Ein Hoch aufs andere „nett“
Anglizismen. Ab diesem Wochenende kann wieder das wichtigste englische Lehnwort gewählt werden. Wir stellen dieser Auswahl unsere eigenen Lieblinge entgegen: weniger Technik und Politik, mehr Sprachgebrauch.
Eine Auswahl unserer Lieblingsanglizismen: Weniger Technik und Politik, mehr Sprachgebrauch.
Nice, dieses einfache, kleine, fast möchte man sagen: nette Wort, hat es bei der Wahl zum Anglizismus des Jahres (anglizismusdesjahres.de) noch nie zum beliebtesten englischen Lehnwort geschafft, ja nicht einmal auf die vorderen Ränge. Das ist ein Fehler, meinen wir. Denn nice erfreut sich aus guten Gründen seit Jahren zunehmender Beliebtheit: Das deutsche nett ist nämlich mittlerweile durchwegs negativ konnotiert – und zwar nicht nur in der Kombination mit ganz nett oder eh
nett oder eh ganz nett, sondern auch für sich allein. Ob das mit unserer Verachtung der Freundlichen zusammenhängt? Mit unserer Bewunderung für das Schlaue, auch wenn es fies ist? Steckt hinter der Abwertung des Netten der Trend zur Ellenbogengesellschaft? Bedarf für ein Wort dieser Bedeutung gibt es dennoch – und nice füllt hier die Lücke. Nice ist wirklich, ganz unironisch, schlicht und erfrischend nett. Ein Hoch darauf.
Weitere Begriffe, die wir verwenden, weil unsere alten hässlich sind oder sich verbraucht haben:
Baby (Säugling), Team (Arbeitsgruppe), Sex (Geschlechtsverkehr),
Training (Leibesertüchtigung).
deep dive
Hier springt das Englische ein, weil im Deutschen schlicht ein Wort fehlt. Bei einem deep dive beschäftigt man sich über eine kurze, intensive Zeit hinweg mit einem Thema, recherchiert im Netz, sucht nach YouTube-Videos, Tutorials, Artikeln, Blogs et cetera. Dann taucht man wieder auf und legt die Sache ad acta. Ein deep di
ve muss nicht zwangsläufig einem ernsthaften Thema gelten, manchmal lässt man sich auch von eher unwichtigen Phänomen (allzu) lange fesseln.
committen
Nein, das bedeutet nicht einfach: sich verpflichten. Committen ist mehr, nicht zufällig nennt der „Duden“als zweite Bedeutung sich be
kennen. Es ist eigentlich ein Mittelding aus beidem: Man akzeptiert die Notwendigkeit, Nützlichkeit, den Sinn eines Schrittes oder einer Vereinbarung, und erklärt sich freiwillig bereit, dabei mitzumachen. Gegencheck: Ein Chef kann mich zu etwas verpflichten. Zu etwas committen kann er mich dagegen nicht.
Auch für das Wort ranten gibt es keine sinnvolle Entsprechung.
Ranten meint nicht einfach schimpfen oder zetern, einem Rant ist ein lustvolles Element eigen, so ähnlich wie der Tirade.
Shoppen heißt nicht einkaufen, genauso wie pink einfach rosa ist.
24/7
Gesprochen: Vierundzwanzigsie
ben. Kommt aus den USA und bezeichnet Öffnungszeiten rund um die Uhr. Die eingedeutschte Variante bezieht sich seltener auf Geschäfte und Dienstleister, häufiger auf Menschen und deren Treiben: Er arbeitet vierundzwanzigsieben am neuen Projekt. Oder sie ist vier
undzwanzigsieben auf Insta. Aller- dings darf man dieses 24/ 7 nicht ganz so ernst nehmen wie das Original, es meint eher dauernd als rund um die Uhr. Auch 2017 wird zum Glück noch geschlafen. Andere Lehnübersetzungen: nicht wirklich (not really), macht Sinn (makes sense).
deep state
Ein Beispiel für viele Anglizismen, die aus dem Bereich der Politik über den Atlantik zu uns schwappen. Andere wären Alternative Facts, Fake News, Mainstream, Establishment, Political Correct
ness, Alt Right. Fällt Ihnen etwas auf? Die meisten neuen politischen Anglizismen wurden entweder von Rechten geprägt oder aber usurpiert: Keiner schreit häufiger Fake News als Donald Trump, der Mainstream meint paradoxerweise nicht mehr die Mitte, sondern das angebliche gesellschaftliche und politische Diktat einer Minderheit, das Establishment eine gedacht linke Meinungsmacht aus Intellektuellen, Künstlern und Journalisten. So gesehen hätte man den Rechtsdrift vor Jahren allein aus der sprachlichen Entwicklung heraus vorhersagen können. Die Sprachmacht ist rechts.
