Es waren seine größten Stunden
Porträt. Heute gilt er als Retter der britischen Nation, dem nun auch ein Kinofilm gewidmet ist. Lang hatte wenig darauf hingedeutet: Winston Churchill wurde gehasst und bekämpft. Über die Wandlung in der Wahrnehmung eines Vielseitigen.
Winston Churchill wurde gehasst und bekämpft. Heute gilt er als Retter der britischen Nation. Über die Wandlung in der Wahrnehmung eines Vielseitigen.
This was their finest hour“– der Titel der Rede war Programm. Winston Churchill hat sie am 18. Juni 1940 vor dem britischen Unterhaus gehalten. Paris war soeben gefallen. Und Churchill seit einem Monat Premierminister Großbritanniens. Dereinst, sagte Churchill in dieser Ansprache, würden die Menschen über die Männer und Frauen des britischen Empire, das nun allein den Widerstand gegen das NS-Regime in Deutschland aufrechterhalte, sagen: „Es war ihre beste Stunde.“
Seit dieser Woche läuft auch in den österreichischen Kinos der Film „Die dunkelste Stunde“, der ebendiese Rolle Winston Churchills als Retter der Nation – und der Welt – in höchster Gefahr beleuchtet.
Winston Churchill. Kaum eine politische Karriere war schillernder. Kaum eine politische Karriere war widersprüchlicher. Der Mann, der heute als Held gilt, der, als alles schon verloren schien, noch die Kraft zum Widerstand – gegen alle Widerstände – aufbrachte, war in den Jahren zuvor verachtet und bekämpft worden. Nicht nur vom politischen Gegner. Auch von Parteifreunden.
Diese Wandlung des Winston Churchill in der öffentlichen Wahrnehmung ist eine der erstaunlichsten der Geschichte. Wobei Churchill selbst immer der Gleiche geblieben war – doch nun mitten im Zweiten Weltkrieg war seine große Stunde gekommen. Seine Eigenheiten waren auf einmal gefragt. Die Not hatte sie zu Tugenden gemacht. Seinen Ehrgeiz, seine Kompromisslosigkeit, sein Draufgängertum, seine Kaltschnäuzigkeit, sein Faible für den Krieg.
„Man wird das Phänomen Churchill nie verstehen, wenn man ihn einfach als einen Politiker und Staatsmann betrachtet, dem es schließlich auch zufiel, einen Krieg führen zu müssen“, schrieb Sebastian Haffner in seiner psychologisch ungemein dichten Churchill-Biografie. „Er war ein Krieger, der begriff, dass zur Kriegsführung auch Politik gehört.“Einer allerdings, dem „die Liebe zum Wort so angeboren war wie die Liebe zum Krieg“. Churchill war ein Intellektueller. Er las viel, er schrieb viel. Unzählige Bücher hat er verfasst, die seinen Ruhm mitbegründen sollten.
Wobei: Ganz derselbe ist Churchill in seinem Leben nicht geblieben. Daraus rührt ja auch der Reiz dieser ambivalenten Figur. Gestartet war der Sohn des konservativen Schatzkanzlers Lord Randolph Churchill und einer amerikanischen Millionärstochter als Konservativer. 1904 lief der Unterhausabgeordnete zu den Liberalen über. Zum einen aus karrieristischen Gründen – die Konservativen hatten den Premier verloren –, zum anderen auch aus ideologischen: Der Freihandel der Liberalen war Churchill näher als die Schutzzölle der Konservativen. Bei den Liberalen zählte er dann sogar zum linken Flügel. Die ersten Arbeitsämter, die Arbeitslosenversicherung gingen maßgeblich auf Churchills Initiative zurück, ein großes Umverteilungsprogramm trug er mit. Er, der Aristokrat, sah es als seine Mission an, den Armen zu helfen. Als er dann ab 1914 Krieg führen konnte, hatte er eine neue Mission und vergaß die Armen wieder.
Die bolschewistische Revolution in Russland machte den Minister der Liberalen dann wieder zum Konservativen, ja sogar zum Reaktionär. Und so wechselte er – die Liberalen waren am Abstieg, mit etlichen ihrer Führungsfiguren hatte er sich überworfen – 1924 zurück zur konservativen Partei. Es war also wiederum eine Mischung aus Ideologie und persönlichem Fortkommen.
