Wo bleibt eigentlich der Theaterskandal? Verschwunden!
Der letzte Schrei: Klassiker werden mit neuen Texten versehen, als Nächstes Strindberg. Banalisierung oder mehr Klarheit? Das ist die Frage.
Ibsen tönt wie die Vorstadtweiber, Faust tanzt „dirty“im Hotel – und die Leute freuen sich.
Carmen erschießt Don Jose´ in Florenz, davon war jüngstens hier die Rede. Das kann uns Theaterfreunde nicht erschüttern, wir erinnern uns an eine Aufführung von Ibsens „Nora“bei den Wiener Festwochen, da knallte Nora ihren Gatten ab.
„Lasst den Dichtern ihre Schlüsse!“, forderte einst der Autor und Schauspieler Klaus Pohl, der das Facebook-Publikum mit herzigen Nachrichten aus New York unterhält. Den Theatermachern sind solche Appelle schon lang wurscht, und sie gehen noch weiter. Wir sehen Faust nicht mehr wie einst bei Christoph Marthaler in einem Museumskeller herumschlurfen und Präparate schupfen, jetzt tobt er im Hotel herum und widmet sich dem Dirty Dancing.
Das ist Nestervals Faust, eine Mischung aus Spiel und Laienspiel, das nennt man jetzt großspurig Partizipationstheater. Und die Jugend ist begeistert, „Nesterval’s Dirty Faust“ist ausverkauft. Auch andere Veranstaltungen mit Laien werden gestürmt, im NÖ-Landestheater in St. Pölten führen „Bürger und Bürgerinnen“der Landeshauptstadt im Mai Peter Handkes bezauberndes stummes Spiel „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“(sic!) vor. Dieses Stück ist ein formales Experiment für sich. Man sieht witzige Figuren über einen südlichen Marktplatz tollen. Was will Handke uns sagen? Seid nicht so geschwätzig, Leute, schaut einfach hin! Freut euch und schweigt!
Wir freuen uns und schweigen. Wir geben es nicht gern zu, aber einigen von uns geht es gesundheitlich einfach besser, seit sie nicht mehr in Ohnmacht fallen, wenn im Burgtheater wie zu Peymanns Zeiten bei Shakespeare einer „Dreckskerl!“ruft.
Klar: Shakespeares Theater war auch und vielleicht vor allem derbe Volksbelustigung. Da konnte es schon vorkommen, dass Antonius und Kleopatra wie beim verstorbenen Großmeister Peter Zadek Watschen wechselten. Ob wir die nächste progressive Kurve noch kriegen, ist allerdings nicht sicher. Da gibt es jetzt einen schweizerischen Australier namens Simon Stone, der schreibt sich seine Klassiker komplett neu. Sie klingen dann wie im Fernsehen bei „The Big Bang Theory“oder den „Vorstadtweibern“. In eine Variante auf Letztere hat Stone zuletzt Ibsens „John Gabriel Borkman“verwandelt. Derartiges regt freilich längst keinen mehr auf.
Im Gegenteil, viele freuen sich, mehr Frische, mehr Klarheit, mehr Heutigkeit. Jetzt inszeniert Stone Strindbergs „Kammerstücke“, die in „Hotel Strindberg“umbenannt wurden. Schreibt der Stone vom Nesterval„Faust“ab, der auch im Hotel spielt? Wie auch immer. Wir sind fürs Erste neugierig. Am 26. 1. hat „Hotel Strindberg“im Akademietheater Premiere.