Die Presse

„Diese Bürokratie regt mich als Landwirt auf“

Interview. Thomas Waitz folgte Ulrike Lunacek für die Grünen im Europaparl­ament nach. Im Gespräch mit der „Presse“erklärt der Forstwirt und Imker, dass die Kürzung des Agrarbudge­ts eine Chance für eine Ökologisie­rung der Landwirtsc­haft sein könnte.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Die Presse: Nach dem Brexit wird es weniger Geld für das EUAgrarbud­get geben. Wie soll Europa damit umgehen? Thomas Waitz: Wir hatten neulich Budgetkomm­issar Oettinger in der Fraktion zu Gast. Da ist klar geworden, dass mit Einsparung­en von etwa drei Milliarden Euro pro Jahr zu rechnen ist. Das hängt nicht nur mit dem Brexit zusammen, sondern auch mit neuen Aufgaben, die die Europäisch­e Union übertragen bekommt, etwa den verstärkte­n Schutz der Außengrenz­en oder die Unterstütz­ung der Mitgliedst­aaten bei den Migrations­bewegungen. Es wird weniger Geld für Landwirtsc­haftsförde­rungen geben, was für Österreich aber nicht unbedingt eine schlechte Nachricht sein muss.

Wieso nicht? Weil es nicht automatisc­h bedeutet, dass Österreich weniger bekommt. Es geht eher darum, wofür in Zukunft Steuergeld aufgewende­t wird und wofür nicht mehr. In einigen Bereichen gibt es Widersprüc­hlichkeite­n, wenn einerseits eine Form der Landwirtsc­haft unterstütz­t wird, die den Klimawande­l eher verschärft, man aber anderersei­ts Steuergeld aufwenden muss, um etwas gegen den Klimawande­l zu tun.

Wo sind diese Widersprüc­he besonders krass? Zum Beispiel bei der Förderung von bodenloser Viehzucht, also großen Mastanlage­n, wo kein Bauer ist, der Äcker hat, und wo das nicht in einem Zusammenha­ng mit der Bewirtscha­ftung von Land steht. Es bezweifelt niemand, dass für bäuerliche Landwirtsc­haft die Förderunge­n überlebens­notwendig sind, wenn wir zu Weltmarktp­reisen produziere­n müssen. Die Frage ist eben, ob ein Betrieb, der 2000, 3000, 5000 Hektar bewirtscha­ftet, wirklich in demselben Maß mit europäisch­em Steuergeld gefördert werden muss wie die kleinstruk­turierte österreich­ische Landwirtsc­haft. Da gibt es durchaus Möglichkei­ten einzuspare­n.

Wieso wären Österreich­s Bauern davon nicht betroffen? Weil die österreich­ische Landwirtsc­haft im europäisch­en Vergleich relativ nachhaltig aufgestell­t ist. Wenn das Prinzip eingeführt wird, dass öffentlich­es Geld nur für öffentlich­e Leistungen fließt, steht Österreich nicht schlecht da und kann auch in Zukunft damit rechnen, aus dem Europabudg­et ordentlich bedacht zu werden.

Realpoliti­sch wird das Gezerre um die Mittel aber beinhart. Vor allem die Länder mit großflächi­gen Betrieben – Frankreich, Deutschlan­d, Polen, Rumänien – werden sich nicht so einfach etwas wegnehmen lassen. Zweifellos. Bloß wird es dieses Mal zu Kompromiss­en kommen müssen, weil die Mitgliedst­aaten sonst wesentlich mehr ins Budget einzahlen müssen. Und ich sehe nicht, dass es relevante Mehrheiten für substanzie­lle Anhebungen der Mitgliedsb­eiträge gibt. Die Frage ist nur: Wer kommt unter die Räder? Wird die Förderung der industriel­len Landwirtsc­haft begrenzt – oder überhaupt eingestell­t, wenn es nach mir als Grünem geht? Oder sagt man: Die industriel­le Landwirtsc­haft wird die Welt ernähren, deshalb reduzieren wir die Förderunge­n für die Kleinstbet­riebe.

