Ein Mordopfer mit vielen Feinden
Kosovo. In der Stadt Mitrovica erschoss ein Attentäter den prominenten serbischen Politiker Oliver Ivanovi´c. Die serbische Delegation brach daraufhin die Kosovo-Gespräche in Brüssel ab.
Belgrad. Die Todesschüsse waren nicht zu hören. Vermutlich verwendete der Attentäter einen Schalldämpfer, als er am Dienstagmorgen im Norden der geteilten Kosovo-Stadt Mitrovica den liberalen Serbenführer Oliver Ivanovic´ mit vier Schüssen in die Brust niederstreckte. Der Angriff fand vor dem Parteibüro Ivanovics´ statt. Alle Reanimierungsversuche für den Politiker kamen zu spät: Der 64-jährige Familienvater erlag nach der Einlieferung in die Klinik seinen Verletzungen.
Die Polizei vermutete am Dienstag, dass die Schüsse aus einem Opel Astra abgefeuert worden waren, der später in der Ortschaft Zvecan ausgebrannt aufgefunden wurde. Sowohl Kosovos Präsident Hashim Thaci¸ als auch Premier Ramush Haradinaj verurteilten den Mord im serbisch besiedelten Norden des Landes.
Er sei über das Attentat schockiert, gab der Chef der UNO-Inte- rimsverwaltungsmission (Unmik), Zahir Tanin, bekannt. Die EURechtsstaatlichkeitsmission Eulex kündigte an, den kosovarischen Behörden die nötige Unterstützung zur Aufklärung des Verbrechens zu leisten.
Sicherheitsrat in Belgrad tagt
Für großes Aufsehen sorgte das Attentat in Serbiens Hauptstadt Belgrad. Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vuciˇc´ berief den nationalen Sicherheitsrat ein. Als einen „Versuch, die serbische Nation im wurde ermordet. Er war einer der prominentesten serbischen Politiker im Kosovo. Vertreter internationaler Organisationen lobten ihn für Pragmatismus in der Kooperation mit den KosovoAlbanern. Zugleich gab es gegen ihn Vorwürfe wegen Kriegsverbrechen. Kosovo ins Chaos eines höllischen Konflikts zu stürzen“, bewertete Marko Djuric,´ der Chef von Serbiens Kosovo-Kanzlei, das Attentat in dem von Belgrad nicht anerkannten Nachbarstaat.
Wegen der Einberufung der Dringlichkeitssitzung von Serbiens Sicherheitsrats brach die serbische Delegation beim Brüsseler Kosovo-Dialog am Dienstag vorzeitig die Gespräche ab – und kehrte nach Belgrad zurück. Präsident Vuciˇc´ bezeichnete das Attentat als „terroristischen Akt“. Der Täter müsse aufgespürt und bestraft werden – egal, ob der Mord von einem Serben oder Albaner begangenen worden sei.
Unbequemer Politiker
Gleichzeitig warf verwahrte sich der serbische Präsident gegen Vermutungen kosovarischer Medien, dass Serbien hinter dem Mord an Ivanvic´ stehe: Diese Behauptungen sollten nur als Vorwand für Forderungen dienen, dass die Behörden in der Kosovo-Hauptstadt Prishtina die Kontrolle über Nord- kosovo übernehmen müssten. Zudem gab Vuciˇc´ bekannt, dass auch der serbische Sonderstaatsanwaltschaft für Organisierte Kriminalität beauftragt worden sei, Ermittlungen aufzunehmen.
Es ist keineswegs ausgemacht, dass Kosovo-Albaner hinter dem Mord an Ivanovic´ stehen, der auch Kriegsverbrechen verdächtigt wird: Dieser hatte nicht nur im Nordkosovo, sondern auch in Belgrad als unbequemer Oppositionspolitiker und Befürworter eines pragmatischen Ausgleichs mit den Kosovo-Albanern viele Feinde.
An dem Ingenieur, der auch fließend Albanisch, Englisch und Italienisch sprach, schieden sich im Kosovo stets die Geister. Nationalistische Kosovo-Serben beschimpften ihn als Verräter. Vielen Kosovo-Albanern galt er als möglicher Kriegsverbrecher. Wegen des von ihm stets vehement bestrittenen Vorwurfs von Verbrechen an der albanischen Zivilbevölkerung während des Kosovokriegs (1999) saß er zwischen 2014 und 2017 mehr als drei Jahre in Untersuchungshaft. Doch die Verurteilung zu neun Jahren Gefängnis in erster Instanz wurde wegen Zweifel an der dünnen Beweislage 2017 in der Berufungsinstanz aufgehoben – und die Neuansetzung des Prozesses angeordnet.
Nach seiner vorläufigen Freilassung war Ivanovic´ im Herbst bei Kosovos Kommunalwahlen als Spitzenkandidat eines Oppositionsbündnisses gegen die von Belgrad unterstützte Serbische Liste angetreten. Während des Wahlkampfs wurde sein Auto angezündet. Das Fahrzeug brannte aus. Mehrere Mitstreiter Ivanovics´ zogen nach anonymen Drohungen ihre Kandidatur zurück.
Klage über „Wildwestzustände“
Bereits 2013 hatte Ivanovic´ nach einem Brandanschlag auf sein Büro in einem Interview mit der „Presse“die „Wildwestzustände“im Nordkosovo beklagt: „Es gibt hier viel Gewalt und Angst vor der Gewalt. Die Institutionen, die wir haben, wirken wie sehr kleine Katzen – und unsere Kriminelle wie große Ratten. Und solche Ratten können leicht kleine Katzen fressen“, sagte damals der serbische Politiker.