Haffner schrieb über den Churchill der 1920er-Jahre und seinen Hass auf die Linke: „Der Sache nach war er damals ein Faschist; nur seine Nationalität verhinderte, dass er es auch dem Namen nach wurde.“
Dass er hoch hinaus wollte („Mit 43 werde ich Premierminister sein“), daraus hat Churchill nie ein Hehl gemacht. Das und seine Schrullen sind durchaus Parallelen zum heutigen britischen Außenminister, Boris Johnson, der Churchill 2014 eine brillante Biografie widmete. Wobei Johnson zwischen den Zeilen schon oft auch sich selbst meint, wenn er über Churchill schreibt.
Seine Wechsel hatten Churchill Feinde auf beiden Seiten gemacht. Auch für die aufstrebende Labour Party wurde der nunmehrige konservative Schatzkanzler (ein Metier, von dem er wenig verstand) zum Feindbild. Er galt als Reaktionär und Rüpel, als rücksichtsloser Karrierist und Militarist. Und er war auch noch Verfechter der Eugenik.
Und bald überwarf er sich auch wieder mit seinen Konservativen. Dem überzeugten Imperialisten Churchill war die Haltung der Parteiführung in der Indien-Frage zu nachgiebig. Mahatma Gandhi nannte er etwa einen „halb nackten Fakir“. Churchill ließ überhaupt kaum eine Gelegenheit zu einer Pointe oder einem Bonmot – nach heutigen Maßstäben nicht selten politisch unkorrekt – aus. Legendär wurde seine Konversation mit Lady Astor: „Wenn Sie mein Mann wären, würde ich Ihnen Gift in den Tee schütten“, sagte diese. „Wenn Sie meine Gattin wären, würde ich ihn trinken“, antwortete Churchill. Laut Biograf Johnson soll diese Retourkutsche jedoch nicht von Churchill stammen. Dafür tischt er in seinem Buch eine andere politisch inkorrekte Anekdote auf: Auf die Vorhaltung einer Labour-Abgeordneten, er sei schon wieder einmal betrunken – er trank tatsächlich Champagner und Brandy wie andere Wasser – konterte Churchill: „Dafür sind Sie hässlich. Und ich am nächsten Morgen wieder nüchtern.“
1929/30 zog sich Churchill zurück, er gärtnerte, schrieb und malte. Ehe dann 1940 seine große Stunde schlug. Ihm, der vielen als politischer Abenteurer galt, wurde nun in höchster Not das Land anvertraut. Wem, wenn nicht ihm, könnte man auch sagen.
Churchill hatte sich als unnachgiebiger Kritiker der Appeasement-Politik von Premierminister Neville Chamberlain einen Namen gemacht. Und auch seine militärische Erfahrung kam ihm nun zugute: Er war aktiver Soldat in diversen Kolonialkriegen – von Indien bis zum Sudan – gewesen. Im südafrikanischen Burenkrieg war er Kriegsberichterstatter. Im Ersten Weltkrieg war er Marineminister (hatte als solcher aber das Fiasko von Gallipoli zu verantworten) und Rüstungsminister. Danach ab 1919 war er Kriegsminister.
Churchill hielt – in einer Zeit, als von Framing und Spins noch keine Rede war – vor allem mit seiner Rhetorik die Widerstandskraft seiner Bürger im Zweiten Weltkrieg hoch. Zur eingangs zitierten „Finest hour“Rede kamen noch weitere bis heute unvergessene Durchhalteparolen hinzu: „Ich habe nichts zu bieten außer Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“oder „Wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden an den Landungsabschnitten kämpfen, wir werden auf den Feldern und auf den Straßen kämpfen, wir werden in den Hügeln kämpfen. Wir werden uns niemals ergeben.“Churchill war es auch, der nicht müde wurde, die Amerikaner zum Kriegseintritt zu bewegen.
Nach dem Sieg im Zweiten Weltkrieg hatte Winston Churchill seine Schuldigkeit getan – und konnte gehen. Im Juli 1945 gewann die Labour Party die Unterhauswahl. Haffner meinte dazu: „Churchill hatte vor, den Feind zu vernichten – und er war schlimmstenfalls bereit, dafür sogar Englands Existenz dranzugeben. Damit legte er vielleicht schon unbewusst den Grundstein für das tiefe, unausgesprochene, subtile Missverständnis mit seinem Lande, das schließlich 1945 zu seinem Sturz führte.“
Doch die Briten holten ihn noch einmal zurück. 1951 wurde Churchill erneut Premier und blieb es bis 1955. 1953 erhielt der Vielseitige den Literaturnobelpreis. Für sein biografisch-historisches Werk „Der Zweite Weltkrieg“. Es waren seine größten Stunden.