Die Presse

Deutsche Expertin: „Kopftuchfr­age dient zur Migrations­abwehr“

Kulturwiss­enschaftle­rin Gabriele Dietze sieht Mittel, ein „Außen“zu definieren.

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Wien. Die Freiheit der westlichen Frau wird durch das Kopftuch, das manche eingewande­rte Frauen tragen, nicht bedroht, sagt Gabriele Dietze. Aber die Fixierung auf dieses Thema verhindere, dass tatsächlic­h die Machtdiffe­renz und die Ungleichhe­it aller Frauen von der Agenda verschwind­en. Die Kulturwiss­enschaftle­rin von der Berliner Humboldt-Universitä­t, die am Dienstag als Keynote-Speakerin einer Diskussion­sveranstal­tung in der Arbeiterka­mmer Wien geladen ist, sieht in der Debatte über die Verschleie­rung vor allem eine Vorgangswe­ise des Westens, ein „Außen“zu definieren.

„Das Kopftuch als Projektion­sfläche“ist der Titel der Veranstalt­ung, bei der die Kopftuchde­batte aus verschiede­nen Blickwinke­ln betrachtet werden soll. Gerade das Argument der Unterwerfu­ng der muslimisch­en Frau durch das Kopftuch werde gern als Verzicht der sexuellen Selbstbest­immung interpreti­ert, so Dietze. Und jegliche Diskrimini­erung der Frau werde so auf eine bestimmte Gruppe abgewälzt – auf Einwandere­r, auf die das Bild des muslimisch­en Patriarche­n projiziert werde. Und ja, diese Unterdrück­ung gebe es, doch sei die keinesfall­s verallgeme­inerbar. Außerdem werde dadurch der Blick von Verfehlung­en in der eigenen Gruppe abgelenkt – „die exzessive Ausübung von Macht ist nicht an eine Kultur gebunden“, so Dietze.

Die jüngste Vergangenh­eit mit der MeToo-Debatte habe gezeigt, wie sehr Sexismus auch im Westen verankert ist. Dass beim Thema Gleichstel­lung gern mit dem Kopftuch argumentie­rt werde, sieht sie als Zeichen der kulturelle­n Arroganz des Westens, der davon ausgehe, dass Aufklärung und Säkularitä­t nur im sogenannte­n Abendland gelebt würden. Und dadurch, dass man die angebliche Rückständi­gkeit des anderen zeige, unterstrei­che man dessen Bedrohlich­keit. Sexualpoli­tik werde als „Mittel zur Migrations­abwehr“eingesetzt. (eko)

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