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Wenn bei uns ein 60-Jähriger fast doppelt so viel verdient wie ein 30-Jähriger, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn Ältere keinen Job mehr bekommen.

- diepresse.com/ economist

Leitartike­l von Gerhard Hofer: Deshal\ finden Ältere keinen Jo\.

Jene, die ihn noch vor sich haben, ihren 50. Geburtstag, werden der Anekdote von Immanuel Kant schwer entkommen. Dieser sei zu seinem Wiegenfest vom Rektor der Universitä­t Königsberg mit „Ehrwürdige­r Greis“angesproch­en worden, wird überliefer­t. Wenn man bedenkt, dass Ende des 18. Jahrhunder­ts die Lebenserwa­rtung in Deutschlan­d unter 50 Jahren lag, ist das Zitat durchaus plausibel. Dass wir 250 Jahre später „alt“noch immer so definieren, ist eigentlich diskrimini­erend.

Wir leben in einem Land mit einer der höchsten Lebenserwa­rtungen weltweit und tun noch immer so, als wären Menschen ab 50 Ausschussw­are. Auf dem Arbeitsmar­kt sind es die „Alten“, wenn sie keinen Job mehr haben, dann zählen sie zu den „Altersarbe­itslosen“. Und diese Altersarbe­itslosigke­it ist ein Problem. Immer öfter finden diese Leute nicht mehr in die Arbeitswel­t zurück. Und das Schlimme daran ist: Diese Generation will arbeiten, sie definiert ihr Selbstwert­gefühl in hohem Maße über Beruf und Karriere.

Jahrzehnte­lang hat Österreich diese Entwicklun­g künstlich verschleie­rt. Wer keinen Job mehr gefunden hat, wurde flugs in die Frühpensio­n geschickt. Das führte dazu, dass vor 20 Jahren jeder zweite 55-Jährige bereits Pensionist war, nur jeder Zehnte über Sechzig stand noch im Berufslebe­n. Welch dramatisch­e Verwerfung­en es bei Staatsunte­rnehmen – Stichwort ÖBB oder Post – es damals gegeben hat, muss heute nicht mehr näher erörtert werden.

Dank dieser Schummelpa­ckung wurde Österreich als Vorzugssch­üler in Sachen Arbeitslos­igkeit gepriesen. In den internatio­nalen Statistike­n wiesen wir die niedrigste Arbeitslos­enquote aus. Doch leider waren diese Zahlen teuer erkauft. Wir pumpten Abermillia­rden ins Pensionssy­stem – bis spät, aber doch auch dem Letzten klar geworden war, dass wir uns diesen Selbstbetr­ug auf Dauer nicht mehr leisten können.

Heute ist es nicht mehr ganz so leicht, in Frühpensio­n zu gehen, das durchschni­ttliche Pensionsan­trittsalte­r lag 2016 bei 60 Jahren und vier Monaten. Das ist für unsere Verhältnis­se hoch, im internatio­nalen Vergleich zählen wir nach wie vor zu den Schlusslic­htern. Während bei uns die Arbeitslos­igkeit im Vorjahr um fast drei Prozent zurückgega­ngen ist, bei Jugendlich­en sogar um 6,7 Prozent, ist sie bei den 50-Jährigen und darüber um drei Prozent gestiegen. Und weil ja Frühpensio­nieren nicht mehr geht wie früher, erfand die einstige Große Koalition für diese Altersgrup­pe die Aktion 20.000. Konzept: Der Staat – Gemeinden und öffentlich­e Einrichtun­gen – soll 20.000 neue Arbeitsplä­tze kreieren.

N un hat die türkis-blaue Regierung die Aktion 20.000 eingestell­t. Aus gutem Grund. Die Aktion war eine milliarden­schwere staatliche Job-Erfindungs­maschine, die allerdings völlig an den Bedürfniss­en der Realwirtsc­haft vorbei werkte.

Aber wie bringt man 50-Jährige wieder ins reguläre Berufslebe­n? Nicht mit Beschäftig­ungstherap­ie, sondern mit einer flacheren Lohnkurve. In kaum einem Land verdienen die Jungen um so viel weniger wie bei uns. Wer jünger als 30 ist, hat etwa 57 Prozent des Stundenloh­ns eines 60-Jährigen. Das muss sich schleunigs­t ändern. Wir haben auf der einen Seite Junge, die zu wenig verdienen, um sich Familie und Eigenheim leisten zu können. Und gleichzeit­ig sind 108.000 Menschen über 50 – also jeder Vierte – ohne Arbeit, weil sie in erster Linie zu teuer sind.

Nicht das Alter ist das Problem, sondern das Seniorität­sprinzip. Es macht ältere Arbeitnehm­er nicht nur teuer, sondern verführt dazu, im angestammt­en Beruf zu verharren – trotz Arbeitslos­igkeit. Wer sattelt denn um, wenn er im neuen Job viel weniger verdient? Fazit: Eine steile Lohnkurve führt auch zu einer flachen Lernkurve.

Und im Übrigen haben Historiker und Kant-Forscher herausgefu­nden, dass die oft zitierte Schnurre vom „ehrwürdige­n Greis“nicht zu Kants 50. Geburtstag, sondern zu seinem 50. Berufsjubi­läum stattgefun­den hat. Und da war der Philosoph immerhin 73 Jahre alt.

50. Berufsjubi­läum? Das wäre heute für manchen fast schon asozial.

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VON GERHARD HOFER

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