Ein Skifahrer, benannt nach einem Maler
Ski. Vincent Kriechmayr ist heute in Kitzbühel Sieganwärter Nummer eins aus dem ÖSV-Lager. Nur: Als jemand, den die Streif noch nicht abgeworfen hat, lasse sich halt leicht reden, sagt er.
Mittlerweile studieren selbst die überragenden Speedpiloten ihrer Generation, Aksel Lund Svindal und Kjetil Jansrud, die „Kriechmayr-Linie“. Zuletzt geschehen vergangenes Wochenende in Wengen, wo der Österreicher, Vorname Vincent, genannt „Vinc“, lang den stärksten Eindruck aller ÖSV-Piloten hinterließ. Nun, vor dem heutigen Auftakt der Hahnenkammrennen (Super G, 11.30 Uhr, Abfahrt Samstag, Slalom Sonntag), lautet sein Kommentar zur Ehrenbekundung der norwegischen Größen: „Das ist ja normal, dass sie dir Druck auferlegen wollen. Wenn jetzt die Nummer 40 der Welt eine Stelle besser fährt als ich, schaue ich den genauso an.“
Ganz ähnlich der Grundtenor, der sich durch die Statements des 26-Jährigen zieht: Alles halb so wild, für Profis doch gar nicht so aufregend. „Viele sagen, das ist unglaublich, was ihr da macht. Aber wenn man damit aufwächst, ist es schon noch zach, aber nicht mehr so schlimm.“Aufgewachsen ist Kriechmayr auf dem elterlichen Bauernhof in Gramatstetten, im Winter übersiedelte er nach Obertauern, Vater Heinrich war dort jahrelang Skilehrer. Mit dabei: Mutter Gertrudis, eine gebürtige belgische Kunsthistorikerin (daher der Name Vincent), der Zwillingsbruder und die ältere Schwester Ja- coba, inzwischen Freeriderin. Den Feinschliff für den Weltcup bekam er unter anderem in der Skihauptschule Windischgarsten verpasst, mit 19 Jahren gelang der Sprung in den ÖSV-Kader. Trotz aller Risken ist und bleibe Skifahren „das Schönste“. „Ich könnte mir nicht vorstellen, Basejumpen oder Wingsuit fliegen zu gehen oder wie sich das alles nennt. Das ist für mich so unverständlich wie es für manche ist, die Streif hinunterzufahren.“
Auch sein dritter Platz im gestrigen stark verkürzten zweiten Training für die Abfahrt (das Ziel lag wetterbedingt oberhalb des Hausbergs) gelte es nicht überzubewerten. „Das Rennen wird unten entschieden. Ohne Traverse und Hausberg ist das nur die Hälfte wert.“
Am besten fährt Kriechmayr ohnehin Super-G, traditionell die stärkere Disziplin im ÖSV-Speedlager. Dank des Oberösterreichers hat die Truppe von Sepp Brunner bisher zumindest einen Saisonsieg eingefahren. „Jetzt ist es wahr geworden“, staunte er in Beaver Creek über seinen ersten Weltcupsieg. Tatsächlich war dieser überfällig, hat er doch vor zwei Jahren mit den Norwegern um die Super-G-Kugel gekämpft. Erst beim Saisonfinale 2016 in St. Moritz musste er nach einem Ausfall klein beigeben. Den heutigen Hahnenkamm-Prolog nimmt er als erster Verfolger von Jansrud in der Disziplinenwertung in Angriff. Auch der Super-G-Sieger bekommt schließlich eine eigene Gondel. „Aber der Super-G ist im Vergleich zur Abfahrt das kleinere Problem.“
Freilich, als jemand, der noch keine schwere Verletzung erlitten habe – an dieser Stelle klopft Kriechmayr im ÖSV-Hotel Kitzhof auf Holz – lasse es sich leicht reden, aber die Streif sollte dennoch eine Herausforderung sein. „Es sollte nicht so sein, dass da jeder ohne Probleme herunterkommt. Es verdient sich den Mythos.“Deshalb gebe es in Kitzbühel auch keine Überraschungssieger. „Das spricht jetzt nicht für mich. Es gibt so viele gute Abfahrer, die man hier schlagen muss.“Er selbst habe in der Königsdisziplin noch kein besonderes Standing. „Im Vergleich zu manchen Kollegen bin ich doch wirklich ein gscheiter Brauser. Von den Erfolgen her muss ich schon noch aufholen.“
Hält die Formkurve, ist die Aufholjagd nur eine Frage der Zeit. Am Wochenende in Wengen hatte Kriechmayr als Mitfavorit Pech mit seiner hohen Startnummer, es reichte dennoch für Platz sechs, sein bisher bestes Abfahrtsresultat. In Bormio hätte der Speed locker
markierte im abschließenden Abfahrtstraining am Donnerstag die Bestzeit. Der Italiener klassierte sich 0,01 Sekunden vor dem Franzosen Brice Roger und 0,16 vor Vincent Kriechmayr. Hannes Reichelt wurde Achter (+0,39). Gefahren wurde allerdings auf verkürzter Strecke nur bis zum Oberhausberg, weil man die Piste im unteren Streckenteil für den heutigen Super-G und die Spezialabfahrt am Samstag schonen wollte. fürs Stockerl gereicht, bis zur vorletzten Zwischenzeit war er schneller als Sieger Dominik Paris. Dann ein schwerer Fehler, nur Platz 28, die erste Reaktion im Ziel: „Ich bin oben gestanden wie ein deutscher Tourist.“
Das Mundwerk sitzt relativ locker beim 1,85-m-Mann, selten ist er um einen Spruch verlegen. Diesen einen aber wird er sich in Zukunft wohl verkneifen. „Das war aus der Emotion heraus. Ein paar haben ihre Freude damit gehabt, ein paar weniger. Ich wollte niemandem auf die Füße treten“, erklärt er und lächelt. Die deutschen Kollegen Josef Ferstl, Thomas Dressen und Co. haben es ihm jedenfalls nicht übel genommen. „Die brennen mich eh so oft her.“