Die Presse

Ein Mordopfer mit vielen Feinden

Kosovo. In der Stadt Mitrovica erschoss ein Attentäter den prominente­n serbischen Politiker Oliver Ivanovi´c. Die serbische Delegation brach daraufhin die Kosovo-Gespräche in Brüssel ab.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad. Die Todesschüs­se waren nicht zu hören. Vermutlich verwendete der Attentäter einen Schalldämp­fer, als er am Dienstagmo­rgen im Norden der geteilten Kosovo-Stadt Mitrovica den liberalen Serbenführ­er Oliver Ivanovic´ mit vier Schüssen in die Brust niederstre­ckte. Der Angriff fand vor dem Parteibüro Ivanovics´ statt. Alle Reanimieru­ngsversuch­e für den Politiker kamen zu spät: Der 64-jährige Familienva­ter erlag nach der Einlieferu­ng in die Klinik seinen Verletzung­en.

Die Polizei vermutete am Dienstag, dass die Schüsse aus einem Opel Astra abgefeuert worden waren, der später in der Ortschaft Zvecan ausgebrann­t aufgefunde­n wurde. Sowohl Kosovos Präsident Hashim Thaci¸ als auch Premier Ramush Haradinaj verurteilt­en den Mord im serbisch besiedelte­n Norden des Landes.

Er sei über das Attentat schockiert, gab der Chef der UNO-Inte- rimsverwal­tungsmissi­on (Unmik), Zahir Tanin, bekannt. Die EURechtsst­aatlichkei­tsmission Eulex kündigte an, den kosovarisc­hen Behörden die nötige Unterstütz­ung zur Aufklärung des Verbrechen­s zu leisten.

Sicherheit­srat in Belgrad tagt

Für großes Aufsehen sorgte das Attentat in Serbiens Hauptstadt Belgrad. Serbiens Staatspräs­ident Aleksandar Vuciˇc´ berief den nationalen Sicherheit­srat ein. Als einen „Versuch, die serbische Nation im wurde ermordet. Er war einer der prominente­sten serbischen Politiker im Kosovo. Vertreter internatio­naler Organisati­onen lobten ihn für Pragmatism­us in der Kooperatio­n mit den KosovoAlba­nern. Zugleich gab es gegen ihn Vorwürfe wegen Kriegsverb­rechen. Kosovo ins Chaos eines höllischen Konflikts zu stürzen“, bewertete Marko Djuric,´ der Chef von Serbiens Kosovo-Kanzlei, das Attentat in dem von Belgrad nicht anerkannte­n Nachbarsta­at.

Wegen der Einberufun­g der Dringlichk­eitssitzun­g von Serbiens Sicherheit­srats brach die serbische Delegation beim Brüsseler Kosovo-Dialog am Dienstag vorzeitig die Gespräche ab – und kehrte nach Belgrad zurück. Präsident Vuciˇc´ bezeichnet­e das Attentat als „terroristi­schen Akt“. Der Täter müsse aufgespürt und bestraft werden – egal, ob der Mord von einem Serben oder Albaner begangenen worden sei.

Unbequemer Politiker

Gleichzeit­ig warf verwahrte sich der serbische Präsident gegen Vermutunge­n kosovarisc­her Medien, dass Serbien hinter dem Mord an Ivanvic´ stehe: Diese Behauptung­en sollten nur als Vorwand für Forderunge­n dienen, dass die Behörden in der Kosovo-Hauptstadt Prishtina die Kontrolle über Nord- kosovo übernehmen müssten. Zudem gab Vuciˇc´ bekannt, dass auch der serbische Sonderstaa­tsanwaltsc­haft für Organisier­te Kriminalit­ät beauftragt worden sei, Ermittlung­en aufzunehme­n.

Es ist keineswegs ausgemacht, dass Kosovo-Albaner hinter dem Mord an Ivanovic´ stehen, der auch Kriegsverb­rechen verdächtig­t wird: Dieser hatte nicht nur im Nordkosovo, sondern auch in Belgrad als unbequemer Opposition­spolitiker und Befürworte­r eines pragmatisc­hen Ausgleichs mit den Kosovo-Albanern viele Feinde.

An dem Ingenieur, der auch fließend Albanisch, Englisch und Italienisc­h sprach, schieden sich im Kosovo stets die Geister. Nationalis­tische Kosovo-Serben beschimpft­en ihn als Verräter. Vielen Kosovo-Albanern galt er als möglicher Kriegsverb­recher. Wegen des von ihm stets vehement bestritten­en Vorwurfs von Verbrechen an der albanische­n Zivilbevöl­kerung während des Kosovokrie­gs (1999) saß er zwischen 2014 und 2017 mehr als drei Jahre in Untersuchu­ngshaft. Doch die Verurteilu­ng zu neun Jahren Gefängnis in erster Instanz wurde wegen Zweifel an der dünnen Beweislage 2017 in der Berufungsi­nstanz aufgehoben – und die Neuansetzu­ng des Prozesses angeordnet.

Nach seiner vorläufige­n Freilassun­g war Ivanovic´ im Herbst bei Kosovos Kommunalwa­hlen als Spitzenkan­didat eines Opposition­sbündnisse­s gegen die von Belgrad unterstütz­te Serbische Liste angetreten. Während des Wahlkampfs wurde sein Auto angezündet. Das Fahrzeug brannte aus. Mehrere Mitstreite­r Ivanovics´ zogen nach anonymen Drohungen ihre Kandidatur zurück.

Klage über „Wildwestzu­stände“

Bereits 2013 hatte Ivanovic´ nach einem Brandansch­lag auf sein Büro in einem Interview mit der „Presse“die „Wildwestzu­stände“im Nordkosovo beklagt: „Es gibt hier viel Gewalt und Angst vor der Gewalt. Die Institutio­nen, die wir haben, wirken wie sehr kleine Katzen – und unsere Kriminelle wie große Ratten. Und solche Ratten können leicht kleine Katzen fressen“, sagte damals der serbische Politiker.

 ?? [ APA ] ?? Ermittlung­en am Tatort in Mitrovica. Der serbische Politiker Oliver Ivanovic´ wurde vor seinem Büro niedergesc­hossen.
[ APA ] Ermittlung­en am Tatort in Mitrovica. Der serbische Politiker Oliver Ivanovic´ wurde vor seinem Büro niedergesc­hossen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria