Kleinstaaterei lähmt Kampf gegen Steuerbetrug
Analyse. Finanzkommissar Moscovici schlägt eine Vereinfachung der Mehrwertsteuer vor. Wann dies umgesetzt wird, ist wegen des Vetorechts im Finanzministerrat ungewiss – so wie in fast allen großen Dossiers zu Steuerfragen.
Die Europäische Union mag nicht bei jedem ihrer Bürger gleich hohes Ansehen genießen, doch zumindest in einer Frage wünscht sich eine satte Mehrheit der Europäer ein stärkeres gemeinsames Vorgehen: nämlich im Kampf gegen den Steuerbetrug. 75 Prozent der Befragten gaben diese Antwort im Juni 2016 bei einer Eurobarometerumfrage. Man könnte also meinen, dass sich aus diesem Volkswillen ein klarer politischer Auftrag ableitet.
Doch ein Blick auf die konkreten Entscheidungen der Finanzminister in ihren Brüsseler Ratssitzungen führt zum gegenläufigen Schluss. Kaum einer der wesentlichen Gesetzgebungsvorschläge, welche die Europäische Kommission in der jüngeren Vergangenheit zur Verhinderung der Steuerflucht und Abgabenhinterziehung vorgelegt hat, ist seither Gesetz geworden. Und wenn, nach langem Ziehen und Zerren, ein Vorschlag in Kraft trat, dann fast immer stark verwässert und mit verminderter Schlagkraft. Der Grund dafür ist einfach: Steuersachen sind in der EU eine Frage der Einstimmigkeit. Jeder Minister kann, um seinen fiskalpolitischen Schrebergarten zu beschirmen, sein Veto einlegen.
So gibt es weiterhin keine konsolidierte gemeinsame Berechnungsgrundlage dafür, wie Körperschaftssteuern (KöSt) in der Union zu berechnen sind. Im Jahr 2011 hat die Kommission den ersten Vorschlag dafür auf den Tisch gelegt. 2013 wiesen die Finanzminister ihn zurück. Laut Website des Ratssekretariats hat sich die Arbeitsgruppe der Finanzminister am 3. November 2016 letztmals mit den nach dieser Ablehnung neu formulierten Vorschlägen der Kommission zur Vereinfachung der Konzernbesteuerung und des unfairen Steuerwettbewerbs befasst. Während des bis Ende Juni laufenden Ratsvorsitzes Bulgariens wird es keinen Durchbruch geben. Sofia nimmt sich bloß vor, die Arbeit „auf technischer Ebene fortzusetzen“, heißt es im bulgarischen Arbeitsprogramm.
Ähnlich sieht es im Kampf gegen überseeische Steueroasen aus. Zwar einigte man sich Ende vorigen Jahres nach langen Mühen auf eine schwarze Liste von Jurisdiktionen, die in Steuerfragen nicht ordentlich mit der Union kooperieren. Doch kommenden Dienstag werden die Finanzminister bei ihrer Ratstagung beschließen, Barbados, Grenada, Südkorea, Macao, die Mongolei, Panama, Tunesien und die Vereinigten Arabischen Emirate von der Liste zu streichen. Sie hätten in der Zwischenzeit glaubwürdige Zusagen gemacht. Welche, ist Amtsgeheimnis. Die Schwarze Liste (auf der sich nun bloß American Samoa, Bahrain, Guam, die Marshall-Inseln, Namibia, Palau, Saint Lucia, Samoa sowie Trinidad und Tobago befinden) sei nur glaubwürdig, wenn diese Zusagen und deren Bewertung durch die Union veröffentlicht würden, kritisiert der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold.
Es ist mehr als ein Jahr her, dass die Finanzminister letztmals einen Richtlinienvorschlag in Steuerfragen beschlossen haben. Das war am 6. Dezember 2016, als man die Verpflichtung beschloss, den Steuerbehörden im Kampf gegen Geldwäsche Zugang zu den Letztbegünstigen von Unternehmen zu gewähren.
Am Donnerstag stellte Finanzkommissar Pierre Moscovici eine Reform der Mehrwertsteuerrichtlinie aus 1992 vor. Statt wie bisher mehr als 250 ermäßigte Steuersätze für diverse Produkte und Leistungen solle es den Mitgliedstaaten künftig nur mehr erlaubt sein, drei reduzierte Sätze und eine Steuerbefreiung zu verordnen. Wann und ob das in Kraft tritt, liegt in der Hand der Finanzminister – und ihrer Vetobereitschaft.