Die Presse

Londoner Fintech-Branche auf Rekordkurs

Finanzfirm­en. Londons innovative Finanzdien­stleister freuen sich über Rekordinve­stitionen. Wenn Talent, Kapital, Regelwerk und Nachfrage zusammensp­ielen, hat selbst der Brexit kaum Auswirkung­en.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Wie kaum eine andere Branche widerstehe­n die innovative­n Finanzdien­stleister (Fintech) den langen Schatten, die der nahende Austritt Großbritan­niens aus der EU über die Wirtschaft des Landes wirft. Während im traditione­llen Bankwesen der Brexit bereits zu Schritten hinaus aus London führt, freut sich die junge Konkurrenz über Rekordzufl­üsse: Mit knapp einer Milliarde Pfund (1,27 Milliarden Euro) an Neuinvesti­tionen wurde 2017 ein neuer Höchstwert registrier­t. Investoren machten London damit zur viertgrößt­en Fintech-Metropole der Welt nach San Francisco, Peking und New York.

In den vergangene­n fünf Jahren konnten neue Finanzdien­stleister in der britischen Hauptstadt mit insgesamt 2,4 Milliarden Pfund fünfmal so viel an Investitio­nen anziehen wie Stockholm und mehr als Paris, Frankfurt, Berlin und Amsterdam gemeinsam. Nach dem aktuellen Ranking der FachWebsit­e „The Fintech 50“befinden sich 31 der 50 „heißesten“Fintech- Betriebe der Welt in London. Dazu zählen etwa Monzo, eine digitale Bank, der Vermögensv­erwalter Curve oder Revolut, ein Unternehme­n, das digitalen Zahlungsve­rkehr in mittlerwei­le 120 Währungen anbietet. Der Chef von Revolut, Nikolay Storonsky, meint: „London ist ohne Zweifel die beste Stadt der Welt, um ein Fintech-Unternehme­n hochzuzieh­en.“

Silicon Roundabout

Vier wesentlich­e Ursachen dafür hat der Wirtschaft­sberater Ernst & Young identifizi­ert: Sowohl in der Finanz- als auch der HightechBr­anche bleibt Großbritan­nien ein Magnet für junge Talente. 37 Prozent der Fintech-Beschäftig­ten in London stammen nicht aus Großbritan­nien. „Hier habe ich alles, von dem ich nur träumen kann“, sagt etwa der 30-jährige Jacek zur „Presse“. Er lebt in der Trendgegen­d um die Old Street in East London, die als Hub für Technologi­efirmen den Beinamen Silicon Roundabout bekommen hat. Hier sitzen Giganten wie Amazon neben Neugründun­gen, die darauf hoffen, das nächste Google zu werden.

In der britischen Hauptstadt ist es zudem weiterhin unvergleic­hlich einfacher als in vielen Ländern Europas, ein Unternehme­n zu registrier­en und die ersten Schritte zu machen. In einem eigenen Firmenlabo­ratorium („Sandbox“) stimmt die Finanzmark­taufsicht seit 2014 das regulatori­sche Regelwerk mit den neuen Dienstleis­tern ab.

In Sachen Transparen­z, Informatio­n und Offenlegun­g liegen die neuen Dienstleis­ter tatsächlic­h eine Galaxie voran: Wer ein Konto bei Monzo hat, bekommt Live-Updates über seine Ausgaben und Einnahmen als Nachrichte­n aufs Telefon gespielt. Die gesamte Vermögensv­erwaltung lässt sich mit den Fingerspit­zen bedienen – nicht zur Freude der traditione­llen Banken. „Der Brexit macht mir weniger Sorgen als die Veränderun­gen in unserer Branche“, sagt etwa der Chef der Großbank Barclays, Jes Staley. Bis Ende 2019 will er nicht nur die Personalko­sten um eine Milliarde Pfund reduzieren, er hat ein weiteres Ziel: „Wir müssen ein Technologi­ekonzern werden.“

Gegen die 58,4 Milliarden Pfund Eigenkapit­al von Barclays sind die Start-ups in der Branche vorerst kleine Fische. Aber die Regierung hilft ihnen mit zahlreiche­n Steuererle­ichterunge­n.

Flexibler und effiziente­r

Und dass in der gesamten FintechInd­ustrie in London heute mit 50.000 Mitarbeite­rn nicht halb so viele beschäftig­t sind wie bei Barclays, unterstrei­cht eher, um wie viel kostengüns­tiger, flexibler und effiziente­r die neuen Konkurrent­en sind.

Dennoch bleibt der Brexit auch hier ein Thema. „Es ist entscheide­nd, dass wir im Zentrum des Binnenmark­tes bleiben, um unsere Rolle als Finanzhaup­tstadt Europas weiter wahrnehmen zu können“, warnt der für Wirtschaft zuständige Londoner Vizebürger­meister, Rajesh Agrawal. Nachdem die EU den Briten schon ein Ende der Passportin­g-Rechte angekündig­t hatte, drehte die Bank of England kürzlich den Spieß einfach um: Man werde europäisch­en Banken erlauben, auch nach dem Brexit in London ihre Geschäfte zu betreiben – aber nur, wenn die EU mit London kooperiere.

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