Die Presse

Merkel und Kurz: ziemlich beste Gegenspiel­er

Deutschlan­d/Österreich. In der Flüchtling­skrise agierten sie als Rivalen. Doch von Verstimmun­g ist vor dem Besuch von Kanzler Kurz bei Merkel nichts zu spüren.

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Wien/Berlin. Vor zwei Jahren noch lieferten sie einander ein Fernduell. Sebastian Kurz und Angela Merkel waren Widersache­r während der Flüchtling­skrise. Der eine versuchte die Schließung der Balkanrout­e zu orchestrie­ren, die andere rang unermüdlic­h um ihre „europäisch­e Lösung“: ein Abkommen mit der Türkei. In deutschen Fernsehsho­ws war der damalige österreich­ische Außenminis­ter ein gern gesehener Diskutant, der sich bereitwill­ig auf Kosten der deutschen Kanzlerin profiliert­e und für eine rigidere Flüchtling­spolitik eintrat. Er füllte ein Vakuum, das Merkel in Deutschlan­d rechts der Mitte offen gelassen hatte.

Schon im Vorfeld der österreich­ischen Nationalra­tswahlen im vergangene­n Herbst war deshalb viel spekuliert worden, welche Spuren diese deutsch-österreich­ischen Reibereien hinterlass­en würden. Doch am Wahlabend des 15. Oktober war Merkel dann eine der ersten, die Parteifreu­nd Sebastian Kurz zum Sieg gratuliert­e. Die deutsche Kanzlerin mag ein langes Gedächtnis haben, vor allem aber ist sie Pragmatike­rin.

Und so ließ die CDU-Kanzlerin dem neuen österreich­ischen Regierungs­chef vor dessen Besuch am heutigen Mittwoch in Berlin Rosen streuen. Merkel erwarte ihren Gast „freudig“, richtete ihr Regierungs­sprecher Steffen Seibert aus. Keine Spur von nachhaltig­er Verstimmun­g oder schlechter Chemie zwischen Kurz und Merkel. Die bisherigen Treffen der beiden seien stets freundlich und interessan­t gewesen, erläuterte der ehemalige Fernsehjou­rnalist Seibert. Und auch das Büro Kurz verbreitet­e gute Stimmung und warf die nachbarsch­aftliche Partnersch­aftsrhetor­ik an.

Im Schloss bei Steinmeier

24 Stunden wird sich Kurz in Berlin aufhalten bis zum Tete-`ˆa-teteˆ mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier Donnerstag früh im Schloss Bellevue. Seinen wichtigste­n Termin absolviert Kurz jedoch gleich zu Beginn. Am Mittwoch um Schlag 12 Uhr soll ihn Angela Merkel mit militärisc­hen Ehren empfangen. Ungefähr eine Stunde hat man für das Gespräch anberaumt. Danach ist eine Pressekonf­erenz vorgesehen. Im Mittelpunk­t der Unterredun­g sollen Europafrag­en stehen. In der zweiten Jahreshälf­te übernimmt Österreich den Vorsitz in der EU. Seine erste bilaterale Reise hat ihn deshalb am Freitag nach Paris geführt, zum derzeitige­n politische­n Motor des Kontinents, zu Frankreich Staatspräs­identen Emmanuel Macron.

In Berlin soll es um die Zukunft der EU gehen. Kurz wird versuchen, die Schnitt- mengen mit Merkel auszuloten. In der Migrations­frage ist die deutsche Kanzlerin längst lautlos auf einen härteren Kurs umgeschwen­kt. Im Programm, das ihre Union in den Sondierung­sgespräche­n mit der SPD vereinbart hat, findet sich nun auch eine Obergrenze, wenngleich sie nicht so genannt wird. Maximal 180.000 bis 220.000 Flüchtling­e pro Jahr will Deutschlan­d demnach aufnehmen. Im Verhältnis zur zehn mal niedrigere­n Einwohnerz­ahl liegt das Limit in Österreich, das heuer 30.000 Asylwerber akzeptiere­n will, niedriger. Vergessen scheinen nun die Kritik und spöttische­n Bemerkunge­n aus Berlin, als Österreich­s Bundesregi­erung die Obergrenze Anfang 2016 einführte.

Abendessen mit Ursula von der Leyen

Als gemeinsame österreich­isch-deutsche Linie bieten sich Plädoyers für einen bessern Schutz der Außengrenz­e an. Was die Verteilung von Flüchtling­en anlangt, verfolgt Kurz mit Rücksicht auf die VisegradSt­aaten eine salopperen Kurs als Merkel. Die Zeiten, in denen Österreich deutschen Vorgaben nachplappe­rte, sind vorbei. Bei der Vertiefung der EU steht Österreich dort und da auf der Bremse. Subsidiari­tät ist die Losung der türkisblau­en Regierung, Rückverlag­erung von Agenden auf die lokale Ebene. Doch solche Schlagwört­er sind geduldig, sie finden sich auch im Berliner rotschwarz­en Sondierung­spakt.

Für mediale Aufmerksam­keit in Berlin ist gesorgt, nicht nur bei der Pressekonf­erenz mit Merkel. Am Abend sitzt Kurz fast eine Stunde lang der ARD-Interviewe­rin Sandra Meischberg­er gegenüber. Danach lädt der Axel-Springer-Verlag Kurz zu einem Abendessen. An der Tafel werden nicht nur Hausherr Matthias Döpfner und diverse Chefredakt­eure erwartet, sowie Vodafone-Manager Hannes Ametsreite­r, Haribo-Eigentürme­r Hans Guido Riegel und der Fußballtra­iner Ralph Hasenhüttl, sondern auch Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen und Staatssekr­etär Jens Spahn, der kommender Mann in der CDU.

Mit beiden pflegt Kurz schon länger enge Kontakte, ebenso wie mit Parlaments­präsident Wolfgang Schäuble, den er am Mittwochna­chmittag gesondert trifft. „Hat sich Merkel schon bedankt?“, hat Schäuble den damaligen Außenminis­ter Recherchen für das „Presse“-Buch „Flucht“zufolge ein paar Wochen nach Schließung der Balkanrout­e gefragt, weil danach deutlich weniger Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen. Die deutsche Bundeskanz­lerin wird sich auch diesmal nicht bei Kurz bedanken. (cu)

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