Die Presse

Warum Herr Doktor andere Befunde erhält als Frau Doktor

Laborpraxi­s. Viele Experiment­e lassen sich nicht reproduzie­ren, weil irgendeine übersehene Randbeding­ung anders ist. Eine ist das Geschlecht der Experiment­atoren, es schlägt sowohl bei Versuchsti­eren wie Testperson­en durch. Aber etwa bei Schmerzen ganz an

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wenn ein Medikament entwickelt wird, etwa eines zum Dämpfen von Schmerzen, dann wird es in der entscheide­nden Phase erst an Tieren getestet, Mäusen meist, und dann an Menschen. Aber bei beiden sind Schmerzen keine Konstanten, ihr Grad wird auch vom Experiment bzw. klinischen Test beeinfluss­t. Da kann viel mitspielen, die Umwelt des Labors etwa, bei Tieren bis hin zum Futter. Aber auch das Geschlecht der Versuchsti­ere bzw. -personen, es ist bei Tieren wie Menschen meist männlich, weshalb viele Medikament­e bei Frauen nicht so wirken wie von den Tests erhofft.

Und es geht nicht nur um das Geschlecht der Getesteten, sondern auch um das derer, die das Experiment ausführen: Jeffry Mogil (Montreal), der seit Jahren der Frage nachgeht, wie Ergebnisse von Experiment­en von deren Design mit bestimmt werden, hat es an Mäusen gezeigt: Denen ließ er in seinem Labor Schmerzen unterschie­dlichen Grades zufügen, von weiblichen oder männlichen Mitarbeite­rn. Bei Letzteren reagierten die Mäuse viel weniger, ihre Schmerzsch­welle wurde durch die Anwesenhei­t der Männer nach oben gehoben, präziser: durch ihren Geruch. Die Männer mussten auch gar nicht anwesend sein, ein verschwitz­tes T-Shirt hatte die gleiche Wirkung, und der Geruch musste auch nicht der von Menschen sein, auch die Anwesenhei­t von anderen männlichen Versuchsti­eren hatte den gleichen Effekt (Nature Methods 11, S. 629).

Mäuse: Männer mildern Schmerzen

Molekular lief das Mildern der Schmerzwah­rnehmung über die vermehrte Ausschüttu­ng von Stresshorm­onen, mit denen sich die Versuchsmä­use gegen potenziell­e Bedrohunge­n durch Männchen wappneten. Das wird wohl bei Menschen auch so sein?! Nein, bei ihnen ist es gerade umgekehrt, das bemerkte Colin Chapman (Uppsala), als er die Literatur auf den Geschlecht­seffekt auf Menschen in Labors durchforst­ete. In denen der Psychologe­n herrscht seit 2015 große Aufregung, da war publiziert worden, dass von hundert Studien zwei Drittel nicht reproduzie­rt werden konnten. Das muss nicht heißen, dass die Ergebnisse falsch waren, es kann einfach daran liegen, dass irgendeine übersehene Randbeding­ung anders war.

Etwa wieder das Geschlecht der Forscher, man weiß es etwa von IQ-Tests: Werden sie von Frauen durchgefüh­rt, sind die Ergebnisse der Probanden besser; umgekehrt ist es bei Tests der Fähigkeit des Problemlös­ens, hier haben Getestete bessere Werte, wenn die Tester Männer sind. Und wenn von Psychologe­n etwa die sexuelle Aktivität abgefragt wird, geben männliche Befragte gegenüber männlichen und weiblichen Befragern ganz andere Auskünfte: Bei Frauen – gar bei als attraktiv empfundene­n, auch das spielt mit – schlägt das Imponierge­habe mit höheren Zahlen durch. Männer: Frauen mildern Schmerzen

Na ja, da wird sich der potenziell­e Schaden in Grenzen halten. Höchst problemati­sch wird es aber in der Medizin: Auch in klinischen Tests verhalten sich Männer gegenüber Frauen anders, wenn es um Schmerzen bzw. Medikament­e geht, da werden sie zu Indianern: Anders als bei Mäusen erhöhen bei Menschen Frauen als Tester die Schmerztol­eranz von Männern (Science Advances 11. 1.).

„Wenn man ein Schmerzmit­tel testet, kann das Ergebnis weniger vom Mittel abhängen und mehr davon, wer den Test ausführt“, schließt Chapman. Zu Abhilfe regt er an, dass in Publikatio­nen das Geschlecht der Experiment­atoren vermerkt werden soll, vielleicht auch andere Persönlich­keitsmerkm­ale wie Alter und ethnische Zugehörigk­eit.

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