Europas „Symphonie fantastique“
Wiener Symphoniker. Wiens Konzertorchester absolviert unter Philippe Jordan gerade den zweiten Beethoven-Zyklus – und kündigt für 2018/19 einen Berlioz-Schwerpunkt an.
Gewissermaßen als direkten Anschluss an den soeben zum zweiten Mal ablaufenden Beethoven-Zyklus planen die Wiener Symphoniker mit ihrem Chefdirigenten Philippe Jordan für die kommende Spielzeit einen Schwerpunkt mit Werken von Hector Berlioz, dessen Todestag sich 2019 zum 150. Mal jähren wird. Wie schon für Beethoven agieren die beiden großen Wiener Konzertveranstalter, Musikverein und Konzerthaus, für Wiens wichtigstes Konzertorchester und seinen Musikchef in trauter Zweisamkeit – Thomas Angyan und Matthias Naske stellten die „Berlioz-Mania“mit Philippe Jordan und Symphoniker-Direktor Johannes Neubert in den Räumen der Französischen Botschaft vor.
Der Direktor des französischen Kulturinstituts, Jacques-Pierre Gougeon, verwies auf die Verbindungen zwischen Wien und Paris und auf das Europäertum Hector Berlioz’, das Maestro Jordan in seinem brillanten, frei improvisierten Statement über die musikhistorische Bedeutung des Komponisten sachkundig zu untermauern wusste. Mit Berlioz beginne die Emanzipation des Klanges in der europäischen Musik. Die virtuose Technik der Farbmischungen und der Instrumentation hätte alle nachfolgenden Komponisten ebenso beeinflusst wie Berlioz’ kühne formale Neuerungen.
Der Berlioz-Schwerpunkt soll deutlich machen, dass die Musik dieses Komponisten das Missing Link zwischen der Wiener Klassik und der Romantik darstellt – und noch weit in die Moderne hinein wirkt.
Musikverein und Konzerthaus binden die Konzerte in ihre Abonnementreihen ein und teilen sich auch die Großprojekte auf: Das gigantisch besetzte „Requiem“erklingt im Goldenen Saal, „Fausts Verdammnis“im Konzerthaus. Die Solistenriege ist prominent, Thomas Hampson wagt sich erstmals an die – in der Regel von Mezzosopranen gesungenen – „Nuits d’et´e“,´ Bryan Hymel übernimmt das heikle Tenorsolo in der „Grand Messe des Morts“.
Spannend die rare Gegenüberstellung der „Symphonie fantastique“mit deren Fortsetzung „Lelio´ ou Le Retour a` la Vie“.
Der zweite Beethoven-Durchgang
Inzwischen läuft im Konzerthaus der zweite Durchlauf des gesamten Beethoven-Symphonienzyklus, mit dem man nicht bis zum Beethoven-Jahr 2020 warten wollte. Die Musikvereins-Konzerte im Vorjahr wurden mitgeschnitten. Die Symphonien 1, 3, 4 und 5 liegen mittlerweile auf CD vor und helfen mit die Frage zu beantworten, ob man bei der Vielzahl an Beethoven-Zyklen, wie sie Wiens beide Konzerthäuser, Musikverein und Konzerthaus, immer wieder offerieren, noch Neues beitragen könne. Durchaus, möchte antworten, wer die Livedarbietung der „Eroica“am dritten Zyklusabend im Konzerthaus hören durfte.
Worauf Jordan im Programmheft hinweist, das versucht er mit seinem ideal seinen Intentionen folgenden Orchester konsequent umzusetzen – was die eine oder an- dere Ungenauigkeit oder scharfe Akzentuierung namentlich bei den Geigen nicht ausschließt. Beethoven greift, so Jordan, die Idee einer „Finalsymphonie“nicht erst in seiner Fünften auf. Entsprechend misst Jordan dem Schlusssatz der Dritten mehr Bedeutung zu, als es sonst der Fall ist.
Tänzerisches Intermezzo
Er fokussiert seine Darstellung weniger auf den Stirnsatz, so markant er hier Akzente setzt, sondern sieht diesen vielmehr als Einheit mit dem folgenden „Trauermarsch“– gewissermaßen als eine Art Vorwegnahme von Mahlers Fünfter, in der die beiden ersten Sätze gemeinsam einen Sonatensatz bilden. Dagegen erscheint das Scherzo der „Eroica“in dieser Lesart weniger auftrumpfend. Es präsentiert sich als eine Art tänzerisches Intermezzo, das auf das sich zu einer Apotheose steigernde Finale vorbereitet.
Verglichen mit dieser Interpretation erklang die an den Beginn dieses heftig akklamierten Abends gestellte Erste konventionell. Jordan setzte hier zwar ebenfalls auf zügige Tempi, viel Elan, größtmögliche Transparenz und plastische Herausarbeitung der einzelnen Stimmen. Aber manches – vornehmlich im Allegro con brio des Stirnsatzes und im Allegro molto e vivace des Finales – hätte sich noch eleganter phrasieren, das Andante cantabile noch differenzierter artikulieren lassen.
Gewiss, Einwände auf höchstem Niveau, die aber zeigen, dass selbst in dieser exzellenten Partnerschaft noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind.