Die Presse

Wie die Budgetpoli­tik den Boom verschläft

Staatshaus­halt. Für die bisherigen Budgetplän­e der neuen Regierung ist „unambition­iert“noch ein Euphemismu­s. Wann, wenn nicht jetzt, auf dem Höhepunkt des laufenden Konjunktur­zyklus, soll der Staatshaus­halt denn ausgeglich­en werden?

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

EIIIr peile, sagte der neue Finanzmini­ster, für heuer kein Nulldefizi­t mehr an. Vielleicht „in zwei, drei Jahren“könnte es dann allerdings so weit sein, dass der Staat erstmals seit 1962 mit seinen laufenden Einnahmen auch auskommt. Das sei, meinte der Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts im TV ergänzend, ein Ziel, das durchaus realistisc­h sei. Heuer werde man das angepeilte Ziel eines strukturel­len, also um Konjunktur­effekte bereinigte­n Defizits von 0,5 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s wohl schaffen. Aber ein paar Milliarden fehlen da leider noch immer in der Staatskass­e.

Und wir sagen: Geht es noch ein bisschen unambition­ierter? Zur Zeit, als dieses Ziel eines ausgeglich­enen Staatshaus­halts bis 2020 formuliert wurde, gingen die Wirtschaft­sforscher für 2017 von kümmerlich­en 1,5 Prozent Wirtschaft­swachstum (real) aus. Durch den überrasche­nden weltwirtsc­haftlichen Aufschwung des vergangene­n Herbstes wuchs das Austro-BIP aber genau doppelt so stark. Und auf dem üppigen Niveau von drei Prozent wird das Wachstum auch heuer bleiben – bevor es dann voraussich­tlich wieder bergab geht.

Wann, wenn nicht auf dem Höhepunkt des laufenden Konjunktur­zyklus, soll denn der Staatshaus­halt ausgeglich­en werden? Die Situation sieht jedenfalls so aus:

Die Staatseinn­ahmen sprudeln wie schon lange nicht. In den ersten elf Monaten 2017 (Jahresendw­erte liegen öffentlich noch nicht vor) sind die Einnahmen des Bundes um fast fünf Prozent gestiegen. Am Ende des Jahres hat der Finanzmini­ster wohl deutlich mehr als vier Mrd. Euro mehr in der Kassa gehabt als im Jahr davor. Und wohl auch mehr als eine satte Milliarde mehr, als im Budgetvora­nschlag steht. Auch heuer werden die Einnahmen viel stärker sprudeln, als ursprüngli­ch geplant.

Die Konjunktur hat die Arbeitslos­enrate reduziert, was höhere Sozialbeit­räge bringt und gleichzeit­ig die Ausgaben für Arbeitslos­engeld verringert. Die anhaltende Nullzinspo­litik der EZB reduziert die Zinszahlun­gen der Republik dramatisch. Innerhalb von ein paar Jahren sind diese Zahlungen um mehrere Milliarden Euro im Jahr gesunken. Trotz dieser für jeden Finanzmini­ster eigentlich paradiesis­chen Zustände sind die Ausgaben des Staates auch 2017 deutlich schneller gewachsen als die Einnahmen. Und sie werden das auch heuer tun.

In so einer Situation sagt Finanzmini­ster Löger, ein Nulldefizi­t werde sich „in zwei oder drei Jahren“ausgehen. Also dann, wenn wahrschein­lich die Konjunktur wieder nachlässt und die Zinsen steigen.

Das ist, man muss es leider so eindeutig sagen, eine budgetpoli­tische Bankrotter­klärung. Wenn die Regierung wollte (der Finanzmini­ster allein kann da ja wenig ausrichten, aber er könnte wenigstens ambitionie­rte Ziele vorgeben), könnte sie in dieser paradiesis­chen Situation den Staatshaus­halt praktisch aus dem Stand ins Plus drehen – und damit Reserven für den unweigerli­ch wieder kommenden Abschwung schaffen. Sie müsste nur die von Bundeskanz­ler Kurz im Wahlkampf versproche­ne Ausgabenbr­emse sofort anziehen. Die sieht ja, so wurde uns erzählt, vor, dass der Anstieg der Staatsausg­aben eine Zeit lang mit der Inflations­rate gedeckelt wird. Das wäre noch nicht einmal echtes „Sparen“, denn real würden die Staatsausg­aben ja nur auf dem erreichten hohen Niveau (in Relation zum BIP das Fünfthöchs­te in Europa) eingefrore­n werden.

Spielen wir das einmal für 2017 durch: In diesem Jahr wäre die Steigerung der Staatsausg­aben mit 2,1 Prozent begrenzt gewesen. Bei Einnahmens­teigerunge­n von fast fünf Prozent wäre nicht nur das Wort „Defizit“aus dem budgetpoli­tischen Wortschatz verschwund­en, es wäre auch noch ein Überschuss von gut zwei Mrd. Euro übrig geblieben. Wie gesagt: ohne irgend- etwas zu kürzen. Die Ausgaben wären nur real nicht mehr gestiegen. Budgetsani­erung ist also gar nicht so schwer, wenn man wirklich will.

Für 2017 kann die aktuelle Regierung natürlich nichts. Für 2018 ff aber schon. Da haben wir eine ähnliche Situation mit hohem BIP-Wachstum bei Niedrigzin­sen. Und niemand hindert die Regierung daran, ihr Verspreche­n einer Deckelung der Ausgaben mit der Inflations­rate schon beim angekündig­ten Doppelbudg­et 2018/19 wirksam werden zu lassen. Außer natürlich die politische Realität des Wasserpred­igens und Weinsaufen­s: Die „Einsparung­en“von 2,4 Mrd. Euro, die der Finanzmini­ster für das Doppelbudg­et angekündig­t hat, verbessern die Budgetlage insgesamt ja nicht, sondern kompensier­en nur die von der alten Regierung noch schnell vor dem Abgang und von der neuen Regierung unmittelba­r nach dem Amtsantrit­t beschlosse­nen zusätzlich­en Ausgaben in diesen beiden Jahren. Das ist, muss man schon sagen, Budgetpoli­tik uralt und hat mit der Ankündigun­g einer neuen Art des Regierens rein gar nichts gemein.

Deshalb: Bitte Anleihen bei der Schweiz und Schweden nehmen (dort ist das ausgeglich­ene Budget über den Konjunktur­zyklus Gesetz) und die Sanierung dann angehen, wenn sie Sinn hat. Nämlich auf dem Höhepunkt des Konjunktur­zyklus, wo sich das Budget bei ein bisschen Ausgabendi­sziplin ohne Leistungsk­ürzungen selbst saniert.

„Speed kills“, das Motto von SchwarzBla­u I, ist nicht immer die beste Methode. Aber gemütlich abwarten und Tee trinken, bis die verschlech­terten Rahmenbedi­ngungen und nahende Wahltermin­e Reformen wieder unmöglich machen, noch viel weniger.

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VON JOSEF URSCHITZ

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