Londoner Fintech-Branche auf Rekordkurs
Finanzfirmen. Londons innovative Finanzdienstleister freuen sich über Rekordinvestitionen. Wenn Talent, Kapital, Regelwerk und Nachfrage zusammenspielen, hat selbst der Brexit kaum Auswirkungen.
London. Wie kaum eine andere Branche widerstehen die innovativen Finanzdienstleister (Fintech) den langen Schatten, die der nahende Austritt Großbritanniens aus der EU über die Wirtschaft des Landes wirft. Während im traditionellen Bankwesen der Brexit bereits zu Schritten hinaus aus London führt, freut sich die junge Konkurrenz über Rekordzuflüsse: Mit knapp einer Milliarde Pfund (1,27 Milliarden Euro) an Neuinvestitionen wurde 2017 ein neuer Höchstwert registriert. Investoren machten London damit zur viertgrößten Fintech-Metropole der Welt nach San Francisco, Peking und New York.
In den vergangenen fünf Jahren konnten neue Finanzdienstleister in der britischen Hauptstadt mit insgesamt 2,4 Milliarden Pfund fünfmal so viel an Investitionen anziehen wie Stockholm und mehr als Paris, Frankfurt, Berlin und Amsterdam gemeinsam. Nach dem aktuellen Ranking der FachWebsite „The Fintech 50“befinden sich 31 der 50 „heißesten“Fintech- Betriebe der Welt in London. Dazu zählen etwa Monzo, eine digitale Bank, der Vermögensverwalter Curve oder Revolut, ein Unternehmen, das digitalen Zahlungsverkehr in mittlerweile 120 Währungen anbietet. Der Chef von Revolut, Nikolay Storonsky, meint: „London ist ohne Zweifel die beste Stadt der Welt, um ein Fintech-Unternehmen hochzuziehen.“
Silicon Roundabout
Vier wesentliche Ursachen dafür hat der Wirtschaftsberater Ernst & Young identifiziert: Sowohl in der Finanz- als auch der HightechBranche bleibt Großbritannien ein Magnet für junge Talente. 37 Prozent der Fintech-Beschäftigten in London stammen nicht aus Großbritannien. „Hier habe ich alles, von dem ich nur träumen kann“, sagt etwa der 30-jährige Jacek zur „Presse“. Er lebt in der Trendgegend um die Old Street in East London, die als Hub für Technologiefirmen den Beinamen Silicon Roundabout bekommen hat. Hier sitzen Giganten wie Amazon neben Neugründungen, die darauf hoffen, das nächste Google zu werden.
In der britischen Hauptstadt ist es zudem weiterhin unvergleichlich einfacher als in vielen Ländern Europas, ein Unternehmen zu registrieren und die ersten Schritte zu machen. In einem eigenen Firmenlaboratorium („Sandbox“) stimmt die Finanzmarktaufsicht seit 2014 das regulatorische Regelwerk mit den neuen Dienstleistern ab.
In Sachen Transparenz, Information und Offenlegung liegen die neuen Dienstleister tatsächlich eine Galaxie voran: Wer ein Konto bei Monzo hat, bekommt Live-Updates über seine Ausgaben und Einnahmen als Nachrichten aufs Telefon gespielt. Die gesamte Vermögensverwaltung lässt sich mit den Fingerspitzen bedienen – nicht zur Freude der traditionellen Banken. „Der Brexit macht mir weniger Sorgen als die Veränderungen in unserer Branche“, sagt etwa der Chef der Großbank Barclays, Jes Staley. Bis Ende 2019 will er nicht nur die Personalkosten um eine Milliarde Pfund reduzieren, er hat ein weiteres Ziel: „Wir müssen ein Technologiekonzern werden.“
Gegen die 58,4 Milliarden Pfund Eigenkapital von Barclays sind die Start-ups in der Branche vorerst kleine Fische. Aber die Regierung hilft ihnen mit zahlreichen Steuererleichterungen.
Flexibler und effizienter
Und dass in der gesamten FintechIndustrie in London heute mit 50.000 Mitarbeitern nicht halb so viele beschäftigt sind wie bei Barclays, unterstreicht eher, um wie viel kostengünstiger, flexibler und effizienter die neuen Konkurrenten sind.
Dennoch bleibt der Brexit auch hier ein Thema. „Es ist entscheidend, dass wir im Zentrum des Binnenmarktes bleiben, um unsere Rolle als Finanzhauptstadt Europas weiter wahrnehmen zu können“, warnt der für Wirtschaft zuständige Londoner Vizebürgermeister, Rajesh Agrawal. Nachdem die EU den Briten schon ein Ende der Passporting-Rechte angekündigt hatte, drehte die Bank of England kürzlich den Spieß einfach um: Man werde europäischen Banken erlauben, auch nach dem Brexit in London ihre Geschäfte zu betreiben – aber nur, wenn die EU mit London kooperiere.