„Diese Bürokratie regt mich als Landwirt auf“
Interview. Thomas Waitz folgte Ulrike Lunacek für die Grünen im Europaparlament nach. Im Gespräch mit der „Presse“erklärt der Forstwirt und Imker, dass die Kürzung des Agrarbudgets eine Chance für eine Ökologisierung der Landwirtschaft sein könnte.
Die Presse: Nach dem Brexit wird es weniger Geld für das EUAgrarbudget geben. Wie soll Europa damit umgehen? Thomas Waitz: Wir hatten neulich Budgetkommissar Oettinger in der Fraktion zu Gast. Da ist klar geworden, dass mit Einsparungen von etwa drei Milliarden Euro pro Jahr zu rechnen ist. Das hängt nicht nur mit dem Brexit zusammen, sondern auch mit neuen Aufgaben, die die Europäische Union übertragen bekommt, etwa den verstärkten Schutz der Außengrenzen oder die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei den Migrationsbewegungen. Es wird weniger Geld für Landwirtschaftsförderungen geben, was für Österreich aber nicht unbedingt eine schlechte Nachricht sein muss.
Wieso nicht? Weil es nicht automatisch bedeutet, dass Österreich weniger bekommt. Es geht eher darum, wofür in Zukunft Steuergeld aufgewendet wird und wofür nicht mehr. In einigen Bereichen gibt es Widersprüchlichkeiten, wenn einerseits eine Form der Landwirtschaft unterstützt wird, die den Klimawandel eher verschärft, man aber andererseits Steuergeld aufwenden muss, um etwas gegen den Klimawandel zu tun.
Wo sind diese Widersprüche besonders krass? Zum Beispiel bei der Förderung von bodenloser Viehzucht, also großen Mastanlagen, wo kein Bauer ist, der Äcker hat, und wo das nicht in einem Zusammenhang mit der Bewirtschaftung von Land steht. Es bezweifelt niemand, dass für bäuerliche Landwirtschaft die Förderungen überlebensnotwendig sind, wenn wir zu Weltmarktpreisen produzieren müssen. Die Frage ist eben, ob ein Betrieb, der 2000, 3000, 5000 Hektar bewirtschaftet, wirklich in demselben Maß mit europäischem Steuergeld gefördert werden muss wie die kleinstrukturierte österreichische Landwirtschaft. Da gibt es durchaus Möglichkeiten einzusparen.
Wieso wären Österreichs Bauern davon nicht betroffen? Weil die österreichische Landwirtschaft im europäischen Vergleich relativ nachhaltig aufgestellt ist. Wenn das Prinzip eingeführt wird, dass öffentliches Geld nur für öffentliche Leistungen fließt, steht Österreich nicht schlecht da und kann auch in Zukunft damit rechnen, aus dem Europabudget ordentlich bedacht zu werden.
Realpolitisch wird das Gezerre um die Mittel aber beinhart. Vor allem die Länder mit großflächigen Betrieben – Frankreich, Deutschland, Polen, Rumänien – werden sich nicht so einfach etwas wegnehmen lassen. Zweifellos. Bloß wird es dieses Mal zu Kompromissen kommen müssen, weil die Mitgliedstaaten sonst wesentlich mehr ins Budget einzahlen müssen. Und ich sehe nicht, dass es relevante Mehrheiten für substanzielle Anhebungen der Mitgliedsbeiträge gibt. Die Frage ist nur: Wer kommt unter die Räder? Wird die Förderung der industriellen Landwirtschaft begrenzt – oder überhaupt eingestellt, wenn es nach mir als Grünem geht? Oder sagt man: Die industrielle Landwirtschaft wird die Welt ernähren, deshalb reduzieren wir die Förderungen für die Kleinstbetriebe.
Durch den Klimawandel geht jährlich weltweit landwirtschaftlich nutzbare Fläche verloren. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung. Wäre das nicht ein Argument für eine intensivere, industriellere Landwirtschaft? Keinesfalls. Wenn man die kurzfristigen Erträge vergleicht, hat die industrielle Landwirtschaft durchaus gute Ertragslagen. Wenn man sich aber das größere Bild anschaut, die Menge des Humus im Boden, seine Fähigkeit, Wasser zu speichern, dann sieht man, dass industrielle Landwirtschaft kein Zukunftskonzept sein kann. Wir haben es mit immer stärkeren Dürren zu tun, und deshalb wird die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens in Zukunft eine essenzielle Bedingung der Produktion sein. Wir sehen, dass die Monokulturen zu einer Verschlechterung der Bö- den beitragen. Das ist auch eine Frage der Artenvielfalt: Eine Mischkultur im biologischen Betrieb ist weitaus widerstandsfähiger gegen Einwirkungen des Klimawandels als ein 100-HektarMaisfeld. Übrigens ist das auch eine kostenneutrale Möglichkeit, den Klimawandel zu bekämpfen – indem man CO2 in Böden in Form von Humus bindet.
Die 2013 eingeführte Ökologisierung der Agrarförderungen ist laut Bericht des EU-Rechnungshofs wirkungslos und macht alles nur komplizierter. Ist dieser Befund aus Ihrer Erfahrung überraschend? Überhaupt nicht. Diese Reform, die im Rat von den Mitgliedstaaten verwässert wurde, hat zu einer enormen Bürokratisierung geführt. Das ist auch das, was mich als Landwirt aufregt. Wenn ich drei, vier Stunden pro Woche im Büro sitze und Formulare ausfülle, frage ich mich, ob das wirklich der Beruf ist, den ich gewählt habe. Da braucht es dringend Veränderung.
Für große Wellen hat europaweit jüngst die erneuerte Genehmigung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat gesorgt. War das gut oder schlecht? Bei Glyphosat sehe ich zwei Probleme. Das eine ist: Wie kommt es zu einer Zulassung in der Europäischen Union? Da hat selbst die Kommission reagiert und erkannt, das da etwas geändert werden muss. Man kann nicht ein Pestizid auf Basis von Studien zulassen, die die Industrie selbst zur Verfügung stellt. Oder zumindest müssen sie in so einem Fall komplett transparent sein. Da geht es ja auch um das Vertrauen der Konsumenten in die europäischen Institutionen.
Und das zweite Problem? Die schiere Menge der Anwendung. Es gibt weit giftigere Stoffe in der Landwirtschaft – aber sie werden nicht in dieser Masse angewandt. Wenn ich in einem südsteirischen Weingarten mit 60-prozentiger Hangneigung einen 30-Zentimeter-Streifen unter den Weinstöcken mit Glyphosat behandle, dann sind die alternativen Mittel dafür auch nicht unschädlich.
Die Dosis macht das Gift. Natürlich. Wenn man Glyphosat sehr bedacht und in geringem Ausmaß einsetzt, hätte es nie so eine Aufregung gegeben. Aber es wird mittlerweile auf Hunderttausenden Hektar bisweilen mehrfach pro Jahr ausgebracht.