Die Presse

Liebe Regierung, wir bitten um realistisc­he Energiezie­le

Gastkommen­tar. Glaubt heute in Österreich wirklich noch jemand, dass bis 2030 nur noch Ökostrom aus den Steckdosen kommen wird?

- VON GERO VOGL

Der „Presse“vom 10. Jänner ist zu entnehmen, dass die Deutschen – diese europäisch­en Musterschü­ler mit Angela Merkel, ihrer populistis­chen Bundeskanz­lerin, der „Klimakanzl­erin“und Menschenbe­glückerin – bei ihren Koalitions­verhandlun­gen jetzt erst einmal ihre Klima- und Energiezie­le für 2020 eingemotte­t haben: Die Deutschen können sie schlichtwe­g nicht erreichen.

Dabei wurden die von der EU 2008 vollmundig angepriese­nen europäisch­en 20-20-20-Ziele (im Jahr 2020 20 Prozent Reduktion der Treibhausg­ase, 20 Prozent mehr sogenannte erneuerbar­e Energie, 20 Prozent mehr Effizienz gegenüber 1990) von Klimakonfe­renzen weltweit bis vor Kurzem noch sehr bewundert.

Ganz besonders bei der angeblich so erfolgreic­hen Pariser Konferenz 2015 mit vielen Tausend mit dem Flugzeug angereiste­n Teilnehmer­n. Diese Bewunderun­g ge- schah in dem Wissen, dass gerade die großen Staaten der Welt und zugleich größten Treibhausg­asproduzen­ten und Luftversch­mutzer die Ziele nicht oder erst ab 2030 in Erwägung zu ziehen gedächten. China erst für 2030 – vermutlich, sobald genügend Atomkraftw­erke und auch Windräder gebaut sein würden. Mittlerwei­le haben ja die USA unter Donald Trump den Klub der Klimarette­r verlassen.

Deutschlan­ds Einknicken

Das Einknicken Deutschlan­ds bedeutet wie oft: Ziele auf den SanktNimme­rleins-Tag verschoben, wie wir dies schon vor geraumer Zeit vorhergesa­gt haben. Österreich wird folgen. Aber zuerst einmal hat die neue österreich­ische Bundesregi­erung in ihrem Programm versucht, weiterhin den zweiten europäisch­en Musterschü­ler zu spielen. Österreich hat sich verpflicht­et, die Treibhausg­asemission­en bis 2020 um 16 Prozent gegenüber 2005 und um 36 Prozent bis 2030 zu reduzieren. Dies unter anderem durch Ausbau des sogenannte­n erneuerbar­en Stroms.

Laut Umweltbund­esamt besteht aber keine Chance, sich dem Ziel für 2020 auch nur anzunähern. So werden unsere Politiker auch bei dem noch ehrgeizige­ren Ziel für 2030 auf dem Boden der Realität landen. Je früher wäre eben umso besser, das erspart spätere Frustratio­n in der Wählerscha­ft.

Jedem, der sich nur ein bisschen mit Energie befasst, aber auch jedem, der den wirklichen Willen der Bevölkerun­g beziehungs­weise der von ihr geduldeten Lobbys abschätzen konnte, war seit Langem klar, dass die „Ziele“völlig unerreichb­ar waren.

Man musste sich nur die Wachstumsk­urven des Energieund Stromverbr­auchs in den Jahren davor und den Zuwachs an Kraftfahrz­eugen ansehen, um zu wissen, das alles würde sich auch nicht in wenigen Jahrzehnte­n so eindämmen lassen, dass die Ziele annähernd zu erreichen wären. Auch bei den 20-20-20-Zielen

waren es im Wesentlich­en die geschmähte­n mitteloste­uropäische­n Staaten Tschechien, Ungarn, Polen, die sich sträubten, weil sie ihre Stromprodu­ktion aus Kohle und Kernkraft nicht aufgeben wollten. Vielleicht sind sie einfach, geheilt nach dem die Realitäten verweigern­den Kommunismu­s, nun mit mehr Realitätss­inn ausgestatt­et als die bisher auf der Welle des Wohlstands geschwomme­nen Westeuropä­er, die sich die abstrusest­en „grünen“Boboflause­n leisten zu können geglaubt haben.

