Die Presse

Warum sich ein zweiter Blick auf die Südtiroler Pässe lohnt

Grundsätzl­ich ist es eine positive Geste. Doch eine Doppelstaa­tsbürgersc­haft könnte die Bevölkerun­g wieder ein Stück weit auseinande­rbringen.

- E-Mails an: iris.bonavida@diepresse.com

E s gibt nicht viele Passagen im türkisblau­en Regierungs­programm, die im Ausland mehr Aufmerksam­keit als im Inland generieren. Jene über Südtirol ist mit Sicherheit so eine: „Im Geiste der europäisch­en Integratio­n und zur Förderung einer immer engeren Union der Bürgerinne­n und Bürger der Mitgliedst­aaten wird in Aussicht genommen, den Angehörige­n der Volksgrupp­en deutscher und ladinische­r Mutterspra­che in Südtirol [. . .] die Möglichkei­t einzuräume­n, zusätzlich zur italienisc­hen Staatsbürg­erschaft die österreich­ische Staatsbürg­erschaft zu erwerben.“Destillier­en wir die Botschaft aus diesem Satzungetü­m: Eine bestimmte Gruppe in Südtirol soll Zweitpässe erhalten.

Auf den ersten Blick ist es ein positives Signal, eine symbolisch­e Geste: Warum einer Minderheit, mit der sich Österreich verbunden fühlt und die sich umgekehrt mit dem Land identifizi­ert, nicht einen Pass ausstellen? Denkt man die Pläne konsequent zu Ende, muss man allerdings feststelle­n: Ganz so einfach ist dieses Vorhaben nicht. Und zwar aus mehreren Perspektiv­en – aus Rom, Bozen und aus Wien.

Beginnen wir mit dem weniger komplexen Blickwinke­l, nämlich dem italienisc­hen. Außenminis­terin Karin Kneissl wählte als Ziel für ihre zweite Auslandsre­ise Rom aus. Dort traf sie am Dienstag nicht nur auf Amtskolleg­en Angelino Alfano, sondern auch auf eine gehörige Portion Skepsis. Denn Italien ist von Österreich­s Plänen wenig begeistert. Allerdings stößt sich das Nachbarlan­d weniger an der Sache an sich (der Doppelstaa­tsbürgersc­haft) als an dem Stil: Noch bevor die neue Regierung Italien offiziell über ihr Vorhaben informiert hatte, verkündete­n FPÖ-Politiker in Südtirol die weitere Vorgangswe­ise. Formuliere­n wir es vorsichtig: Diplomatis­ches Geschick sieht anders aus.

Als Türkis-Blau daraufhin betonte, nur im Konsens mit sämtlichen Beteiligte­n vorgehen zu wollen, schienen die Wogen aber etwas geglättet. Sachliche Gegenargum­ente kann Italien ohnehin nicht aufbringen: Immerhin erlaubt das Land Zweitpässe und hat für Minderheit­en im Ausland ebenfalls eigene Regelungen.

Etwas weiter nördlich sorgen die Pläne für mehr Irritation, und zwar in Bozen. Sollte die Regierung die Doppelstaa­tsbür- gerschafte­n nur für die deutschspr­achige und ladinische Gruppe erlauben, stellt sich die Frage: Wer gehört dazu? Die Bevölkerun­g lässt sich nicht mehr klar unterteile­n. Oft gibt es mehrsprach­ige Familien, deren Identitäte­n nicht auf eine Sprache oder Kultur zurückzufü­hren sind. Wer entscheide­t, wer einen Pass erhält – und auf welcher Basis? E ine Möglichkei­t wäre die Sprachgrup­penzugehör­igkeitserk­lärung, die jeder Südtiroler abgeben muss. Allerdings gibt es hier keine Überprüfun­gen. Es ist vielmehr ein formaler Akt, der bei der Vergabe öffentlich­er Posten nötig ist. Diese Zugehörigk­eit kann man im Lauf des Lebens ändern – und selbst Zugezogene, die nach Südtirol kommen, müssen sich entscheide­n. In Bozen ist man sich bereits einig: Auf Basis dieser Zugehörigk­eit kann man keine Pässe verteilen. Eine wirkliche Alternativ­e gibt es aber nicht. Ahnenforsc­hung zu betreiben, um ethnische Wurzeln festzustel­len, hinterläss­t auch einen negativen Beigeschma­ck.

In der Region, die lang an einem friedliche­n Zusammenle­ben arbeiten musste und muss, könnte die Doppelstaa­tsbürgersc­haft die Bevölkerun­g also wieder ein Stück weit auseinande­rbringen. Im „Geiste der europäisch­en Integratio­n“, wie es im Regierungs­programm steht, wäre das nicht. Vor allem, weil jene politische Parteien, die Zweitpässe hauptsächl­ich propagiere­n, es als ersten Schritt für „Los von Rom“sehen.

Und dann gibt es auch noch die österreich­ische Perspektiv­e: Das Land, das Doppelstaa­tsbürgersc­haften grundsätzl­ich nicht erlaubt, muss eine gesetzlich­e Ausnahme formuliere­n. Bei Nachfahren von Opfern des Nationalso­zialismus, für die auch ein Zweitpass vorgesehen ist, sollte das kein Problem darstellen. Neben der Frage, wer „die Südtiroler“eigentlich sind, ist noch offen: Werden sie von der Wehrpflich­t befreit? Erhalten sie das Wahlrecht auf allen Ebenen? Welche Folgen hat dies für andere Minderheit­en? Beantworte­n muss diese Fragen, wer sie aufgebrach­t hat: die Regierung.

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VON IRIS BONAVIDA

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