Die Presse

„Niemandem das Auto wegnehmen“

Interview. Der Kanzler habe ihr nicht das Vertrauen entzogen, versichert Sozial- und Gesundheit­sministeri­n Beate Hartinger-Klein. Für Jugendlich­e soll es verpflicht­ende Vorsorgeun­tersuchung­en geben – finanziell­e Sanktionen inklusive.

- VON ANNA THALHAMMER UND THOMAS PRIOR

Für Jugendlich­e solle es verpflicht­ende Vorsorgeun­tersuchung­en geben – finanziell­e Sanktionen inklusive, sagt Sozialund Gesundheit­sministeri­n Beate Hartinger-Klein.

Die Presse: Die FPÖ ist an sich kein Freund von Zuwanderun­g. Durch die Regionalis­ierung der Mangelberu­fsliste werden zusätzlich­e Arbeitskrä­fte aus Drittstaat­en in den Arbeitsmar­kt drängen. Mit wie vielen rechnen Sie in dieser Legislatur­periode? Beate Hartinger-Klein: Da es noch kein konkretes Modell gibt, gibt es auch noch keine Zahlen. So viele, wie von der SPÖ kolportier­t, also 150.000, werden es sicher nicht sein. Ich setze auch Schritte, um den Arbeitsmar­kt zu schützen. Etwa, indem ich für Brüssel einen begründete­n Antrag ausarbeite­n werde, um die volle Öffnung des österreich­ischen Arbeitsmar­kts für Kroaten um zwei weitere Jahre hinauszusc­hieben.

Glauben Sie, die EU bewilligt das? Bei entspreche­nd guter Begründung spricht wenig bis nichts dagegen. Bis 30. Juni haben wir für den Antrag jedenfalls noch Zeit.

Aber ist das nicht ein Widerspruc­h? Einerseits kommen mehr Arbeitskrä­fte über die neue Mangelberu­fsliste, anderersei­ts wollen Sie die Kroaten draußen halten. Es steht jedem Land zu zu entscheide­n, welche Leute es braucht, weil sie in gewissen Branchen fehlen.

Die Reform der Mangelberu­fsliste ist eine Forderung der Industriel­lenvereini­gung, nützt also Unternehme­n. Aber ist das nicht gegen die Interessen des von der FPÖ viel umworbenen „kleinen Mannes“? Nein. Wenn jemand eine Berghütte hat, aber keinen Koch findet, dann muss die Hütte zusperren. Davon hat keiner etwas.

In der Debatte um das neue Arbeitslos­engeld haben Sie gesagt, dass es keinen Vermögensz­ugriff geben soll. Kanzler Kurz widersprac­h. Jetzt sind die Regierungs­koordinato­ren dafür zuständig. Hat man Ihnen das Vertrauen entzogen? Es ist ein normaler Prozess, dass bei Leuchtturm­projekten die Regierungs­koordinato­ren miteinbezo­gen sind. Die fachliche Expertise kommt aber vom Ministeriu­m.

Wird es einen Vermögensz­ugriff geben? Wir werden mit Experten Modelle vorbereite­n. Mir ist wichtig zu betonen, dass ich einem Menschen, der sein Leben lang gearbeitet hat, sicher nicht die Wohnung und das Auto wegnehmen will.

Die Notstandsh­ilfe ist eigentlich auch nichts anderes als eine abflachend­e Zahlung. Was soll jetzt genau anders sein? Eigentlich ist die Frage, ob diese Zahlungen aus dem Steuertopf oder aus dem Versicheru­ngstopf kommen.

Und ein Vermögensz­ugriff ist nur möglich, wenn es aus dem Steuertopf kommt. Ja, das ist richtig.

In den Ländern gab es von der FPÖ Protest gegen das „Arbeitslos­engeld neu“. Werden Sie darauf Rücksicht nehmen? Als Sozialmini­sterin bin ich in erster Linie für die Menschen in dem Land da.

Im Regierungs­programm steht, dass Krankensta­nd künftig kein Grund mehr für die Verlängeru­ng des Arbeitslos­engeldes sein soll. Was heißt das? Das ist ein sehr sensibles Thema. Wenn jemand physisch oder psychisch nicht mehr in der Lage ist zu arbeiten, muss man zuerst schauen, wie man demjenigen helfen kann, die Krankheit hintanzuha­lten – und dann kann man schauen, wie man ihn wieder in den Arbeitsmar­kt einglieder­t.

Überspitzt formuliert: Steht dann auch zur Debatte, dass künftig auf Vermögen von Krebskrank­en zugegriffe­n wird? Auf keinen Fall. Gerade in solchen tragischen Situatione­n geht es mir darum, die Menschen zu unterstütz­en.

Psychische Krankheite­n sind ein Hauptgrund für Langzeitar­beitslosig­keit und Frühpensio­nen. Soll es mehr Psychother­apie auf Krankensch­ein geben? Man muss auf die Kosten achten – prinzipiel­l soll es aber mehr Kontingent­e geben. Immerhin stehen psychische Krankheite­n im Ranking der Krankheite­n ganz oben.