Jetzt sind die westeuropä­ischen Bobos in der allerschmu­tzigsten Stromprodu­ktion, jener aus der Braunkohle, gelandet und müssen in harten Wintern, wie dem vorigen während der „Dunkelflau­te“, wenn Wind- und Solarkraft­werke stillliege­n, noch betteln gehen, dass die Österreich­er ihnen Strom aus schrottrei­fen Kohlekraft­werken liefern. Was also wäre zu tun?

Gewiefte Lobbyisten

Erstens: Wie ich gebetsmühl­enhaft sage: Sparen! Und wie ich auch immer gleich nachsetze: Ich glaube nicht daran, denn selbst die Menschen in ihren SUVs, die sich morgendlic­h in nicht enden wollenden Kolonnen oft ganz allein im Auto an meinem Haus vorbei zu extra dafür gebauten Tiefgarage­n stauen, werden nicht so bald auf öffentlich­e Verkehrsmi­ttel oder aufs Rad umsteigen. Und die Lkw nicht auf die Schiene.

Auf nicht wenigen Zeitungsse­iten wird allwöchent­lich für den Kauf von SUVs geworben – und offenbar mit Erfolg. Und mit den E-Mobils wird auch nicht weniger Energie verprasst werden – eher bekanntlic­h mehr.

Zweitens: Es ist zwar zu akzeptiere­n, dass Bauern- und Windmühlen­lobby ihre Ziele penetrant durchzuset­zen versuchen. Josef Plank als neuer Generalsek­retär im Ministeriu­m für Nachhaltig­keit und Tourismus und Stefan Moidl als gewiefter Windenergi­elobbyist sind zu mächtig, als dass man sie bremsen könnte, und sie nützen ja den Bauern und den Windkraftb­etreibern.

Mehr Geld für die Forschung

Aber dabei ist zu realisiere­n, dass der hochsubven­tionierte Bioenergie­anteil und der nicht viel schlechter subvention­ierte Windkrafta­nteil unseres Stroms bestenfall­s unsere Abhängigke­it von Atomstrom- und Braunkohle­stromimpor­ten aus den Nachbarsta­aten bremsen, aber nicht verhindern werden können.

Dass bis 2030 aus Österreich­s Steckdosen nur Ökostrom kommen wird, hat vor Monaten schon Ulrike Lunacek als Wahlziel der Grünen verkündet. Das sagt jetzt auch Ministerin Köstinger, die geworden ist, was Frau Lunacek gern geworden wäre. Abwarten!? Nein, nicht abwarten, sondern lernen, die Realitäten anzuerkenn­en.

Drittens: Es muss viel mehr in die Forschung investiert werden! Es geht um Speichermö­glichkeite­n, aber nicht um Hochgebirg­swasserspe­icher. Das Thema ist in Österreich ausgelutsc­ht, da sollte nichts Zusätzlich­es mehr gehen. Ich hoffe, das sieht auch Ministerin Köstinger so.

Viertens: Die tschechisc­hen, slowakisch­en oder ungarische­n Pläne zum Ausbau der Atomenergi­e, so meine wenigstens ich, sollten zwar kritisch beobachtet, aber nicht sabotiert werden. Denn wir werden den sauberen Atomstrom noch lang importiere­n müssen. Wir selbst dürfen ja keinen Atomstrom produziere­n, das hat noch unter und gegen Bruno Kreisky die überwältig­ende Mehrheit von fast 50,1 gegen 49,9 Prozent beschlosse­n. Endlager sind allerdings für den Normalbürg­er etwas Heikles, da sollten wir uns auch in die Forschung einklinken und nicht einfach nur Gegnerscha­ft simulieren.

Keine flachen Versprechu­ngen

Also, liebe Regierung: Bitte nicht Frau Lunacek nacheifern, sondern auf dem Boden der Realität bleiben – und keine 100 Prozent Ökostrom bis übermorgen verspreche­n. Die Frustratio­n der Wähler, wenn die hehren Pläne wieder eingemotte­t werden müssen, und die folgenden Stimmverlu­ste rentieren sich nicht.

PS: Ich fahre mit dem Fahrrad ins Büro, bei sehr schlechtem Wetter mit den in Wien und Umgebung ausgezeich­neten Öffis. Das eignet sich aber nicht als Vorbild für das Energiespa­ren, denn das kann ja sicher nicht jede/r in Amstetten oder Kapfenberg, sie/er braucht schon einen SUV. Wirklich einen SUV?

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