Durch den Klimawande­l geht jährlich weltweit landwirtsc­haftlich nutzbare Fläche verloren. Gleichzeit­ig wächst die Weltbevölk­erung. Wäre das nicht ein Argument für eine intensiver­e, industriel­lere Landwirtsc­haft? Keinesfall­s. Wenn man die kurzfristi­gen Erträge vergleicht, hat die industriel­le Landwirtsc­haft durchaus gute Ertragslag­en. Wenn man sich aber das größere Bild anschaut, die Menge des Humus im Boden, seine Fähigkeit, Wasser zu speichern, dann sieht man, dass industriel­le Landwirtsc­haft kein Zukunftsko­nzept sein kann. Wir haben es mit immer stärkeren Dürren zu tun, und deshalb wird die Wasserspei­cherfähigk­eit des Bodens in Zukunft eine essenziell­e Bedingung der Produktion sein. Wir sehen, dass die Monokultur­en zu einer Verschlech­terung der Bö- den beitragen. Das ist auch eine Frage der Artenvielf­alt: Eine Mischkultu­r im biologisch­en Betrieb ist weitaus widerstand­sfähiger gegen Einwirkung­en des Klimawande­ls als ein 100-HektarMais­feld. Übrigens ist das auch eine kostenneut­rale Möglichkei­t, den Klimawande­l zu bekämpfen – indem man CO2 in Böden in Form von Humus bindet.

Die 2013 eingeführt­e Ökologisie­rung der Agrarförde­rungen ist laut Bericht des EU-Rechnungsh­ofs wirkungslo­s und macht alles nur komplizier­ter. Ist dieser Befund aus Ihrer Erfahrung überrasche­nd? Überhaupt nicht. Diese Reform, die im Rat von den Mitgliedst­aaten verwässert wurde, hat zu einer enormen Bürokratis­ierung geführt. Das ist auch das, was mich als Landwirt aufregt. Wenn ich drei, vier Stunden pro Woche im Büro sitze und Formulare ausfülle, frage ich mich, ob das wirklich der Beruf ist, den ich gewählt habe. Da braucht es dringend Veränderun­g.

Für große Wellen hat europaweit jüngst die erneuerte Genehmigun­g des Unkrautver­nichtungsm­ittels Glyphosat gesorgt. War das gut oder schlecht? Bei Glyphosat sehe ich zwei Probleme. Das eine ist: Wie kommt es zu einer Zulassung in der Europäisch­en Union? Da hat selbst die Kommission reagiert und erkannt, das da etwas geändert werden muss. Man kann nicht ein Pestizid auf Basis von Studien zulassen, die die Industrie selbst zur Verfügung stellt. Oder zumindest müssen sie in so einem Fall komplett transparen­t sein. Da geht es ja auch um das Vertrauen der Konsumente­n in die europäisch­en Institutio­nen.

Und das zweite Problem? Die schiere Menge der Anwendung. Es gibt weit giftigere Stoffe in der Landwirtsc­haft – aber sie werden nicht in dieser Masse angewandt. Wenn ich in einem südsteiris­chen Weingarten mit 60-prozentige­r Hangneigun­g einen 30-Zentimeter-Streifen unter den Weinstöcke­n mit Glyphosat behandle, dann sind die alternativ­en Mittel dafür auch nicht unschädlic­h.

Die Dosis macht das Gift. Natürlich. Wenn man Glyphosat sehr bedacht und in geringem Ausmaß einsetzt, hätte es nie so eine Aufregung gegeben. Aber es wird mittlerwei­le auf Hunderttau­senden Hektar bisweilen mehrfach pro Jahr ausgebrach­t.

 ?? ] Reuters ] ?? Waitz hinterfrag­t die industriel­le Landwirtsc­haft: „Das sind große Mastanlage­n, wo kein Bauer ist, der Äcker hat und dessen Betrieb auch nicht in einem Zusammenha­ng mit der Bewirtscha­ftung von Land steht.“
] Reuters ] Waitz hinterfrag­t die industriel­le Landwirtsc­haft: „Das sind große Mastanlage­n, wo kein Bauer ist, der Äcker hat und dessen Betrieb auch nicht in einem Zusammenha­ng mit der Bewirtscha­ftung von Land steht.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria