Die Presse

Kommen schwere Erdbeben vom vollen Mond?

Der alte Verdacht geht fehl. Ein neuer richtet sich auf die Erdrotatio­n.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wo Erdbeben kommen, weiß man ziemlich genau – überall dort, wo Teile der Erdkruste in Plattentek­tonik aneinander­geraten –, aber wann sie kommen, das lässt sich nicht vorhersehe­n, zumindest Seismologe­n können es nicht. Andere trauen es sich zu: „Wenn der Mond superextre­m wird, kommt Chaos: Gewaltige Stürme, Erdbeben, Vulkane und andere Naturkatas­trophen richten Verwüstung an.“Das stammt von Richard Nolle, einem einflussre­ichen US-Astrologen, und was den Einfluss des Mondes auf Beben betrifft, wird der alte Verdacht von vielen geteilt: Der Trabant hebt und senkt schließlic­h nicht nur die Meere, er zerrt mit seiner Gravitatio­n auch am festen Land, am kräftigste­n bei Vollmond.

Nicht weil er dann erstrahlt, sondern weil sich dann seine Gravitatio­nswirkung mit der (viel geringeren) der Sonne vereint. Das war so am 26. Dezember 2004, als das Sumatra-Beben den Tsunami über Ostasien brachte, es war so am 27. Februar 2010, als in Chile die Erde schwer bebte. Satoshi Ide (Tokio) bemerkte es, wies aber darauf hin, dass andere große Beben in anderen Mondphasen kamen, und dass der Mond keinerlei Zusammenha­ng mit kleinen Beben zeigt. Susan Hough vom US Geological Survey hat das nun aufgenomme­n und alle 214 Beben, die seit 1600 die Erde mit einer Magnitude von über 8 erschütter­t haben – die Magnitude ist ein objektives Maß, sie geht nicht wie der Richter-Wert auf angerichte­te Schäden –, analysiert: Sie fand keine gehäuften Vollmonde, im Gegenteil, die höchste Bebenzahl an einem bestimmten Tag – 16 – kam sieben Tage nach Neumond, dann, wenn die Kräfte von Sonne und Mond einander schwächen (Seismologi­cal Research Letters 16. 1.).

Die Erde bremst sich periodisch ein

Ernster genommen wurde, obwohl es absurd klang, was Roger Bilham (Boulder) auf der jüngsten Tagung der US-Geologen vortrug: Er fand bei Beben mit Magnituden über 7 über die vergangene­n 100 Jahre ein frappantes Muster: Die Erde rotiert nicht immer gleich, periodisch werden die Tage um Millisekun­den kürzer, über Jahre hin. Und fünf bis sechs Jahre nach Beginn des Bremsens steigt die Zahl der schweren Beben. Ein möglicher Mechanismu­s ist unbekannt, es könnte sein, dass die Erde sich beim Bremsen verformt, es könnte auch sein, dass das durch das Bremsen veränderte Magnetfeld mitspielt (Science 388, S. 575).

Könnte es überhaupt sein? Auf der Konferenz konzediert­e Bilham, es könnte auch sein, dass alles „Unfug“ist. Aber es hat den Vorteil, dass man es prüfen kann, bald: 2018 ist die Erde in ein sechstes Jahr der verringert­en Rotation gegangen.

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