„Niemandem das Auto wegnehmen“
Interview. Der Kanzler habe ihr nicht das Vertrauen entzogen, versichert Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein. Für Jugendliche soll es verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen geben – finanzielle Sanktionen inklusive.
Für Jugendliche solle es verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen geben – finanzielle Sanktionen inklusive, sagt Sozialund Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein.
Die Presse: Die FPÖ ist an sich kein Freund von Zuwanderung. Durch die Regionalisierung der Mangelberufsliste werden zusätzliche Arbeitskräfte aus Drittstaaten in den Arbeitsmarkt drängen. Mit wie vielen rechnen Sie in dieser Legislaturperiode? Beate Hartinger-Klein: Da es noch kein konkretes Modell gibt, gibt es auch noch keine Zahlen. So viele, wie von der SPÖ kolportiert, also 150.000, werden es sicher nicht sein. Ich setze auch Schritte, um den Arbeitsmarkt zu schützen. Etwa, indem ich für Brüssel einen begründeten Antrag ausarbeiten werde, um die volle Öffnung des österreichischen Arbeitsmarkts für Kroaten um zwei weitere Jahre hinauszuschieben.
Glauben Sie, die EU bewilligt das? Bei entsprechend guter Begründung spricht wenig bis nichts dagegen. Bis 30. Juni haben wir für den Antrag jedenfalls noch Zeit.
Aber ist das nicht ein Widerspruch? Einerseits kommen mehr Arbeitskräfte über die neue Mangelberufsliste, andererseits wollen Sie die Kroaten draußen halten. Es steht jedem Land zu zu entscheiden, welche Leute es braucht, weil sie in gewissen Branchen fehlen.
Die Reform der Mangelberufsliste ist eine Forderung der Industriellenvereinigung, nützt also Unternehmen. Aber ist das nicht gegen die Interessen des von der FPÖ viel umworbenen „kleinen Mannes“? Nein. Wenn jemand eine Berghütte hat, aber keinen Koch findet, dann muss die Hütte zusperren. Davon hat keiner etwas.
In der Debatte um das neue Arbeitslosengeld haben Sie gesagt, dass es keinen Vermögenszugriff geben soll. Kanzler Kurz widersprach. Jetzt sind die Regierungskoordinatoren dafür zuständig. Hat man Ihnen das Vertrauen entzogen? Es ist ein normaler Prozess, dass bei Leuchtturmprojekten die Regierungskoordinatoren miteinbezogen sind. Die fachliche Expertise kommt aber vom Ministerium.
Wird es einen Vermögenszugriff geben? Wir werden mit Experten Modelle vorbereiten. Mir ist wichtig zu betonen, dass ich einem Menschen, der sein Leben lang gearbeitet hat, sicher nicht die Wohnung und das Auto wegnehmen will.
Die Notstandshilfe ist eigentlich auch nichts anderes als eine abflachende Zahlung. Was soll jetzt genau anders sein? Eigentlich ist die Frage, ob diese Zahlungen aus dem Steuertopf oder aus dem Versicherungstopf kommen.
Und ein Vermögenszugriff ist nur möglich, wenn es aus dem Steuertopf kommt. Ja, das ist richtig.
In den Ländern gab es von der FPÖ Protest gegen das „Arbeitslosengeld neu“. Werden Sie darauf Rücksicht nehmen? Als Sozialministerin bin ich in erster Linie für die Menschen in dem Land da.
Im Regierungsprogramm steht, dass Krankenstand künftig kein Grund mehr für die Verlängerung des Arbeitslosengeldes sein soll. Was heißt das? Das ist ein sehr sensibles Thema. Wenn jemand physisch oder psychisch nicht mehr in der Lage ist zu arbeiten, muss man zuerst schauen, wie man demjenigen helfen kann, die Krankheit hintanzuhalten – und dann kann man schauen, wie man ihn wieder in den Arbeitsmarkt eingliedert.
Überspitzt formuliert: Steht dann auch zur Debatte, dass künftig auf Vermögen von Krebskranken zugegriffen wird? Auf keinen Fall. Gerade in solchen tragischen Situationen geht es mir darum, die Menschen zu unterstützen.
Psychische Krankheiten sind ein Hauptgrund für Langzeitarbeitslosigkeit und Frühpensionen. Soll es mehr Psychotherapie auf Krankenschein geben? Man muss auf die Kosten achten – prinzipiell soll es aber mehr Kontingente geben. Immerhin stehen psychische Krankheiten im Ranking der Krankheiten ganz oben.
Auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es viel zu wenige Plätze, zum Teil werden die Kinder dann in Erwachsenenstationen untergebracht. Was wollen Sie tun? Da müssen wir bei der Ausbildung ansetzen, Anreize schaffen, damit sich mehr Mediziner diesem Fach widmen. Das werde ich mit dem Wissenschaftsministerium diskutieren.
Ein anderes Problem sind die langen Wartezeiten auf Operationen und bildgebende Verfahren wie MRT. Der Punkt ist doch: Wer privat aufzahlt, bekommt schneller einen Termin. Muss man das akzeptieren? Nein. Ich wollte immer, dass Leute, die die gleichen Leistungen bezahlen, auch die gleichen Leistungen bekommen. Und das haben wir im Moment noch nicht.
Was werden Sie bei den Wartezeiten tun? Im Prinzip sind die Krankenanstalten Sache der Länder. Ich werde versuchen, mehr Transparenz zu schaffen – etwa über Plattformen wie Kliniksuche und Spitalskompass, auf denen die Patienten sehen können, wie Wartezeiten in den einzelnen Spitälern sind.
Beim Rauchverbot gibt es heftige Proteste und Unterschriftenlisten gegen die Pläne von ÖVP und FPÖ. Glauben Sie, dass es noch zu einem Umdenken kommt? Das müssen Sie die handelnden Personen fragen.
Aber Sie sind doch eine. In dem Fall entscheidet das Parlament. Ich bin nur die ausführende Ministerin.
Im Regierungsprogramm steht, dass der Mutter-Kind-Pass bis zum 18. Lebensjahr verlängert werden soll. Was bedeutet das? Wir wollen den Mutter-Kind-Pass auf die Jugendlichen ausdehnen. Sie sollen lernen, dass Vorsorgeuntersuchungen wichtig sind. Dass Mundhygiene wichtig ist. Dass gesunde Ernährung und Bewegung wichtig sind. Wir haben derzeit das Problem, dass es sehr viele adipöse Jugendliche gibt. Das ist so rasch wie möglich abzufangen.
Wird die Vorsorge verpflichtend sein? Verpflichtend in dem Sinn, dass es positive Anreize und Verknüpfungen geben soll. Und wer sich nicht daran hält, dem wird das Kindergeld gekürzt? Ich muss irgendwelche Anreize schaffen, sonst wird es nicht angenommen – das hat man beim Mutter-Kind-Pass gesehen. So tragisch das ist, weil es ja nichts kostet.
Zum Thema Pensionen: Wie wollen Sie das faktische Pensionsantrittsalter, das derzeit bei rund 60 Jahren liegt, an das gesetzliche (bei Frauen 60 und Männern 65 Jahre Anm.) heranführen? Auch da würde ich noch um Geduld bitten.
Was könnte man prinzipiell tun, außer den Zugang in die Frühpension zu erschweren? Die Frage ist, ob es gelingen kann, die Unternehmen mit positiven Anreizen dazu zu bewegen, die Erfahrung der älteren Arbeitnehmer zu nützen.
Das bringt uns jetzt zur alten Debatte um die Lohnkurve. Die Unternehmen argumentieren, dass die Älteren zu teuer sind. Hier sind die Sozialpartner gefordert.
Sollen die Kinderbetreuungszeiten für die Mindestpension angerechnet werden können? Frauen sind da derzeit noch benachteiligt. Das wäre eine Variante. Da wird die Frauenministerin sicher Programme vorlegen.
Soll das Frauenpensionsalter früher jenem der Männer angeglichen werden? Das steht nicht im Regierungsprogramm.
Wie groß ist aus Ihrer Sicht der finanzielle Druck im Pensionssystem? Im Moment haben wir noch keinen Handlungsbedarf, aber das hängt mit der guten Konjunktur zusammen.
(59) war für die FPÖ bereits im steirischen Landtag (1996 bis 1999) und als Nationalratsabgeordnete (1999 bis 2002) politisch tätig – seit Dezember ist sie als Bundesministerin für Arbeitsmarkt, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz zuständig. Hartinger hat Wirtschaftswissenschaften in Graz studiert und ist seit 1990 im Gesundheitsbereich tätig. Ab 2005 war sie stellvertretende Generaldirektorin im Hauptverband der Sozialversicherungsträger. 2009 wechselte sie als Geschäftsführerin im Bereich Healthcare Consulting zu Deloitte. Von 2011 bis 2017 war sie selbstständig.