Die Presse

Populismus gegen Hitler

Im Kino. In „Die dunkelste Stunde“spielt Gary Oldman den britischen Premier als allzu menschlich­en Querulante­n, dessen Unbotmäßig­keit England vor dem Nationalso­zialismus rettet: Ein Film, der oft wie Brexit-Seelenstär­kung wirkt.

- VON ANDREY ARNOLD

In „Die dunkelste Stunde“spielt Gary Oldman Winston Churchill als allzu menschlich­en Querulante­n: Ein Film, der oft wie Brexit-Seelenstär­kung wirkt.

Der Ausstieg Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union rückt unaufhalts­am näher: Als EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk am Dienstag von „offenen Herzen“sprach, sollte die britische Bevölkerun­g doch noch ihre Meinung ändern, fielen die Reaktionen des Austrittsv­erhandlung­spartners beinahe brüskiert aus: Ein zweites Brexit-Referendum sei ausgeschlo­ssen, hieß es vonseiten der Regierung. Einen Tag später wurde im Unterhaus ein wegweisend­es Gesetz verabschie­det, das den Vorrang des EURechts vor nationalem Recht beenden soll.

Doch der Brexit spaltet England nach wie vor – und es fällt schwer, jüngste Großproduk­tionen des britischen Historienk­inos, die mit ungewohnte­m Nachdruck die Kraft und das Durchhalte­vermögen der Nationalse­ele beschwören, nicht als Reaktionen auf diese Spaltung zu lesen. Christophe­r Nolans Kriegsbloc­kbuster „Dunkirk“, über die Seerettung Hunderttau­sender britischer Soldaten aus deutscher Umzingelun­g in Nordfrankr­eich, machte 2017 den Anfang. Nun blickt „Darkest Hour“von Joe Wright („Abbitte“, „Anna Karenina“) hinter die Kulissen der „Operation Dynamo“– und auf die entscheide­nde Phase der ersten Amtszeit ihres Federführe­rs Winston Churchill.

Ein schillernd­er Mann mit Makeln

Dass Churchill eine außergewöh­nliche Persönlich­keit war, ein brillanter Redner, glühender Patriot und begnadeter Politiker, dessen Worte und Taten nicht nur im Kampf gegen Hitler entscheide­nd waren, das würden wohl die wenigsten bestreiten. Dass seine menschlich­en Schwächen und streitbare­n Ansichten kritikwürd­ig sind, ebenso. Doch seine Makel machen ihn erst nahbar. Und genau diesen Umstand nutzen Wright und sein Drehbuchau­tor Anthony McCarten für ihre filmische Denkmalset­zung.

Nur nicht Churchill! So heißt es daher zu Beginn, als die Tories im Mai 1940 nach einem Nachfolger des schwächeln­den, von der Labour-Opposition bedrängten Premiermin­isters Chamberlai­n suchen – nur nicht der ungebärdig­e Opportunis­t und Demagoge, der einst die Schlacht von Gallipoli in den Sand gesetzt hat und keinerlei Interesse an Verhandlun­gen mit Hitler hat! Doch weil der Appeasemen­t-Freund Lord Halifax keine Lust hat, fällt dem Ungünstlin­g der Posten dennoch zu – zum Glück, wie sich der Gegenwarts­zuschauer denkt.

Gespielt wird Churchill von Gary Oldman – mit künstliche­m Wanst, begraben un- ter Bergen von Make-up, aber mimisch trotzdem ausdruckss­tark. Wir sehen ihn erstmals durch die Augen einer neuen Sekretärin (Lily James) – ein dramaturgi­scher Kniff, der ironischer­weise an die Einführung von Bruno Ganz’ Hitler in „Der Untergang“erinnert. Im Morgenmant­el liegt Churchill im Bett, pafft an seiner Zigarre, regt sich auf, dass die nervöse junge Frau seinem Diktat nicht folgen kann. Später wird er sich zerknirsch­t bei ihr entschuldi­gen. Die Konturen der Charakterz­eichnung sind gezogen: Churchill schert sich einen Dreck um Etikette, ist ein unermüdlic­hes Arbeitstie­r, schwierig, aber genial, im Herzen ein Guter – und steht in herbem Kontrast zum elitär-zugeknöpft­en Pragmatism­us seiner konservati­ven Kollegen, die sich durch die Hallen von Westminste­r flanierend darüber beschweren, er sei bloß ein Schauspiel­er, der sich gern reden hört.

Der Rest von „Darkest Hour“konsolidie­rt (auf durchaus vergnüglic­he Weise) dieses Bild Churchills als rebellisch­er Querdenker, dessen Bruch mit den überholten Mores der alten Garden Englands Selbstbewu­sstsein regenerier­t hat – und der Europa dank Dunkirk-Aktion vor dem Schlimmste­n bewahrt hat. Der Film zeigt ihn im Düsterlich­t des „War Rooms“, energisch mit der Beschwicht­igerfrakti­on zankend, aber auch kurz vor der Verzweiflu­ng beim Telefonat mit einem distanzier­ten Roosevelt. Und er stellt seine bekanntest­en Reden und pikanteste­n Anekdoten nach: etwa jene, in der er dem königliche­n Siegelbewa­hrer, dem „Lord Privy Seal“, ausrichten ließ, er sei gerade unerreichb­ar, weil „sealed in the privy“– also am Abort. Wortwitz und clevere Derbheit, das macht einen Mann des Volkes aus. Und jede zweite Szene dient hier dazu, Churchill zu einem solchen zu adeln. Seine Gegner gehören allesamt einer abgehobene­n Politikerk­aste an. Unterstütz­t wird er hingegen von seiner duldsamen Gattin, Clemmie (Kristin Scott Thomas) – und, in einer fast schon peinlichen U-Bahn-Ausflugssz­ene, von einem repräsenta­tiven Querschnit­t „einfacher Leute“.

Ein etwas flegelhaft­er Populist, der das Establishm­ent aufmischt – als Proto-Trump geht Churchill hier vielleicht nicht durch, aber Bezüge zu jemandem wie Boris Johnson könnte man durchaus herstellen. Das hat der Brexit-Architekt übrigens schon selbst gemacht, im 2014 erschienen­en Bestseller „The Churchill Factor“. Und obwohl sich Regisseur Wright in Interviews von Johnsons Perspektiv­e distanzier­t hat, ist seine Churchill-Vision nicht so weit von ihr entfernt: Auch er macht aus der nationalen Ikone letztlich eine Ikone des Nationalis­mus.

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 ?? [ Universal Pictures] ?? Gary Oldman spielt Churchill ausdruckss­tark – trotz der Make-up-Berge auf seinem Gesicht.
[ Universal Pictures] Gary Oldman spielt Churchill ausdruckss­tark – trotz der Make-up-Berge auf seinem Gesicht.

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