Wer hat, dem wird noch mehr gegeben: Wohin dieses Prinzip führt
Ein Kind im Waldviertler Dorf großzuziehen, ist billiger als in der Hietzinger Villa. Deswegen steht einer Hietzinger Familie auch mehr Beihilfe zu. Logisch, oder?
Der Slogan der 1970er Jahre lautete: „Jedes Kind ist gleich viel wert“. Seither wird die Familienbeihilfe mit der Gießkanne ausgeschüttet – gleich viel für jedes Kind, egal, unter welchen Umständen es aufwächst. Für Wohlhabende sind die paar hundert Euro bloß ein Körberlgeld. Für Ärmere hingegen macht die Familienbeihilfe oft einen wesentlichen Teil des Haushaltseinkommens aus, und wird nicht bloß für Kinderschuhe, sondern auch für Miete, Essen und die Waschmaschinenreparatur verwendet.
Für Hardcore-Konservative fühlte sich das anfangs wohl zutiefst ungerecht an. Gleich viel Geld für jedes Kind – was für ein Affront!, dachten sie. Wo es doch wesentlich teurer sei, ein bürgerliches Kind großzuziehen, als ein proletarisches. Geigen- und Tennisstunden kosten Geld, Theaterbesuche ebenfalls, in Hietzing wohnt man teurer als im Brigittenauer Gemeindebau, und im Schottengymnasium könne ein Kind, anders als in der Waldviertler Hauptschule, halt nicht in den abgetragenen Schuhen des älteren Bruders erscheinen.
Die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten müssten sich daher in den staatlichen Zuwendungen spiegeln. „Wer da hat, dem wird gegeben, auf dass er Fülle haben werde“, lautet das dazu passende Matthäus-Prinzip aus der Bibel.
40 Jahre lang hörte man solche Töne in Österreich kaum mehr. Doch ganz plötzlich sind sie wieder da. Die KurzStrache-Regierung hat uns, mit ihrem allerersten Vorhaben schon, in die PräKreisky-Logik zurückgebeamt: Die Höhe der Familienbeihilfe wird den „unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in der EU angepasst“. Für Kinder in Rumänien oder in der Slowakei wird es also weniger, für Kinder in Luxemburg oder Skandinavien deutlich mehr Geld geben.
Ja, theoretisch argumentierbar ist das. Aber fair? Oder sinnvoll? Die slowakische Pflegerin wird einen Unterschied von 100 Euro schmerzhaft spüren – es sind 100 Euro, die ihr für Essen, Schuhe und die Reparatur der Waschmaschine fehlen. Während der Luxemburger Ma- nager den Unterschied auf seinem Konto wahrscheinlich nicht einmal bemerkt. Die „hart arbeitenden kleinen Leute“wiederum, denen diese Regierung so viel versprochen hat, haben davon gar nichts (außer vielleicht der abstrakten Genugtuung, „irgendwas gegen Ausländer“getan zu haben). Mit dem Zusatzeffekt, dass hier ein bürokratisches Monster zum Leben erweckt wird, das – selbst wenn man komplizierteste Berechnungsmethoden nützt – stets neue Ungerechtigkeiten erzeugen wird.
Denn gemäß der Gleichbehandlung aller EU-Bürger wird dasselbe auch für österreichische Familien gelten müssen: Für einen Sohn im Schweizer Eliteinternat gibt es mehr Geld als für einen Sohn in der heimischen Volksschule. Für eine studierende Tochter in Paris mehr als für eine, die bloß bis Leoben fährt.
Und natürlich ist nicht einzusehen, warum die Logik innerhalb Österreichs haltmachen sollte. Denn für die aus der Slowakei nach Wien pendelnde Serviererin gilt ja genau dasselbe wie für die aus dem Waldviertel nach Wien pendelnde Billa-Verkäuferin: Die Lebenshaltungskosten sind in Waidhofen geringer als in Hietzing; die Mieten niedriger; jeder Euro, den sie in Wien verdient, ist im Dorfgasthaus doppelt so viel wert wie im Hietzinger Cafe´ – also soll sie doch ebenfalls mit weniger Geld zufrieden sein!
Kreisky hätte den Irrweg erkannt, auf den Österreich hier zusteuert. Und folgenden Gegenvorschlag gemacht: Sachleistungen statt Geld für Familien. Hochwertige kostenlose Ganztagskindergärten, hochwertige kostenlose Ganztagsschulen, samt Mittagessen, Geige, Tennis, Theater – für alle Kinder, die in Österreich leben. Für alle in Österreich arbeitenden Eltern: das Angebot, ihre Kinder hierher nachzuholen. Und für alle Eltern, die das nicht wollen: faire Arbeitslöhne, die hoch genug sind, damit man sie nicht über den Umweg der Familienbeihilfe subventionieren muss.