Die Presse

Der Türsteher von Netflix

Österreich. Alexander Windbichle­r bringt Weltkonzer­ne ins Netz. Sein größtes Problem: die Flut an Kriminelle­n, die Websites lahmlegen. Die Lösung: ein Roboter, der Angreifer automatisc­h aussperrt.

- VON MATTHIAS AUER

Unternehme­r Alexander Windbichle­r bringt Weltkonzer­ne mit einem Roboter, der Angreifer automatisc­h aussperrt, ins Netz.

All jene, die ein paar Euro in Kryptowähr­ungen investiert haben, kennen das Problem: Der BitcoinPre­is schwankt stark – und wer rasch darauf reagieren will, wird oft von der Technik ausgebrems­t. Zu Stoßzeiten sind die großen Onlinebörs­en heillos überlastet. Zu groß ist der Andrang im Kryptohype. Bei klassische­n Internetfi­rmen ist es nicht anders. Kommen zu viele gleichzeit­ig, gehen auch ihre Seiten in die Knie. Umso schlimmer, wenn nicht zahlende Kunden durch die Tür drängen, sondern Kriminelle die Internetse­ite mit sinnlosen Anfragen gezielt lähmen wollen, um Lösegeld zu erpressen.

Gegen solche DDoS-Attacken kämpft auch Alexander Windbichle­r. Der gebürtige Kärntner ist mit seinem Unternehme­n Anexia einer der aufstreben­den Webhoster des Landes. Wer in Österreich eine Netflix-Serie anklickt, lädt die Daten direkt aus Windbichle­rs Rechenzent­ren im Herzen Wiens. Aber nicht nur der US-Seriengiga­nt, auch internatio­nale Industrieg­rößen wie Airbus oder Lufthansa und sogar etliche US-Behörden lassen ihre Webauftrit­te vom Junguntern­ehmer aus Österreich steuern.

„Wir können es uns nicht leisten, dass diese Seiten offline gehen“, sagt Alexander Windbichle­r zur „Presse“. Bei großen Onlineshop­s läuten etwa schon die Alarmglock­en, wenn nur eine Minute lang keine Bestellung reinkommt. In der Luftfahrtb­ranche bleiben schlimmste­nfalls nicht nur die Kunden aus, sondern auch die Flugzeuge am Boden. Jeder Ausfall kostet bares Geld. Kein Wunder, dass manche Anexia-Kunden darauf bestehen, dass jederzeit zwei schwerbewa­ffnete Männer vor „ihren“Serverräum­en patrouilli­eren.

Damit verhindern sie immerhin, dass Konkurrent­en – wie vor einigen Jahren in Russland geschehen – mit Kalaschnik­ows hereingest­ürmt kommen und die digitale Basis für das Geschäft des Rivalen kaputtschi­eßen. Gegen Attacken aus dem Cyberspace schützt aber auch die eigene Kleinarmee nicht.

5000 Angriffe pro Stunde

Und Angriffe gibt es mehr als genug: In jeder Stunde wehrt Anexia im Schnitt rund 5000 Attacken auf die Internetse­iten ihrer Kunden ab. Tendenz steigend. Denn die Latte für Nachwuchsh­acker liegt niedrig wie nie zuvor: Um 50 Dollar kann man eine Internetse­ite für eine halbe Stunde offline gehen lassen – und Lösegeld erpressen.

Viele Internetpr­ovider gehen nach einem solchen Schuss vor den Bug zunächst in Deckung, nehmen die Seite vom Netz und versuchen, die Lücke zu stopfen. Das ist gut und richtig, kostet aber viel Geld. Denn jede Minute offline wirkt sich auf Internetfi­rmen aus, als ob Industrieb­etriebe plötzlich die Produktion stoppen müssten.

AUF EINEN BLICK Mit seinem Unternehme­n Anexia

bringt Alexander Windbichle­r Konzerne wie Lufthansa, Netflix oder Airbus ins Netz. Um sie besser vor Cyberattac­ken zu schützen, hat der Kärntner eine Software entwickelt, die Angreifer vollautoma­tisch schadlos machen kann. Anexia hat 170 Mitarbeite­r und macht jedes Jahr zig Millionen Euro Umsatz.

Für Alexander Windbichle­r ist das keine Option mehr. Um etliche Millionen Euro hat er daher groß aufgerüste­t: 3000 Kilometer Glasfasern­etz quer durch Europa wurden verlegt, um den Kunden die nötige Bandbreite zu sichern. Jetzt ist das Eingangsto­r zu den Seiten so groß, dass prinzipiel­l alle hereinkomm­en können, auch die Angreifer. Ein simples Überforder­n der Websites ist damit nicht so leicht möglich.

„Jede Anomalie ist verdächtig“

Das Novum des Projekts „Backbone Europe“ist aber der „digitale Türsteher“. So nennt der Programmie­rer jene künstliche Intelligen­z, die fortan entscheide­t, wer hereingebe­ten und wer hinausgewo­rfen wird. Wie geht das im Detail?

„Bestimmte Herkunftsr­egionen oder ein bestimmtes Verhalten machen Nutzer verdächtig“, erklärt Windbichle­r. Jede Anomalie zum üblichen Nutzerstro­m wird vom selbst entwickelt­en Programm automatisc­h erkannt – und näher untersucht.

Das Modell ist in seiner Form einzigarti­g in Europa. Doch es ist auch kritisch: Denn um wirklich effektiv sein zu können, muss Anexia die Nutzer seiner Kunden eingehend durchleuch­ten. Auch manche Kollateral­schäden scheinen durchaus möglich. Werden private Computer etwa von Kriminelle­n gekapert, um als Teil eines Botnetzes Internetse­iten zu attackiere­n, könnten die PC-Besitzer selbst rasch als potenziell­e Angreifer gebrandmar­kt werden. Windbichle­r schließt das aus. „Botnetze sind ziemlich dumm“, sagt er. Der Türsteher könne gut unterschei­den, ob ein echter Mensch oder ein Schadprogr­amm auf eine Internetse­ite zugreifen will. Dafür müsse man sich die Kunden eben genauer ansehen. „Wir analysiere­n aber nur das Verhalten, nicht die Inhalte“, versichert Windbichle­r. „Bei uns klopfen jeden Tag Behörden an und wollen Informatio­nen über die Nutzer.“Dass sie dabei auf Granit stoßen, sei selbstvers­tändlich. Alles andere wäre in seiner Branche der Todesstoß.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Hier lagern alle Netflix-Serien: Alexander Windbichle­r in seinem Rechenzent­rum im sechsten Wiener Gemeindebe­zirk.
[ Clemens Fabry ] Hier lagern alle Netflix-Serien: Alexander Windbichle­r in seinem Rechenzent­rum im sechsten Wiener Gemeindebe­zirk.

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