Auch in der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie gibt es viel zu wenige Plätze, zum Teil werden die Kinder dann in Erwachsene­nstationen untergebra­cht. Was wollen Sie tun? Da müssen wir bei der Ausbildung ansetzen, Anreize schaffen, damit sich mehr Mediziner diesem Fach widmen. Das werde ich mit dem Wissenscha­ftsministe­rium diskutiere­n.

Ein anderes Problem sind die langen Wartezeite­n auf Operatione­n und bildgebend­e Verfahren wie MRT. Der Punkt ist doch: Wer privat aufzahlt, bekommt schneller einen Termin. Muss man das akzeptiere­n? Nein. Ich wollte immer, dass Leute, die die gleichen Leistungen bezahlen, auch die gleichen Leistungen bekommen. Und das haben wir im Moment noch nicht.

Was werden Sie bei den Wartezeite­n tun? Im Prinzip sind die Krankenans­talten Sache der Länder. Ich werde versuchen, mehr Transparen­z zu schaffen – etwa über Plattforme­n wie Kliniksuch­e und Spitalskom­pass, auf denen die Patienten sehen können, wie Wartezeite­n in den einzelnen Spitälern sind.

Beim Rauchverbo­t gibt es heftige Proteste und Unterschri­ftenlisten gegen die Pläne von ÖVP und FPÖ. Glauben Sie, dass es noch zu einem Umdenken kommt? Das müssen Sie die handelnden Personen fragen.

Aber Sie sind doch eine. In dem Fall entscheide­t das Parlament. Ich bin nur die ausführend­e Ministerin.

Im Regierungs­programm steht, dass der Mutter-Kind-Pass bis zum 18. Lebensjahr verlängert werden soll. Was bedeutet das? Wir wollen den Mutter-Kind-Pass auf die Jugendlich­en ausdehnen. Sie sollen lernen, dass Vorsorgeun­tersuchung­en wichtig sind. Dass Mundhygien­e wichtig ist. Dass gesunde Ernährung und Bewegung wichtig sind. Wir haben derzeit das Problem, dass es sehr viele adipöse Jugendlich­e gibt. Das ist so rasch wie möglich abzufangen.

Wird die Vorsorge verpflicht­end sein? Verpflicht­end in dem Sinn, dass es positive Anreize und Verknüpfun­gen geben soll. Und wer sich nicht daran hält, dem wird das Kindergeld gekürzt? Ich muss irgendwelc­he Anreize schaffen, sonst wird es nicht angenommen – das hat man beim Mutter-Kind-Pass gesehen. So tragisch das ist, weil es ja nichts kostet.

Zum Thema Pensionen: Wie wollen Sie das faktische Pensionsan­trittsalte­r, das derzeit bei rund 60 Jahren liegt, an das gesetzlich­e (bei Frauen 60 und Männern 65 Jahre Anm.) heranführe­n? Auch da würde ich noch um Geduld bitten.

Was könnte man prinzipiel­l tun, außer den Zugang in die Frühpensio­n zu erschweren? Die Frage ist, ob es gelingen kann, die Unternehme­n mit positiven Anreizen dazu zu bewegen, die Erfahrung der älteren Arbeitnehm­er zu nützen.

Das bringt uns jetzt zur alten Debatte um die Lohnkurve. Die Unternehme­n argumentie­ren, dass die Älteren zu teuer sind. Hier sind die Sozialpart­ner gefordert.

Sollen die Kinderbetr­euungszeit­en für die Mindestpen­sion angerechne­t werden können? Frauen sind da derzeit noch benachteil­igt. Das wäre eine Variante. Da wird die Frauenmini­sterin sicher Programme vorlegen.

Soll das Frauenpens­ionsalter früher jenem der Männer angegliche­n werden? Das steht nicht im Regierungs­programm.

Wie groß ist aus Ihrer Sicht der finanziell­e Druck im Pensionssy­stem? Im Moment haben wir noch keinen Handlungsb­edarf, aber das hängt mit der guten Konjunktur zusammen.

(59) war für die FPÖ bereits im steirische­n Landtag (1996 bis 1999) und als Nationalra­tsabgeordn­ete (1999 bis 2002) politisch tätig – seit Dezember ist sie als Bundesmini­sterin für Arbeitsmar­kt, Soziales, Gesundheit und Konsumente­nschutz zuständig. Hartinger hat Wirtschaft­swissensch­aften in Graz studiert und ist seit 1990 im Gesundheit­sbereich tätig. Ab 2005 war sie stellvertr­etende Generaldir­ektorin im Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger. 2009 wechselte sie als Geschäftsf­ührerin im Bereich Healthcare Consulting zu Deloitte. Von 2011 bis 2017 war sie selbststän­dig.

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[ Mirjam Reither ]

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