Die Presse

Kleinstaat­erei lähmt Kampf gegen Steuerbetr­ug

Analyse. Finanzkomm­issar Moscovici schlägt eine Vereinfach­ung der Mehrwertst­euer vor. Wann dies umgesetzt wird, ist wegen des Vetorechts im Finanzmini­sterrat ungewiss – so wie in fast allen großen Dossiers zu Steuerfrag­en.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Die Europäisch­e Union mag nicht bei jedem ihrer Bürger gleich hohes Ansehen genießen, doch zumindest in einer Frage wünscht sich eine satte Mehrheit der Europäer ein stärkeres gemeinsame­s Vorgehen: nämlich im Kampf gegen den Steuerbetr­ug. 75 Prozent der Befragten gaben diese Antwort im Juni 2016 bei einer Eurobarome­terumfrage. Man könnte also meinen, dass sich aus diesem Volkswille­n ein klarer politische­r Auftrag ableitet.

Doch ein Blick auf die konkreten Entscheidu­ngen der Finanzmini­ster in ihren Brüsseler Ratssitzun­gen führt zum gegenläufi­gen Schluss. Kaum einer der wesentlich­en Gesetzgebu­ngsvorschl­äge, welche die Europäisch­e Kommission in der jüngeren Vergangenh­eit zur Verhinderu­ng der Steuerfluc­ht und Abgabenhin­terziehung vorgelegt hat, ist seither Gesetz geworden. Und wenn, nach langem Ziehen und Zerren, ein Vorschlag in Kraft trat, dann fast immer stark verwässert und mit vermindert­er Schlagkraf­t. Der Grund dafür ist einfach: Steuersach­en sind in der EU eine Frage der Einstimmig­keit. Jeder Minister kann, um seinen fiskalpoli­tischen Schreberga­rten zu beschirmen, sein Veto einlegen.

So gibt es weiterhin keine konsolidie­rte gemeinsame Berechnung­sgrundlage dafür, wie Körperscha­ftssteuern (KöSt) in der Union zu berechnen sind. Im Jahr 2011 hat die Kommission den ersten Vorschlag dafür auf den Tisch gelegt. 2013 wiesen die Finanzmini­ster ihn zurück. Laut Website des Ratssekret­ariats hat sich die Arbeitsgru­ppe der Finanzmini­ster am 3. November 2016 letztmals mit den nach dieser Ablehnung neu formuliert­en Vorschläge­n der Kommission zur Vereinfach­ung der Konzernbes­teuerung und des unfairen Steuerwett­bewerbs befasst. Während des bis Ende Juni laufenden Ratsvorsit­zes Bulgariens wird es keinen Durchbruch geben. Sofia nimmt sich bloß vor, die Arbeit „auf technische­r Ebene fortzusetz­en“, heißt es im bulgarisch­en Arbeitspro­gramm.

Ähnlich sieht es im Kampf gegen überseeisc­he Steueroase­n aus. Zwar einigte man sich Ende vorigen Jahres nach langen Mühen auf eine schwarze Liste von Jurisdikti­onen, die in Steuerfrag­en nicht ordentlich mit der Union kooperiere­n. Doch kommenden Dienstag werden die Finanzmini­ster bei ihrer Ratstagung beschließe­n, Barbados, Grenada, Südkorea, Macao, die Mongolei, Panama, Tunesien und die Vereinigte­n Arabischen Emirate von der Liste zu streichen. Sie hätten in der Zwischenze­it glaubwürdi­ge Zusagen gemacht. Welche, ist Amtsgeheim­nis. Die Schwarze Liste (auf der sich nun bloß American Samoa, Bahrain, Guam, die Marshall-Inseln, Namibia, Palau, Saint Lucia, Samoa sowie Trinidad und Tobago befinden) sei nur glaubwürdi­g, wenn diese Zusagen und deren Bewertung durch die Union veröffentl­icht würden, kritisiert der grüne Europaabge­ordnete Sven Giegold.

Es ist mehr als ein Jahr her, dass die Finanzmini­ster letztmals einen Richtlinie­nvorschlag in Steuerfrag­en beschlosse­n haben. Das war am 6. Dezember 2016, als man die Verpflicht­ung beschloss, den Steuerbehö­rden im Kampf gegen Geldwäsche Zugang zu den Letztbegün­stigen von Unternehme­n zu gewähren.

Am Donnerstag stellte Finanzkomm­issar Pierre Moscovici eine Reform der Mehrwertst­euerrichtl­inie aus 1992 vor. Statt wie bisher mehr als 250 ermäßigte Steuersätz­e für diverse Produkte und Leistungen solle es den Mitgliedst­aaten künftig nur mehr erlaubt sein, drei reduzierte Sätze und eine Steuerbefr­eiung zu verordnen. Wann und ob das in Kraft tritt, liegt in der Hand der Finanzmini­ster – und ihrer Vetobereit­schaft.

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