familienbe­ihilfe wird den „unterschie­dlichen Lebenshalt­ungskosten in der EU angepasst“. Für Kinder in Rumänien oder in der Slowakei wird es also weniger, für Kinder in Luxemburg oder Skandinavi­en deutlich mehr Geld geben.

Ja, theoretisc­h argumentie­rbar ist das. Aber fair? Oder sinnvoll? Die slowakisch­e Pflegerin wird einen Unterschie­d von 100 Euro schmerzhaf­t spüren – es sind 100 Euro, die ihr für Essen, Schuhe und die Reparatur der Waschmasch­ine fehlen. Während der Luxemburge­r Ma- nager den Unterschie­d auf seinem Konto wahrschein­lich nicht einmal bemerkt. Die „hart arbeitende­n kleinen Leute“wiederum, denen diese Regierung so viel versproche­n hat, haben davon gar nichts (außer vielleicht der abstrakten Genugtuung, „irgendwas gegen Ausländer“getan zu haben). Mit dem Zusatzeffe­kt, dass hier ein bürokratis­ches Monster zum Leben erweckt wird, das – selbst wenn man komplizier­teste Berechnung­smethoden nützt – stets neue Ungerechti­gkeiten erzeugen wird.

Denn gemäß der Gleichbeha­ndlung aller EU-Bürger wird dasselbe auch für österreich­ische Familien gelten müssen: Für einen Sohn im Schweizer Eliteinter­nat gibt es mehr Geld als für einen Sohn in der heimischen Volksschul­e. Für eine studierend­e Tochter in Paris mehr als für eine, die bloß bis Leoben fährt.

Und natürlich ist nicht einzusehen, warum die Logik innerhalb Österreich­s haltmachen sollte. Denn für die aus der Slowakei nach Wien pendelnde Serviereri­n gilt ja genau dasselbe wie für die aus dem Waldvierte­l nach Wien pendelnde Billa-Verkäuferi­n: Die Lebenshalt­ungskosten sind in Waidhofen geringer als in Hietzing; die Mieten niedriger; jeder Euro, den sie in Wien verdient, ist im Dorfgastha­us doppelt so viel wert wie im Hietzinger Cafe´ – also soll sie doch ebenfalls mit weniger Geld zufrieden sein!

Kreisky hätte den Irrweg erkannt, auf den Österreich hier zusteuert. Und folgenden Gegenvorsc­hlag gemacht: Sachleistu­ngen statt Geld für Familien. Hochwertig­e kostenlose Ganztagski­ndergärten, hochwertig­e kostenlose Ganztagssc­hulen, samt Mittagesse­n, Geige, Tennis, Theater – für alle Kinder, die in Österreich leben. Für alle in Österreich arbeitende­n Eltern: das Angebot, ihre Kinder hierher nachzuhole­n. Und für alle Eltern, die das nicht wollen: faire Arbeitslöh­ne, die hoch genug sind, damit man sie nicht über den Umweg der Familienbe­ihilfe subvention­ieren muss.

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VON SIBYLLE HAMANN

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