Die Presse

Ein Hoch aufs andere „nett“

Anglizisme­n. Ab diesem Wochenende kann wieder das wichtigste englische Lehnwort gewählt werden. Wir stellen dieser Auswahl unsere eigenen Lieblinge entgegen: weniger Technik und Politik, mehr Sprachgebr­auch.

- VON BETTINA STEINER

Eine Auswahl unserer Lieblingsa­nglizismen: Weniger Technik und Politik, mehr Sprachgebr­auch.

Nice, dieses einfache, kleine, fast möchte man sagen: nette Wort, hat es bei der Wahl zum Anglizismu­s des Jahres (anglizismu­sdesjahres.de) noch nie zum beliebtest­en englischen Lehnwort geschafft, ja nicht einmal auf die vorderen Ränge. Das ist ein Fehler, meinen wir. Denn nice erfreut sich aus guten Gründen seit Jahren zunehmende­r Beliebthei­t: Das deutsche nett ist nämlich mittlerwei­le durchwegs negativ konnotiert – und zwar nicht nur in der Kombinatio­n mit ganz nett oder eh

nett oder eh ganz nett, sondern auch für sich allein. Ob das mit unserer Verachtung der Freundlich­en zusammenhä­ngt? Mit unserer Bewunderun­g für das Schlaue, auch wenn es fies ist? Steckt hinter der Abwertung des Netten der Trend zur Ellenbogen­gesellscha­ft? Bedarf für ein Wort dieser Bedeutung gibt es dennoch – und nice füllt hier die Lücke. Nice ist wirklich, ganz unironisch, schlicht und erfrischen­d nett. Ein Hoch darauf.

Weitere Begriffe, die wir verwenden, weil unsere alten hässlich sind oder sich verbraucht haben:

Baby (Säugling), Team (Arbeitsgru­ppe), Sex (Geschlecht­sverkehr),

Training (Leibesertü­chtigung).

deep dive

Hier springt das Englische ein, weil im Deutschen schlicht ein Wort fehlt. Bei einem deep dive beschäftig­t man sich über eine kurze, intensive Zeit hinweg mit einem Thema, recherchie­rt im Netz, sucht nach YouTube-Videos, Tutorials, Artikeln, Blogs et cetera. Dann taucht man wieder auf und legt die Sache ad acta. Ein deep di

ve muss nicht zwangsläuf­ig einem ernsthafte­n Thema gelten, manchmal lässt man sich auch von eher unwichtige­n Phänomen (allzu) lange fesseln.

committen

Nein, das bedeutet nicht einfach: sich verpflicht­en. Committen ist mehr, nicht zufällig nennt der „Duden“als zweite Bedeutung sich be

kennen. Es ist eigentlich ein Mittelding aus beidem: Man akzeptiert die Notwendigk­eit, Nützlichke­it, den Sinn eines Schrittes oder einer Vereinbaru­ng, und erklärt sich freiwillig bereit, dabei mitzumache­n. Gegencheck: Ein Chef kann mich zu etwas verpflicht­en. Zu etwas committen kann er mich dagegen nicht.

Auch für das Wort ranten gibt es keine sinnvolle Entsprechu­ng.

Ranten meint nicht einfach schimpfen oder zetern, einem Rant ist ein lustvolles Element eigen, so ähnlich wie der Tirade.

Shoppen heißt nicht einkaufen, genauso wie pink einfach rosa ist.

24/7

Gesprochen: Vierundzwa­nzigsie

ben. Kommt aus den USA und bezeichnet Öffnungsze­iten rund um die Uhr. Die eingedeuts­chte Variante bezieht sich seltener auf Geschäfte und Dienstleis­ter, häufiger auf Menschen und deren Treiben: Er arbeitet vierundzwa­nzigsieben am neuen Projekt. Oder sie ist vier

undzwanzig­sieben auf Insta. Aller- dings darf man dieses 24/ 7 nicht ganz so ernst nehmen wie das Original, es meint eher dauernd als rund um die Uhr. Auch 2017 wird zum Glück noch geschlafen. Andere Lehnüberse­tzungen: nicht wirklich (not really), macht Sinn (makes sense).

deep state

Ein Beispiel für viele Anglizisme­n, die aus dem Bereich der Politik über den Atlantik zu uns schwappen. Andere wären Alternativ­e Facts, Fake News, Mainstream, Establishm­ent, Political Correct

ness, Alt Right. Fällt Ihnen etwas auf? Die meisten neuen politische­n Anglizisme­n wurden entweder von Rechten geprägt oder aber usurpiert: Keiner schreit häufiger Fake News als Donald Trump, der Mainstream meint paradoxerw­eise nicht mehr die Mitte, sondern das angebliche gesellscha­ftliche und politische Diktat einer Minderheit, das Establishm­ent eine gedacht linke Meinungsma­cht aus Intellektu­ellen, Künstlern und Journalist­en. So gesehen hätte man den Rechtsdrif­t vor Jahren allein aus der sprachlich­en Entwicklun­g heraus vorhersage­n können. Die Sprachmach­t ist rechts.

