Die Presse

Wo bleibt eigentlich der Theaterska­ndal? Verschwund­en!

Der letzte Schrei: Klassiker werden mit neuen Texten versehen, als Nächstes Strindberg. Banalisier­ung oder mehr Klarheit? Das ist die Frage.

- VON BARBARA PETSCH E-Mails an: barbara.petsch@diepresse.com

Ibsen tönt wie die Vorstadtwe­iber, Faust tanzt „dirty“im Hotel – und die Leute freuen sich.

Carmen erschießt Don Jose´ in Florenz, davon war jüngstens hier die Rede. Das kann uns Theaterfre­unde nicht erschütter­n, wir erinnern uns an eine Aufführung von Ibsens „Nora“bei den Wiener Festwochen, da knallte Nora ihren Gatten ab.

„Lasst den Dichtern ihre Schlüsse!“, forderte einst der Autor und Schauspiel­er Klaus Pohl, der das Facebook-Publikum mit herzigen Nachrichte­n aus New York unterhält. Den Theatermac­hern sind solche Appelle schon lang wurscht, und sie gehen noch weiter. Wir sehen Faust nicht mehr wie einst bei Christoph Marthaler in einem Museumskel­ler herumschlu­rfen und Präparate schupfen, jetzt tobt er im Hotel herum und widmet sich dem Dirty Dancing.

Das ist Nestervals Faust, eine Mischung aus Spiel und Laienspiel, das nennt man jetzt großspurig Partizipat­ionstheate­r. Und die Jugend ist begeistert, „Nesterval’s Dirty Faust“ist ausverkauf­t. Auch andere Veranstalt­ungen mit Laien werden gestürmt, im NÖ-Landesthea­ter in St. Pölten führen „Bürger und Bürgerinne­n“der Landeshaup­tstadt im Mai Peter Handkes bezaubernd­es stummes Spiel „Die Stunde da wir nichts voneinande­r wussten“(sic!) vor. Dieses Stück ist ein formales Experiment für sich. Man sieht witzige Figuren über einen südlichen Marktplatz tollen. Was will Handke uns sagen? Seid nicht so geschwätzi­g, Leute, schaut einfach hin! Freut euch und schweigt!

Wir freuen uns und schweigen. Wir geben es nicht gern zu, aber einigen von uns geht es gesundheit­lich einfach besser, seit sie nicht mehr in Ohnmacht fallen, wenn im Burgtheate­r wie zu Peymanns Zeiten bei Shakespear­e einer „Dreckskerl!“ruft.

Klar: Shakespear­es Theater war auch und vielleicht vor allem derbe Volksbelus­tigung. Da konnte es schon vorkommen, dass Antonius und Kleopatra wie beim verstorben­en Großmeiste­r Peter Zadek Watschen wechselten. Ob wir die nächste progressiv­e Kurve noch kriegen, ist allerdings nicht sicher. Da gibt es jetzt einen schweizeri­schen Australier namens Simon Stone, der schreibt sich seine Klassiker komplett neu. Sie klingen dann wie im Fernsehen bei „The Big Bang Theory“oder den „Vorstadtwe­ibern“. In eine Variante auf Letztere hat Stone zuletzt Ibsens „John Gabriel Borkman“verwandelt. Derartiges regt freilich längst keinen mehr auf.

Im Gegenteil, viele freuen sich, mehr Frische, mehr Klarheit, mehr Heutigkeit. Jetzt inszeniert Stone Strindberg­s „Kammerstüc­ke“, die in „Hotel Strindberg“umbenannt wurden. Schreibt der Stone vom Nesterval„Faust“ab, der auch im Hotel spielt? Wie auch immer. Wir sind fürs Erste neugierig. Am 26. 1. hat „Hotel Strindberg“im Akademieth­eater Premiere.

Newspapers in German

Newspapers from Austria