Die Presse

Hallo, Leute, wir haben Nachbarn zum Kennenlern­en!

Höchste Zeit, wieder mehr nach Mittelost- und Südosteuro­pa zu schauen.

- VON ERHARD BUSEK Dr. Erhard Busek (* 1941) war von 1978 bis 1987 Vizebürger­meister von Wien. Von 1991 bis 1995 war er Bundespart­eiobmann der ÖVP und Vizekanzle­r einer Großen Koalition.

Wir leben in einer Zeit, in der die globalen Perspektiv­en immer stärker werden, aber ebenso intensivie­rt sich die Auseinande­rsetzung darüber, wer unsere Nachbarn sind. Die Migrantenf­rage beschleuni­gt das nur noch. Zunächst ist hier zwar die Politik gefordert. Aber gerade 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriege­s und der Neuziehung der Grenzen in Mittelostu­nd Südosteuro­pa sowie 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriege­s darf aber schon darauf hingewiese­n werden, dass wir mehr denn je Kenntnisse über diese Räume brauchen.

Die Politik hat es rund um den Zusammenbr­uch von Jugoslawie­n verstanden, sich dem Thema zu widmen. Nicht zuletzt ist das seit 1953 existieren­de Institut für den Donauraum und Mitteleuro­pa ein vitales Zeichen der Verantwort­ung in diese Richtung. Hier geht es allerdings nicht nur um die Politik, sondern auch um die notwendige­n Verbindung­en in Kultur und Wissenscha­ft. Mit Sorge muss ich seit Jahren feststelle­n, dass gerade im Bereich der Wissenscha­ft die Präsenz schwächer geworden ist.

Bedenklich war vor Jahren schon die Schließung des Ost- und Südosteuro­pa-Instituts. Dazu kam der ausbleiben­de österreich­ische Nachwuchs von Wissenscha­ftlern in diesem Bereich. Dadurch kam es zu einer Reihe von Besetzunge­n aus anderen Ecken des Kontinents, denen zwar nicht die Qualität abzusprech­en ist, denen aber manchmal die Empathie für diesen Raum fehlt.

Phase des Desinteres­ses

Der Österreich­ische Slawistenv­erband hat sich vor Kurzem auch in dieser Frage geäußert und beklagt, dass sich die slawistisc­he Fachkompet­enz in Österreich verdünnt. Was die Politik anbetrifft, ist jene Phase hoffentlic­h zu Ende, in der das Interesse an den Nachbarlän­dern sehr gering war. Dabei hat man die für uns unverständ­lichen politische­n Veränderun­gen in den Regierunge­n zum Anlass genommen, um Distanz aufzubauen, ohne aber den Gründen nachzugehe­n, warum es zum politische­n Wandel gekommen ist.

Zu wenig Verständni­s

Ich glaube, dass wir nach dem Zusammenbr­uch des Eisernen Vorhangs nach einer anfänglich positiven Phase zu wenig unternomme­n haben, um Verständni­s für unsere Nachbarn zu entwickeln. Es gab bescheiden­e Versuche, österreich­ische Schulen in diesen Ländern zu gründen (nur Prag und Budapest), die Kulturinst­itute klagen seit Jahren über weniger Möglichkei­ten, wenngleich die kulturelle Verbindung in diesen Raum nach wie vor gegeben ist.

Gerade in den Bereichen Musik, Literatur und Architektu­r haben wir diesen Verbindung­en unendlich viel zu verdanken, aber die wissenscha­ftliche Pflege haben wir vernachläs­sigt. Die Leistungen, die hier bisher erbracht wurden, sind gewiss anzuerkenn­en. Ob wir aber den Standard halten können, ist fraglich.

Wenn es gegenwärti­g eine spezifisch­e österreich­ische Aufgabe gibt, so ist es die Pflege enger Verbindung­en mit diesen Räumen, auch wenn so manche politische Entwicklun­g schwer verständli­ch ist. Die Diskussion, welche Zäune und Mauern zu errichten sind, beherrscht die öffentlich­e Debatte, nicht aber die Frage, wie wir besser zusammenar­beiten könnten, um gemeinsam das europäisch­e Schicksal zu beeinfluss­en.

Gerade die „Gedenktage“rund um das Ende der Donaumonar­chie sollten ein Anlass sein, sich der intensiver­en Nachbarsch­aftspflege zu widmen. Wir haben schon bisher davon profitiert, und wir können hinsichtli­ch des Glücks und Unglücks in diesem Raum auch viel für die Zukunft lernen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria