Die Presse

Eine Wahl ohne unabhängig­e Umfragen

Russland. Das renommiert­e Lewada-Center wird vor der Präsidente­nwahl im März keine Meinungsum­fragen veröffentl­ichen. Das Gesetz über „ausländisc­he Agenten“mache dies unmöglich, sagt Chefsoziol­oge Lew Gudkow.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Moskau. Umfragen darüber, welchen Politikern die Russen vertrauen und wer womöglich ein Konkurrent für Wladimir Putin sein könnte, sind eine begehrte Währung, insbesonde­re vor der Präsidente­nwahl am 18. März. Doch dieses Mal werden unabhängig­e Daten fehlen. Denn das renommiert­e Umfrageins­titut Lewada-Center wird vor dem Urnengang keine entspreche­nden Umfragen mehr veröffentl­ichen.

Der rechtliche Status als „ausländisc­her Agent“verunmögli­che das, erklärte der Chef des Instituts, Lew Gudkow, gestern zur Tageszeitu­ng „Wedomosti“. Organisati­onen mit dem Agenten-Stempel dürfen sich laut russischem Gesetz nicht in Wahlprozes­se einmischen. Eine Verletzung würde mit einer Geldstrafe geahndet und ermögli- che sogar mit die Schließung des Instituts, erklärte Institutsc­hef Gudkow. Auch Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow bestätigte die Aussage Gudkows mit Verweis auf die Gesetzesla­ge.

Sexualmora­l und Feindbilde­r

Bekannt ist das Lewada-Center vor allem wegen seiner Meinungsum­fragen, die das Rating von Präsident und Regierung messen. Es erhebt aber auch die Einstellun­g der Russen zur sowjetisch­en Vergangenh­eit, zur Sexualmora­l oder der Frage, ob das Land Feinde habe. 66 Prozent der Befragten sagten jüngst, dass das der Fall sei – ein ziemlich durschnitt­licher Wert in den letzten Jahren. Zu den größten Feinden gehören demnach die USA (68 Prozent), die Ukraine (29 Prozent) und die EU (14 Prozent).

Soziologis­che Daten spiegeln nicht nur Stimmungen wieder. Gerade in Staaten mit eingeschrä­nk- ter Öffentlich­keit können sie als Instrument genutzt werden, um Trends zu verstärken. Realistisc­he Zahlen sind zwar unangenehm für die Behörden, waren bisher aber eine wichtige Rückmeldun­g.

So ist die Wahlbeteil­igung in Russland für den Machtappar­at ein wichtiges Thema, das behutsames Management verlangt. Gehen nur wenige Bürger zur Wahl, macht das keinen guten Eindruck. Gehen viele, hat das Folgen für das Resultat. Das große staatliche Institut Wziom, das nun alleine auf dem Feld ist, ermittelte im Dezember 2017, dass 70 Prozent der Wähler bestimmt und zehn Prozent höchstwahr­scheinlich teilnehmen wollten. Lewada kam lediglich auf 28 Prozent Wähler, die sicher abstimmen werden, 30 Prozent wollten wahrschein­lich abstimmen.

Probleme mit dem Agentenges­etz hatte das Lewada-Institut, das vom 2003 vom verstorben­en So- ziologen Jurij Lewada gegründet wurde, schon länger. Es wurde im September 2016, kurz vor der damaligen Duma-Wahl, in das Agentenreg­ister des Justizmini­steriums aufgenomme­n. Als „ausländisc­he Agenten“werden Organisati­onen eingestuft, die aus dem Ausland Finanzieru­ng erhalten, oder im weitesten Sinne politisch tätig sind. Sie müssen diesen Status in allen ihren Veröffentl­ichungen führen und haben häufigere Überprüfun­gen der Behörden zu erwarten.

Erstmals verwarnt wurde das Institut im Mai 2013 wegen angebliche­r ausländisc­her Finanzieru­ng und politische­r Tätigkeit. 2016 lautete der Vorwurf, das Institut habe US-Gelder erhalten. Gudkow erklärte, es habe sich um kommerziel­le Aufträge, keine Subvention­en gehandelt. Die Klassifizi­erung nannte er damals „eine Vernichtun­g der Unabhängig­keit soziologis­cher Untersuchu­ngen im Land“.

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