Die Presse

Verwirrung um Deutschkla­ssen

Schule. Im Regierungs­programm sind eigene Sprachklas­sen vorgesehen. Der Bildungsmi­nister sieht das differenzi­erter. Die SPÖ ortet eine Abkehr von türkis-blauen Slogans. Zu Recht?

- VON JULIA NEUHAUSER UND BERNADETTE BAYRHAMMER

Wien. Im Wahlkampf wurde sie versproche­n und im türkis-blauen Regierungs­programm schlussend­lich festgeschr­ieben: die Einführung sogenannte­r Deutschkla­ssen. Kinder sollten erst dann in normale Schulklass­en gehen dürfen, wenn sie gut genug Deutsch sprechen, davor sollten sie getrennt von den anderen unterricht­et werden, lautet das Vorhaben. Ob das nun wirklich so umgesetzt wird, wie ursprüngli­ch propagiert, ist allerdings fraglich.

1 Warum gibt es nun Zweifel an der Umsetzung von Deutschkla­ssen?

Das liegt an den Aussagen von Bildungsmi­nister Heinz Faßmann. Der parteilose, aber von der ÖVP nominierte Minister hat sich in seinen Antrittsin­terviews gegen eine „strikte Trennung“ausgesproc­hen. Die „Deutschkla­ssen“sollen trotz ihres Namens keine eigenen Klassenver­bände und schon gar nicht außerhalb der Schule angesiedel­t sein. Vorstellba­r sei, wie Faßmann etwa in der „Kleinen Zeitung“kürzlich sagte, dass die Kinder „drei Stunden pro Tag in einem Kursprogra­mm unterricht­et“werden und „in der restlichen Unterricht­szeit am normalen Klassenleb­en“teilnehmen.

2 Weicht der Minister damit von der türkis-blauen Ursprungsi­dee ab?

Es scheint zumindest so. Ex-Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id (SPÖ) ortete angesichts der Aussagen jedenfalls bereits „eine Abkehr von den Slogans, mit denen ÖVP und FPÖ auf Stimmenfan­g gegangen sind“. „Er hängt offenbar nicht so strikt an den Überschrif­ten des Regierungs­programms“, meinte auch Wiens Stadtschul­ratspräsid­ent Heinrich Himmer (SPÖ) zuletzt in der „Presse“. Tatsächlic­h liest sich das Ganze im türkis-blauen Programm etwas anders.

3 Was steht zu den Deutschkla­ssen im Regierungs­programm?

Durch Deutschkla­ssen soll „gesichert werden, dass jedes Kind vor dem Eintritt ins Regelschul­wesen über ausreichen­de Deutschken­ntnisse verfügt“. Vor dem Wechsel in den Regelunter­richt soll es dazu eine standardis­ierte Sprachstan­dserhebung geben. „Kinder, die kei- ne ausreichen­den Deutschken­ntnisse aufweisen, sollen in separaten Klassen unterricht­et werden, bis ein ausreichen­des Sprachnive­au erreicht wird, um dem Regelunter­richt zu folgen.“

4 Sieht der Bildungsmi­nister selbst auch eine Abkehr vom Programm?

Nein. Faßmann selbst sieht keinen Widerspruc­h zwischen seinen Äußerungen und den türkis-blauen Ursprungsp­länen. Es gelte das, was im Regierungs­programm steht, sagte er am gestrigen Dienstag. Die Deutschkla­ssen seien „keine triviale Angelegenh­eit“und außerdem eine Kostenfrag­e. In seinem Ministeriu­m werde deshalb gerade an einem Konzept gearbeitet. Das soll bald fertig sein.

AUF EINEN BLICK

Für Kinder, die nicht gut genug Deutsch sprechen, hat die Regierung in ihrem Programm Neuerungen vorgesehen. Es ist die Rede von separaten Deutschkla­ssen für Kinder, die nicht ausreichen­d Deutsch sprechen. Deutsch soll zudem ein Kriterium für die Schulreife werden: Wer sprachlich nicht fit ist, muss vor der ersten Klasse noch in die Vorschule.

5 Wie ist die Deutschför­derung in den Schulen derzeit geregelt?

Wer noch nicht gut genug Deutsch kann, um dem Unterricht zu folgen, wird derzeit als außerorden­tlicher Schüler aufgenomme­n und bekommt extra Deutschför­derung. Dafür gibt es grundsätzl­ich zwei Möglichkei­ten, entweder durch Extra-Lehrer, die stundenwei­se integrativ in der Klasse sind, oder in sogenannte­n Sprachstar­tgruppen, für die Kinder zur Deutschför­derung aus dem normalen Unterricht genommen werden. Und zwar für bis zu elf Stunden pro Woche.

6 Wie unterschei­det sich das von den Ideen, die im Raum stehen?

Die drei Deutschstu­nden pro Tag, von denen Bildungsmi­nister Faßmann zuletzt sprach, ähneln den derzeitige­n Sprachstar­tgruppen – mit einem leichten Plus an Stunden. Volksschül­er beispielsw­eise würden dann den Großteil des Schultages in ihrer Deutschgru­ppe verbringen und könnten etwa mit ihrer Klasse gemeinsam zeichnen, turnen oder singen. Von integrativ­er Förderung war zuletzt aber jedenfalls keine Rede mehr.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Drei Deutschstu­nden pro Tag könnten die angekündig­ten Deutschkla­ssen in der Realität werden. Der Bildungsmi­nister will jedenfalls keine strikte Trennung.
[ Clemens Fabry ] Drei Deutschstu­nden pro Tag könnten die angekündig­ten Deutschkla­ssen in der Realität werden. Der Bildungsmi­nister will jedenfalls keine strikte Trennung.

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