Warum Chinas Frauen virtuelle Männer umgarnen
Mobilapp. Ein Datingspiel hält Millionen junger Chinesinnen in seinem Bann. In „Love and Producer“buhlen vier Traumprinzen um die Gunst der Nutzerinnen. Doch die romantische Flucht aus der Realität hat seinen Preis.
„Alles Gute zum Geburtstag, Li Zeyan“, erschien in großen chinesischen Schriftzeichen auf dem 100-stöckigen Wolkenkratzer KK100 in der südchinesischen Metropole Shenzhen. „Wir haben deine Kreditkarte benutzt, also wundere dich nicht!“
Die Freundinnen des reichen Finanzfirmenchefs hatten vergangene Woche zugeschlagen. Doch während der Geburtstagsgruß für den 28-Jährigen seinen Verehrerinnen mehrere zehntausend Euro kostete, wird Li von dem Geschenk nichts bemerken: Er ist nicht real.
Dennoch haben sich unzählige junge chinesische Frauen in ihn verliebt. Li Zeyan ist einer von vier Anime-Charakteren eines Datingspiels, das seit seinem Start Mitte Dezember mehr als sieben Millionen Mal heruntergeladen wurde und mehr als vier Millionen aktive Nutzer täglich hat. Die Einnahmen durch „Love and Producer“könn- ten im Jänner die 300-MillionenYuan-Marke knacken (etwa 38 Millionen Euro).
Es ist, als würden einstige Romanhelden aus „Stolz und Vorurteil“oder „Vom Winde verweht“zum Leben erweckt: Doch die Ed- ward Darcys und Rhett Butlers des heutigen Chinas heißen Li Zeyan, Xu Mo (ein einfühlsamer, talentierter Wissenschafter), Bai Qi (ein verantwortungsvoller Polizist einer Spezialeinheit) und Zhuo Qiluo (ein humorvoller Superstar). Die App lässt die Nutzerinnen eine Beziehung zu einem oder gleich allen vier Traummännern aufbauen.
Die Handlung ist einfach: Die Spielerinnen übernehmen die Rolle einer 22-Jährigen, die die bankrotte Filmproduktionsfirma ihres Vaters retten will. Der Handlungsstrang entspinnt sich an Szenarien, für die sich die Nutzer entscheiden.
Die Persönlichkeit der gut aussehenden, wohlhabenden Protagonisten spiegelt sich in – teils schwülstigen – Slogans wider. „Für dich muss ich an einem höheren Ort sein“, lautet etwa das Motto des 22-jährigen Sängers Zhuo. Die virtuellen Verehrer melden sich täglich. Sie schreiben Nachrichten, senden Likes oder rufen an. Vier bekannte Fernsehsprecher haben den Figuren ihre Stimme geliehen.
Für viele Chinesinnen ist das Spiel eine Möglichkeit, ihre romantischen Fantasien auszuleben, schreibt eine Chinesin in der „Global Times“– besonders für Singles in ihren späten 20er-Jahren. Ihr Alltag sei vom Karrieredruck, von arrangierten Blinddates mit langweiligen Männern und der Angst, über 30 nicht verheiratet zu sein, geprägt. „Heiraten und Kinderkriegen sollten im China des 21. Jahrhunderts keine Notwendigkeit für Frauen mehr sein. Jede hat das Recht auf ihren eigenen Lebensweg.“
Doch die Online-Liebe hat seinen Preis. Das Spiel ist zwar kostenlos downloadbar. Mehr Zuwendung von der virtuellen Affäre muss aber erkauft werden. Bis zum höchsten Level können so mehrere tausend Euro verspielt werden. Nicht umsonst heißt „Love and Producer“unter Kritikern auch „Geld und vier wilde Männer“.