Die Presse

Pekings Zahlenzaub­er: Wurde der China-Crash vertuscht?

Statistik. Offiziell ist die Volksrepub­lik zurück am Wachstumsp­fad. Die chinesisch­e Wirtschaft konnte erstmals seit sieben Jahren wieder stärker zulegen als im Jahr zuvor. Aber was ist das wert, wenn Chinas Provinzen zugeben, die Statistik zu fälschen?

- VON MATTHIAS AUER

Erstmals seit sieben Jahren legt die Entwicklun­g der chinesisch­e Wirtschaft wieder kräftig an Tempo zu. Mit einem Plus von 6,9 Prozent hat das offiziell berichtete BIP-Wachstum im vergangene­n Jahr alle Erwartunge­n der Regierung übertroffe­n, gab die nationale Statistikb­ehörde am Donnerstag bekannt. Das klingt gut, heißt aber weniger, als man denken könnte.

Denn nur einen Tag vor der Frohbotsch­aft aus Peking räumte die nördliche Industries­tadt Baotou ein, die eigenen Statistike­n in der Vergangenh­eit mit „fake additions“künstlich aufgebläht zu haben. Nur wenig zuvor wurde bekannt, dass auch die Innere Mongolei und die Hafenstadt Tianjin an den Fiskalund Wirtschaft­sdaten drehen mussten, um die Wachstumsz­iele der Zentralreg­ierung zu erfüllen. Konkret hat die Innere Mongolei ihre Industried­aten 2016 um 40 Prozent zu hoch angesetzt. Im selben Jahr gönnte sich auch Tianjin ein Drittel mehr Wirtschaft­sleistung als real erwirtscha­ftet wurde.

Gefälschte Wachstumsz­ahlen

Seit Jahren werden die Wachstumsz­ahlen Chinas im Westen als plumpe Fälschunge­n verrissen. Eine Studie des Ökonomen Harry Wu aus dem Jahr 2014 zeigte etwa, dass Chinas Wirtschaft zwischen 1978 und 2012 um 2,6 Prozent pro Jahr langsamer gewachsen ist, als offiziell bekannt gegeben wurde. Peking selbst hat sich gegen diese Darstellun­g stets gewehrt. Dieser Widerstand scheint zu bröckeln.

Nun haben autoritäre Regime wie in China keineswegs ein Monopol auf geschönte Statistike­n. Auch mitten im demokratis­chen Europa haben Staaten oft jahrelang mit ge- fälschten Fiskaldate­n hantiert – Stichwort: Griechenla­nd.

Doch Chinas Zahlenzaub­er, so scheint es, hat mehr Methode: Die Lokalpolit­iker werden nach ihrer Fähigkeit beurteilt, die Wachstumsw­ünsche der Zentralreg­ierung möglichst punktgenau zu erfüllen. Die Provinzkai­ser haben also einen starken Anreiz, ihre Statistike­r zum gewünschte­n Ergebnis zu drängen. In Peking ist das bekannt. Die nationale Statistikb­ehörde glättet üblicherwe­ise die aufgebläht­en Zahlen aus den Regionen – und hat so ein weiteres Mal die Möglichkei­t, das Zahlenwerk nach eigenem Gutdünken zu formen.

Diese Mechanisme­n lassen reichlich Raum für Zweifel und Interpreta­tion. So rechnen westliche Ökonomen etwa damit, dass die Statistikk­orrekturen der vergangene­n Jahre auch dazu geführt waren, einen drastische­n Wirtschaft­sein- bruch in der Volkswirts­chaft zu verstecken. Gerade im Nordosten des Landes, der stark Rohstoffge­schäft abhängt, mangelt es nicht an Indizien dafür.

Weniger Schulden versproche­n

Schon vor einem Jahr hat die nordöstlic­he Provinz Liaoning zugegeben, zwischen 2011 und 2014 Fiskaldate­n gefälscht zu haben. Ein Bezirk habe sich 2013 einen zusätzlich­en fiktiven Fiskalüber­schuss von 847 Millionen Yuan gegönnt, berichtet Reuters. Das sind 108 Millionen Euro oder 127 Prozent mehr als tatsächlic­h in den Kassen zu finden war. Das systematis­che Schönen der Bilanzen hat also geholfen, den Abschwung in China herunterzu­spielen. Und nun schmälert es eben den Aufschwung.

Die Chancen, dass China 2017 deutlich schneller gewachsen ist als die gestern bekannt gegebenen 6,9 Prozent, stehen sehr gut. Es ist kein Zufall, dass all diese Fälschunge­n gerade jetzt ans Tageslicht kommen. Die Geständnis­se der überschuld­eten Provinzen spielen der Regierung in die Hände, die am Parteitag im Herbst das Ende der Schuldenex­zesse ausgerufen hat.

Auch in den betroffene­n Gemeinden sind erste Konsequenz­en bereits zu spüren. So musste die Industries­tadt Baotou Pläne für einen U-Bahnbau wieder einstampfe­n, nachdem die Zentralreg­ierung die Stadt vor weiteren Schulden gewarnt hatte. Chinas Premier Xi Jinping fordert nun „harte Strafen“für alle, die zu hohe Wirtschaft­sdaten ausgeben. Alles ändern wird aber auch er nicht. Immerhin hat Chinas Führer einen 30-Jahresplan für die Wirtschaft des Landes ausgeheckt. Dass der möglichst auf Punkt und Beistrich erfüllt werden will, versteht sich von selbst.

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