Das Rehwild, der Hexenring und der Sexvertrag
Was dem Verhaltensforscher zum schwedischen Beischlafparagrafen einfällt.
Der umstrittene „Schwedenparagraf“mit Haftdrohung bei „nicht konsensualem Beischlaf“erhitzt weiter allerorten die Gemüter. Was aber lässt sich dazu aus Sicht der Verhaltensforschung sagen?
Beim „Schwedenparagrafen“zum ehelichen Schlafzimmersex muss ich an die Hexenringe draußen in der Natur denken. Es sind dies geheimnisvolle Spuren im taufrischen Gras, die in der Regel einen geschlossenen Kreis bilden. Sie entstehen dort, wo ein Rehbock einer Rehgeiß hinterhergelaufen ist. Es ist das sexuelle Vorspiel in der Brunftzeit, und bei der Geiß ist es deshalb auch lediglich Scheinflucht.
Wollte sie den Bock wirklich abhängen, dann würde sie kurzerhand abhauen und die hinterlassene Spur im Gras nicht im Kreis verlaufen, sondern geradeaus weg. Und wenn der Bock hinter ihr sein Tempo verlangsamt, stoppt die Geiß, blickt kokett nach hinten, bis er das Ritual des Nachlaufens wieder „ordnungsgemäß“fortsetzt. Beide sind in Sexstimmung, beide wollen letztendlich das Gleiche. Doch die Geiß meint (vermenschlichend formuliert): „Ja schön, aber bitte nicht gleich so stürmisch“!
Der Zeitgewinn beim Vorspiel dient zur Synchronisation der Endhandlung, der physiologischemotionalen Gleichschaltung des Paars. Eisprung und Samenerguss sollen zeitlich aufeinander abgestimmt werden, um bei der Befruchtung auf Nummer sicher zu gehen.
Wir aber müssen gar nicht in den Wald, um dieses Phänomen zu erleben, sondern können auch mitten in der Stadt Zeugen eines funktionell vergleichbaren sexuellen Vorspiels werden, nämlich bei Straßentauben. Der gurrende Täuberich läuft kopfnickend mit aufgeblasenem Kropf erregt der Taube nach, und auch sie zeigt dabei lediglich Scheinflucht. Sie empfin- det den gurrenden Draufgänger keineswegs als sexuelle Belästigung, denn sonst würde sie einfach davonfliegen. Aber sie bleibt am (Asphalt-)Boden der Tatsachen; ihr zögernder Scheinwiderstand dient auch hier dem Zeitgewinn zwecks zeitlicher Gleichstellung des sexuellen Höhepunkts, dem erotischen Vorspiel beim Rehwild gleich.
Fern von billigem Biologismus können wir nun getrost behaupten, dass es bei uns Menschen im Grunde auch nicht anders läuft. Nur das Vokabular dazu ist reichlich unpassend, weil militärisch, wenn von „Eroberung“und „Widerstand leisten“die Rede ist. Initiative ergreifen und verzögern klingt friedlicher, „Aufgeschoben heißt nicht aufgehoben“klingt realistischer.
Auf Anbaggern gschamig reagieren kennen wir aus der Volkssprache. Alles in allem, auch hier geht es um Stimulation als Ouvertüre „Zur Sache, Schätzchen“(um es hier mit dem Filmtitel des einschlägigen Klassikers zu sagen) anstelle von Quicky, wie der sexuelle Schnellimbiss amerikanischer Prägung genannt wird.
Wer allerdings zum Beischlaf eine schriftliche Einverständniserklärung fordert, hat von Sexualität offensichtlich keine Ahnung und ist deshalb ehrlich zu bedauern. Da fehlt dann nur noch eine notarielle Beglaubigung der Bezeugung von der Zeugung durch Schlüssellochzeugen mit der Erklärung, dass der observierte Liebesakt nachweislich ohne auch nur eine Spur von „Eroberung“und gänzlich „widerstandlos“stattgefunden hat. Denn sonst war es „nicht konsensualer Beischlaf“, und der Mann landet dafür strafweise im Knast!