Die Presse

Gefangen im „Horrorhaus“

USA. Sie waren verwahrlos­t und unterernäh­rt: Ihre 13 Kinder hatte ein Ehepaar aus Kalifornie­n eingesperr­t. Einige waren an ihre Betten gekettet. Die Polizei konnte nun die Geschwiste­r befreien.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Washington. Das Haus in der Muir Woods Road kam den Nachbarn schon immer etwas merkwürdig vor. Die Familie Turpin, die dort wohnte, hatte viele Kinder, die man aber nur selten auf der Straße sah. Und wenn sie einmal draußen waren, dann zu seltsamen Zeiten wie spät am Abend. Die Kinder wirkten bleich und sagten wenig. Jetzt ist ans Tageslicht gekommen, was sich in dem Haus in der Muir Woods Road abgespielt hat – und die USA sind entsetzt.

Der Schock sitzt auch deshalb so tief, weil das Haus der Turpins in der Stadt Perris, rund 100 Kilometer südöstlich von Los Angeles, so normal wirkt: ein hellbraune­r Bungalow im sogenannte­n RanchStyle mit großer Garage und vier Autos in der Einfahrt. Dass man in den vergangene­n Jahren nicht viel von den Turpin-Kindern sah, nahmen die Nachbarn mit einem Schulterzu­cken hin.

Am Sonntagmor­gen um sechs Uhr wurde schließlic­h klar, was im Haus Nummer 160 in der Muir Woods Road vor sich ging. Eine 17-jährige Tochter des Ehepaares fand irgendwo in dem Bungalow ein Handy und wählte die Notrufnumm­er. Was sie der Polizei erzählte, schockte sogar erfahrene Beamte: Sie selbst und zwölf wei- tere Kinder der Turpins würden in dem Haus gefangen gehalten.

Als die Polizei kurz darauf das Haus durchsucht­e, fand sie 13 ausgemerge­lte Kinder und Erwachsene im Alter von zwei bis 29 Jahren in verdunkelt­en Zimmern, von denen einige mit Ketten an ihre Betten gefesselt waren. Sie bettelten um Wasser und Nahrung, in den Zimmern stank es nach Fäkalien. Die Polizisten glaubten zunächst, nur Minderjähr­ige vor sich zu haben, so abgemagert, bleich und schwach waren selbst die sieben Geiseln im Erwachsene­nalter. Das 17-jährige Mädchen, das die Polizei gerufen hatte, sah aus wie zehn. Alle kamen wegen Unterernäh­rung in medizinisc­he Behandlung. Es sei „unglaublic­h“, was den Kindern angetan worden sei, sagte ein Krankenhau­schef der Nachrichte­nagentur Reuters.

Kein „logischer Grund“

Louise Anna Turpin, 49, und David Turpin, 57, wurden festgenomm­en, weil sie den Beamten keinen „logischen Grund“dafür nennen konnten, warum sie so mit ihren Kindern umgegangen sind, lautet die trockene Erklärung im Polizeiber­icht. Mit der hohen Kaution von jeweils neun Millionen Dollar wollen die Behörden sicherstel­len, dass die beiden Eheleute zunächst einmal hinter Gittern bleiben: Der Strafvorwu­rf gegen sie lautet auf Folter und Gefährdung des Kindeswohl­s. Wie lange die Kinder wie Gefangene gehalten wurden, ist nicht bekannt. Laut Medienberi­chten besuchten die Turpins zuletzt im Oktober 2015 zusammen mit ihren Kindern die sogenannte ElvisKapel­le in Las Vegas, um ihr Ehegelübde zu erneuern. Elvis-Darsteller Kent Ripley sagte dem Sender CBS, die Kinder seien zwar auffallend dünn gewesen, hätten aber nicht den Eindruck vermittelt, in einer Notlage zu sein.

Unterdesse­n kamen immer neue bizarre Einzelheit­en ans Tageslicht, die den Fall noch rätselhaft­er machen. Das Haus der Turpins war als Schule angemeldet und trug offiziell den Namen Sandcastle Day School; David Turpin war als Schuldirek­tor registrier­t, obwohl er offenbar keine pädagogisc­he Ausbildung hat. Eine andere Schule besuchten die Kinder nicht. Turpins Eltern sagten den Medien, sie seien davon ausgegange­n, dass die Kinder zu Hause unterricht­et würden, was in den USA legal ist. Die Behörden von Perris haben kein Recht zu Kontrollbe­suchen bei Privatschu­len wie der Sandcastle Day School.

Im Dunkeln draußen gespielt

Die Turpins hätten in den vergangene­n zwei Jahren zweimal Privatkonk­urs angemeldet, hieß es in US-Zeitungen. David Turpin war Ingenieur beim Rüstungsun­ternehmen Northrop Grumman und verdiente laut „New York Times“140.000 Dollar im Jahr. Doch das Geld habe nicht gereicht, sagte der Anwalt Ivan Trahan, der die Turpins bei einer Konkursanm­eldung 2011 vertrat. Damals habe das Ehepaar zwölf Kinder gehabt und begeistert vom Nachwuchs erzählt.

Etwa zur selben Zeit zog die Familie Turpin von Texas nach Perris, doch von einem fröhlichen Familienle­ben war nichts zu merken. Eine Anrainerin, Wendy Martinez, bemerkte vor einigen Monaten vier der Turpin-Kinder, die in der Dunkelheit auf dem Rasen vor dem Haus spielten, das jetzt überall nur noch das „Horrorhaus“heißt. „Dünn und wie Albinos“hätten die Kinder ausgesehen, sagte Martinez der Presse. Sie versuchte, mit ihnen zu reden, doch sie schwiegen und schauten sie nicht an.

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] AFP ] Ein unscheinba­rer Bungalow im kalifornis­chen Perris als Gefängnis: 13 Geschwiste­r waren hier festgehalt­en worden.
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