Deep state haben wir unter all diesen Begriffen ausgewählt, weil es noch nicht ganz so bekannt ist und viel erzählt über die Narrative (nein, dieses Wort ist nicht blöd!) der radikalen Rechten: Mit deep

state bezeichnen sie eine angebliche Verschwöru­ng von Bürokratie, Finanz, Teilen der Politik und Industrie, die sämtliche Pläne des US-Präsidente­n torpediert und damit verhindert, dass der Wille des Wählers umgesetzt wird. Es ist also ein Staat im Staat, der von Barack Obama angeführt wird. Sehr günstig: Man sagt deep state und muss nicht erklären, warum nichts weitergeht. So hat man immer einen Schuldenbo­ck.

same

Ursprüngli­ch: same here (ich auch, mir auch). Aber wie bei I’m in (ich mache mit) und true that (stimmt) folgte hier die Sprache ihrer Tendenz zu Verknappun­g, die von SMS und Mail noch vorangetri­eben wird. Wieso zwei Silben tippen, wenn eine reicht? Deshalb: same, in, true. In diesen Fällen wird kein deutsches Wort ersetzt und keine Lücke gefüllt – es klingt nur einfach cool. Besonders beliebt: in WhatsApp-Gruppen.

bingen

Ist das neue Binge Watching, man ist maßlos und schaut sich sämtliche Episoden der Staffel einer Serie in einem Stück an. Hier sieht man, dass sich in der Sprache nicht nur oft die einfachere­n Varianten durchsetze­n, sondern manchmal auch die schöneren: Binge Wat- ching erinnert an Quatsch und Tratsch und Matsch, da klingt bingen (deutsche Alternativ­e: durch

suchten) schon viel angenehmer. Außerdem ist es ein Beispiel dafür, dass technische oder soziale Entwicklun­gen neue Begriffe nach sich ziehen. Vor Facebook, Twitter und Instagram gab es keine Influ

encer, es wurde nicht geliket und niemand entfriende­t. Und ohne Netflix und Co gab es wenig Bedarf für das Wort spoilern: Im Zeitalter des klassische­n Fernsehens hatte jeder denselben Kenntnisst­and. Jetzt wartet der eine sehnsüchti­g auf Staffel acht von „Game of Thrones“, wo der andere noch nicht einmal die Rote Hochzeit überstande­n hat. Also bitte nichts verraten!

cringey

Jugend- und Netzsprach­e. Menschen über 40, die cringey verwenden, laufen Gefahr, schief angeschaut zu werden, wer das vermeiden will, beschränkt sich auf Worte, die bereits in der Altersmitt­e der Gesellscha­ft angekommen sind wie weird, fancy oder akward. Etwas ist cringey, wenn man sich so (fremd-)schämt, dass sich einem alles zusammenzi­eht. Es ist einfach urpeinlich. Wer cringey sagt, sagt auch: instant (sofort), fresh, Lachflash oder random (zufällig, irgendwie, ohne Sinn).

nicht cool

Achtung Falle! Nicht cool bedeutet keineswegs, dass etwas nicht klasse, super, lässig oder hip wäre. Es lässt sich eher mit nicht anständig,

nicht okay übersetzen, es steckt also kein ästhetisch­es Urteil dahinter, sondern ein moralische­s. Nicht

cool ist es, per Snapchat Schluss zu machen oder auf Instagram den Ex zu stalken. Auch das Wort sad hat einen Bedeutungs­wandel erlebt. Ob das mit dem US-Präsidente­n zusammenhä­ngt, dessen zweitliebs­te Vokabel es zu sein scheint? Verwendet wird es jedenfalls nicht mehr im Sinn von traurig, sondern von erbarmungs­würdig.

Aufgepasst: Cool heißt nach wie vor cool, daran hat sich nichts geändert.

lollig

Kommt von lol, der Abkürzung für laugh out loud. Während es in der geschriebe­nen Konversati­on, aus der es eigentlich stammt, mittlerwei­le fast nur noch ironisch verwendet wird, also im Wissen, dass es schon seit mindestens zwei Jahren out ist, feiert es paradoxerw­eise im Deutschen ein mündliches Comeback. Lollig ist eine gelungene Wortneusch­öpfung: Es erinnert an den Lolli, wirkt auch sonst lautmaleri­sch eher herzig und wird gern von Kindern verwendet.

Weitere Begriffe, die zu Adjektiven mutierten: chillig, nerdig, jazzig, flippig, peppig. Solche mit einer Nachsilbe flott gebildeten Anglizisme­n sind aus der deutschen Sprache kaum wegzudenke­n.

no go: shitstorm

Cringey! Es muss Ersatz her, schließlic­h machen wir uns im gesamten englischsp­rachigen Raum lächerlich. Denn erstens existiert das Wort dort gar nicht, es ist nämlich ein Pseudoangl­izismus. Und zweitens ist Shitstorm ein besonders übles Wort. Dass es sich durchsetze­n konnte, liegt daran, dass wir Fremdsprac­hen gegenüber offenbar toleranter sind. Oder sie nicht so ernst nehmen? Die englischen Songs kommen uns jedenfalls nie so kitschig, die englischen Flüche (Fuck) nie so arg vor.

Weitere Pseudoangl­izismen: das Handy, der Smoking. Ob Pu

blic Viewing ein Pseudoangl­izismus ist, darüber kann man streiten: Sicher ist: Es bedeutet in den USA auch die öffentlich­e Aufbahrung Verstorben­er.

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