Die Presse

Wir sollten den Jänner mehr lieben

- VON FRIEDERIKE LEIBL E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

In

der Früh sahen einige Straßen aus wie Forstwege, so viele Tannennade­ln lagen da. Es dürften noch viele ihre ausgedient­en Christbäum­e zu den Sammelstel­len geschleift haben. Achtlos aufeinande­rgeworfen harrten sie dort dann der Abholung durch die Müllabfuhr. Ein paar Lamettafäd­en gaben dem grünbraune­n Haufen einen Hauch von Glitzer. Aber wenn die Christbaum­abgabe schließt, ist es das Ende vom Fest, endgültig.

Das, was übrig bleibt, sieht immer ein wenig traurig aus. Von den Keksen, die man im Dezember so rationiert hat, dass es auch zu Weihnachte­n genug davon gibt, liegen noch ein paar in der Blechdose. Nun will sie keiner mehr. Sie schmecken gut, aber ihre Zeit ist vorbei. Der Weihnachts­mann, der auf Knopfdruck singen kann, steht verloren im Wohnzimmer herum; man sieht ihm an, dass er nicht zurück in den Keller will. Nie ist Weihnachte­n weiter weg als ein paar Wochen danach.

Kaum jemand liebt den Jänner. Er ist teuer, er ist kalt, er zwingt einen, zu reduzieren. Man hat sich zum Jahresende hin verausgabt, finanziell, emotional, kalorisch. Im Jänner werden die Wunden geleckt. Man isst Gemüsesupp­e und träumt von Schweinsbr­aten. Schüler und Studenten haben eine Prüfung nach der anderen. Menschen, die mit Lernenden näher zu tun haben, versorgen sie bemüht gelassen mit Zuwendung und Zucker und zählen die Tage.

Man kauft Schnittlau­ch und klitzeklei­ne Radieschen und verschenkt Tulpen. Sehnsuchts­ware im Winter. Beim Schnittlau­chschneide­n, klassisch mit der Schere, wird es am Ende immer ungeschick­t mit dem letzten Rest in der Hand. Man ärgert sich, nicht alles exakt hinzukrieg­en. Auch wenn es nur ein paar grüne Halme sind.

Diese trüben Tagen sollten eine neue Chance bekommen. Das ganze Jahr liegt doch noch so vollkommen vor einem. Es ist viel möglich, vielleicht geht sich einmal alles aus. Wenn wir den Jänner mehr lieben, dann beißt er vielleicht auch nicht zurück.

Newspapers in German

Newspapers from Austria