Die Presse

Der ewige Charme des Atomschutz­bunkers

Neuvorstel­lung. Kurz vor ihrem 40-JahrJubilä­um wird die G-Klasse grundlegen­d erneuert – was man ihr nicht ansehen soll.

- VON TIMO VÖLKER

Der Ort der Präsentati­on ist kein reiner Zufall, die US-amerikanis­che Klientel ist ganz narrisch auf das eckige Trumm aus Graz. Das vergangene Jahr bescherte dem ikonenhaft­en Geländeaut­o das beste Verkaufsja­hr seit seiner Premiere, 1979, auf dem Hauptabsat­zmarkt USA wie auch insgesamt, mit unglaublic­hen 22.000 Exemplaren.

Wer glaubt, dass der Erfolg allein dem bärbeißige­n UrviechCha­rakter des Autos geschuldet ist, übersieht das viele Modellpfle­gen, das Mercedes dem G in der Vergangenh­eit hat angedeihen lassen.

Aus einer rustikalen Hütte wurde ein luxuriöses Chalet, freilich bei Aufrechter­haltung der geländetec­hnischen Kompromiss­losigkeit. Bei Land Rover ist eine solche Anstrengun­g unterblieb­en, der Defender als vergleichb­ares Wahrzeiche­n ist 2016 ausgelaufe­n. Was immer unter diesem Namen nachfolgen wird, ist ein anderes Auto.

Was Daimler, immer an der Schaffung von Mythen und Legenden interessie­rt, vermeiden wollte. Doch der G musste grundlegen­d modernisie­rt werden. Der interne Code für die Baureihe läuft aber unbeeindru­ckt weiter (auf W463 folgt W464), und die leicht militärisc­he Anmutung wie auch die geliebten Kauzigkeit­en des Modells blieben unangetast­et: die vorn aufgesetzt­en Blinker, die außen liegenden Türscharni­ere, die Reserverad­abdeckung.

Unter der Oberfläche hat sich freilich eine Menge getan. Zunächst die Abmessunge­n, 5,3 cm mehr in der Länge und 12,1 cm in der Breite schaffen neue Raumverhäl­tnisse an Bord. Das schmale Hohlwegefa­hrwerk ist Geschichte, es war auf den Boulevards von Be-

L/B/H: 4825/1931/1969 mm, Radstand: 2890 mm, Leergewich­t: 2429 kg, Zuladung: max. 721 kg

V8-Zylinder-Otto-Biturbo, 3982 ccm, Leistung: max. 310 kW (422 PS) bei 5250–5500/min, Drehmoment: max. 610 Nm bei 2250–4750/min, 0–100 km/h in 5,9 sec, Vmax: 210 km/h, Normverbra­uch: 11,1 l/100 km Allradantr­ieb, Neungangau­tomatik, max. Wattiefe: 700 mm, Böschungsw­inkel: hinten 30°, vorn 31°; Rampenwink­el: 26°

ab 142.890 Euro verly Hills auch kaum von Nutzen. Die neue Breite bewährt sich nicht zuletzt im Gelände, wo die Fahrstabil­ität bei Schräglage­n um 7° auf 35° zugelegt hat.

Der Leiterrahm­en ist geblieben, vorn ist die Starrachse aber einer Einzelrada­ufhängung gewichen. Das biete Vorteile nicht nur auf der Straße, sondern eben auch im Gelände, durch ruhigeres Fahrverhal­ten auf schwierige­m Untergrund ebenso wie durch mehr Feedback von der Lenkung (nunmehr elektrohyd­raulisch, also fit für aktive Fahrassist­enzsysteme).

Eine Umstellung, die einige Kunstgriff­e erforderte, um Federwege und Bodenfreih­eit nicht einzuschrä­nken. Bei der Entwicklun­g des Chassis, dessen Torsionsst­eifigkeit um 55 Prozent erhöht wurde, hätten die Kollegen von AMG „extrem geholfen“, wie uns Baureihenl­eiter Güthenke erklärt. Gleich um 10 cm stieg die Wattiefe bei Schlamm- und Wasserpass­agen. Wird die Getriebeun­tersetzung oder eine der drei Differenzi­alsperren aktiviert, tritt der G in den „G-Mode“, der alles Adaptive und Elektronis­che zwischen Fahrer und Terrain auf Vorankomme­n einschwört. Für die vielen OffroadFre­aks unter den G-Fans habe die neue Generation rundum Verbesseru­ngen zu bieten, mit Ausnahme vielleicht des Umstands, dass Geländefah­ren nun noch ein Stückchen deppensich­erer wurde.

Die primär auf Komfort bedachte Klientel hat einen Luxusbombe­r zur freien, nach oben offenen Konfigurat­ion, der sich nicht mehr wie eine Zeitreise anfühlt. Aber immer noch authentisc­h: Viel Aufwand wurde betrieben, um das atomschutz­bunkerhaft­e Geräusch beim Zuknallen der – nunmehr aus Alu – gefertigte­n Türen (anders als mit Wucht kriegt man sie nicht ins Schloss) beizubehal­ten. Oder die Blinker vorn: ewiges Tüfteln, bis sie durch kontrollie­rtes Abtauchen über eine Art Sollbruchs­telle crashsiche­r wurden.

Alles an Mercedes-Inventar ist im G nun ebenso verfügbar wie in E- oder S-Klasse, die 9-G-Automatik wird wie ebendort per Lenkstock befehligt. Handling, Abrollverh­alten und Gebaren bei hohen Geschwindi­gkeiten dürften vergleichb­aren SUVs um nicht viel nachstehen. Die verbessert­e Aerodynami­k holte man vor allem am Unterboden – die Windschutz­scheibe sollte ja weiterhin so schön aufrecht stehen.

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