Deep state haben wir unter all diesen Begriffen ausgewählt, weil es noch nicht ganz so bekannt ist und viel erzählt über die Narrative (nein, dieses Wort ist nicht blöd!) der radikalen Rechten: Mit deep
state bezeichnen sie eine angebliche Verschwörung von Bürokratie, Finanz, Teilen der Politik und Industrie, die sämtliche Pläne des US-Präsidenten torpediert und damit verhindert, dass der Wille des Wählers umgesetzt wird. Es ist also ein Staat im Staat, der von Barack Obama angeführt wird. Sehr günstig: Man sagt deep state und muss nicht erklären, warum nichts weitergeht. So hat man immer einen Schuldenbock.
same
Ursprünglich: same here (ich auch, mir auch). Aber wie bei I’m in (ich mache mit) und true that (stimmt) folgte hier die Sprache ihrer Tendenz zu Verknappung, die von SMS und Mail noch vorangetrieben wird. Wieso zwei Silben tippen, wenn eine reicht? Deshalb: same, in, true. In diesen Fällen wird kein deutsches Wort ersetzt und keine Lücke gefüllt – es klingt nur einfach cool. Besonders beliebt: in WhatsApp-Gruppen.
bingen
Ist das neue Binge Watching, man ist maßlos und schaut sich sämtliche Episoden der Staffel einer Serie in einem Stück an. Hier sieht man, dass sich in der Sprache nicht nur oft die einfacheren Varianten durchsetzen, sondern manchmal auch die schöneren: Binge Wat- ching erinnert an Quatsch und Tratsch und Matsch, da klingt bingen (deutsche Alternative: durch
suchten) schon viel angenehmer. Außerdem ist es ein Beispiel dafür, dass technische oder soziale Entwicklungen neue Begriffe nach sich ziehen. Vor Facebook, Twitter und Instagram gab es keine Influ
encer, es wurde nicht geliket und niemand entfriendet. Und ohne Netflix und Co gab es wenig Bedarf für das Wort spoilern: Im Zeitalter des klassischen Fernsehens hatte jeder denselben Kenntnisstand. Jetzt wartet der eine sehnsüchtig auf Staffel acht von „Game of Thrones“, wo der andere noch nicht einmal die Rote Hochzeit überstanden hat. Also bitte nichts verraten!
cringey
Jugend- und Netzsprache. Menschen über 40, die cringey verwenden, laufen Gefahr, schief angeschaut zu werden, wer das vermeiden will, beschränkt sich auf Worte, die bereits in der Altersmitte der Gesellschaft angekommen sind wie weird, fancy oder akward. Etwas ist cringey, wenn man sich so (fremd-)schämt, dass sich einem alles zusammenzieht. Es ist einfach urpeinlich. Wer cringey sagt, sagt auch: instant (sofort), fresh, Lachflash oder random (zufällig, irgendwie, ohne Sinn).
nicht cool
Achtung Falle! Nicht cool bedeutet keineswegs, dass etwas nicht klasse, super, lässig oder hip wäre. Es lässt sich eher mit nicht anständig,
nicht okay übersetzen, es steckt also kein ästhetisches Urteil dahinter, sondern ein moralisches. Nicht
cool ist es, per Snapchat Schluss zu machen oder auf Instagram den Ex zu stalken. Auch das Wort sad hat einen Bedeutungswandel erlebt. Ob das mit dem US-Präsidenten zusammenhängt, dessen zweitliebste Vokabel es zu sein scheint? Verwendet wird es jedenfalls nicht mehr im Sinn von traurig, sondern von erbarmungswürdig.
Aufgepasst: Cool heißt nach wie vor cool, daran hat sich nichts geändert.
lollig
Kommt von lol, der Abkürzung für laugh out loud. Während es in der geschriebenen Konversation, aus der es eigentlich stammt, mittlerweile fast nur noch ironisch verwendet wird, also im Wissen, dass es schon seit mindestens zwei Jahren out ist, feiert es paradoxerweise im Deutschen ein mündliches Comeback. Lollig ist eine gelungene Wortneuschöpfung: Es erinnert an den Lolli, wirkt auch sonst lautmalerisch eher herzig und wird gern von Kindern verwendet.
Weitere Begriffe, die zu Adjektiven mutierten: chillig, nerdig, jazzig, flippig, peppig. Solche mit einer Nachsilbe flott gebildeten Anglizismen sind aus der deutschen Sprache kaum wegzudenken.
no go: shitstorm
Cringey! Es muss Ersatz her, schließlich machen wir uns im gesamten englischsprachigen Raum lächerlich. Denn erstens existiert das Wort dort gar nicht, es ist nämlich ein Pseudoanglizismus. Und zweitens ist Shitstorm ein besonders übles Wort. Dass es sich durchsetzen konnte, liegt daran, dass wir Fremdsprachen gegenüber offenbar toleranter sind. Oder sie nicht so ernst nehmen? Die englischen Songs kommen uns jedenfalls nie so kitschig, die englischen Flüche (Fuck) nie so arg vor.
Weitere Pseudoanglizismen: das Handy, der Smoking. Ob Pu
blic Viewing ein Pseudoanglizismus ist, darüber kann man streiten: Sicher ist: Es bedeutet in den USA auch die öffentliche Aufbahrung Verstorbener.