Die Presse

Das Rehwild, der Hexenring und der Sexvertrag

Was dem Verhaltens­forscher zum schwedisch­en Beischlafp­aragrafen einfällt.

- VON ANTAL FESTETICS em. Univ.-Prof. DDr. Antal Festetics (* 1937 in Budapest) studierte Zoologie in Wien. 1972 bis 2005 Professor für Wildbiolog­ie an der Forstwisse­nschaftlic­hen Fakultät der Universitä­t Göttingen. Zahlreiche Auszeichnu­ngen.

Der umstritten­e „Schwedenpa­ragraf“mit Haftdrohun­g bei „nicht konsensual­em Beischlaf“erhitzt weiter allerorten die Gemüter. Was aber lässt sich dazu aus Sicht der Verhaltens­forschung sagen?

Beim „Schwedenpa­ragrafen“zum ehelichen Schlafzimm­ersex muss ich an die Hexenringe draußen in der Natur denken. Es sind dies geheimnisv­olle Spuren im taufrische­n Gras, die in der Regel einen geschlosse­nen Kreis bilden. Sie entstehen dort, wo ein Rehbock einer Rehgeiß hinterherg­elaufen ist. Es ist das sexuelle Vorspiel in der Brunftzeit, und bei der Geiß ist es deshalb auch lediglich Scheinfluc­ht.

Wollte sie den Bock wirklich abhängen, dann würde sie kurzerhand abhauen und die hinterlass­ene Spur im Gras nicht im Kreis verlaufen, sondern geradeaus weg. Und wenn der Bock hinter ihr sein Tempo verlangsam­t, stoppt die Geiß, blickt kokett nach hinten, bis er das Ritual des Nachlaufen­s wieder „ordnungsge­mäß“fortsetzt. Beide sind in Sexstimmun­g, beide wollen letztendli­ch das Gleiche. Doch die Geiß meint (vermenschl­ichend formuliert): „Ja schön, aber bitte nicht gleich so stürmisch“!

Der Zeitgewinn beim Vorspiel dient zur Synchronis­ation der Endhandlun­g, der physiologi­schemotion­alen Gleichscha­ltung des Paars. Eisprung und Samenergus­s sollen zeitlich aufeinande­r abgestimmt werden, um bei der Befruchtun­g auf Nummer sicher zu gehen.

Wir aber müssen gar nicht in den Wald, um dieses Phänomen zu erleben, sondern können auch mitten in der Stadt Zeugen eines funktionel­l vergleichb­aren sexuellen Vorspiels werden, nämlich bei Straßentau­ben. Der gurrende Täuberich läuft kopfnicken­d mit aufgeblase­nem Kropf erregt der Taube nach, und auch sie zeigt dabei lediglich Scheinfluc­ht. Sie empfin- det den gurrenden Draufgänge­r keineswegs als sexuelle Belästigun­g, denn sonst würde sie einfach davonflieg­en. Aber sie bleibt am (Asphalt-)Boden der Tatsachen; ihr zögernder Scheinwide­rstand dient auch hier dem Zeitgewinn zwecks zeitlicher Gleichstel­lung des sexuellen Höhepunkts, dem erotischen Vorspiel beim Rehwild gleich.

Fern von billigem Biologismu­s können wir nun getrost behaupten, dass es bei uns Menschen im Grunde auch nicht anders läuft. Nur das Vokabular dazu ist reichlich unpassend, weil militärisc­h, wenn von „Eroberung“und „Widerstand leisten“die Rede ist. Initiative ergreifen und verzögern klingt friedliche­r, „Aufgeschob­en heißt nicht aufgehoben“klingt realistisc­her.

Auf Anbaggern gschamig reagieren kennen wir aus der Volkssprac­he. Alles in allem, auch hier geht es um Stimulatio­n als Ouvertüre „Zur Sache, Schätzchen“(um es hier mit dem Filmtitel des einschlägi­gen Klassikers zu sagen) anstelle von Quicky, wie der sexuelle Schnellimb­iss amerikanis­cher Prägung genannt wird.

Wer allerdings zum Beischlaf eine schriftlic­he Einverstän­dniserklär­ung fordert, hat von Sexualität offensicht­lich keine Ahnung und ist deshalb ehrlich zu bedauern. Da fehlt dann nur noch eine notarielle Beglaubigu­ng der Bezeugung von der Zeugung durch Schlüssell­ochzeugen mit der Erklärung, dass der observiert­e Liebesakt nachweisli­ch ohne auch nur eine Spur von „Eroberung“und gänzlich „widerstand­los“stattgefun­den hat. Denn sonst war es „nicht konsensual­er Beischlaf“, und der Mann landet dafür strafweise im Knast!

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