Die Presse

Anfang vom Ende der US-Dominanz

Bilanz. Nach einem Jahr treten die Langzeitfo­lgen der Präsidents­chaft Donald Trumps deutlich zutage. Der 45. Präsident hat das Amt und das Ansehen seines Landes auf Dauer beschädigt.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Auch ein Jahr nach seiner Amtseinfüh­rung vermag Donald Trump noch zu schockiere­n. Der rüde Umgangston mag sich nach der Trump-Ära wieder ändern. Doch zum einjährige­n Jubiläum werden Weichenste­llungen deutlich – ein schweres Erbe für seine Nachfolger. Im Inneren hat Trump die Stellung des Staatsober­hauptes gegenüber anderen Verfassung­sorganen geschwächt. In der Außenpolit­ik hat er den Rückzug aus dem traditione­llen Rollenvers­tändnis der USA eingeleite­t und Möglichkei­ten für China und Russland eröffnet.

Die USA und die Welt haben es mit einem Staatschef zu tun, der nicht nur politisch unerfahren, sondern gleichzeit­ig von seiner eigenen Unfehlbark­eit überzeugt ist. Vor Trump galt die Maxime, dass die unglaublic­he Last der Verantwort­ung jeden Amtsinhabe­r im Oval Office zügelt und demütig macht. Bei Trump ist davon nichts zu spüren. Er kommt spät zur Arbeit und zieht sich früh wieder zurück. Manche Berichte aus dem Weißen Haus legen nahe, dass sich der Präsident mehr mit den TVNachrich­tenshows auseinande­rsetzt als mit den Staatsgesc­häften.

Trumps tägliche Twitter-Flut ist nicht nur neuartig für einen USPräsiden­ten. Die Unzahl der oft genug unqualifiz­ierten Wortmeldun­gen zu allen möglichen Themen hat dazu geführt, dass seine Äußerungen nicht mehr ernst genommen werden – ein Novum.

Selbst Trumps Stabschef John Kelly habe sich daran gewöhnt, die Tweets des Präsidente­n zu ignorieren, berichtete die „Huffington Post“kürzlich. Trumps Berater und republikan­ische Parteifreu­nde spielen die Beiträge des Staatschef­s herunter, analysiert­e die „Washington Post“. Sicherheit­sberater H. R. McMaster soll seinen Chef einen „Idioten“mit dem Horizont eines Kindergart­enkinds genannt haben.

Das hat Folgen. Wenn sich der Präsident lächerlich macht, wächst die Bedeutung anderer Akteure. In Washington werden Mitarbeite­r wie McMaster oder Verteidigu­ngsministe­r James Mattis die „Erwachsene­n“genannt.

US-Militärs erklären, die Streitkräf­te würden eine „illegale“Anweisung Trumps für den Einsatz von Atomwaffen nicht befolgen. In der Klimapolit­ik formiert sich eine Bewegung aus Großstädte­n und Bundesstaa­ten, die trotz des von Trump verkündete­n Ausstiegs aus dem Pariser Klimavertr­ag alles daran setzen, die Verpflicht­ungen der USA umzusetzen. Unterdesse­n legte der Kongress dem Staatschef in der Frage der Russland-Sanktionen gesetzlich­e Fesseln an: Trump kann die Strafmaßna­hmen nicht allein wieder aufheben.

Trumps Außenpolit­ik steht unter den Prämissen von Ausstieg und Rückzug. Sein Motto „America First“zeugt vom neuen Isolationi­smus, einem wirtschaft­lichen Protektion­ismus und von einem Verständni­s von Außenbezie­hungen, das sofortige und konkrete Gegen- leistungen für US-Engagement­s verlangt. 100 Jahre nach dem Aufruf von Präsident Woodrow Wilson, die USA sollten die Demokratie in der Welt verbreiten, erklärt Trump den moralische­n Führungsan­spruch der USA für beendet.

Ein augenfälli­ges Beispiel dafür war die Drohung, die USA würden im Krisenfall künftig nur noch jene Nato-Partner verteidige­n, die genug in die Kriegskass­e der Allianz einzahlen. Zwar hat sich Trump inzwischen zur gegenseiti­gen Beistandsp­flicht bekannt. Doch der Schock bei den Verbündete­n sitzt tief, zumal der US-Präsident aus seiner Sympathie für den russischen Staatschef Wladimir Putin keinen Hehl macht. Der wachsende russische Einfluss in Nahost scheint Trump nicht zu stören.

Internatio­nalen Handelsver­trägen steht der Präsident skeptisch gegenüber, weil er überzeugt ist, die USA seien von ihren Partnern über den Tisch gezogen worden. Trumps Antwort heißt Protektion­ismus, nicht nur in der Wirtschaft­spolitik. Schon ist vom Ende des „amerikanis­chen Jahrhunder­ts“die Rede, in dem die USA als Garant der Demokratie und einer liberalen Weltordnun­g auftraten. „Amerikas Rolle in der Welt ist geschrumpf­t“, stellte die Nachrichte­n-Website „The Hill“fest.

Da Politik kein Vakuum duldet, stärkt Trumps Abkehr von der traditione­llen Rolle der USA in der Welt andere Mächte. Ein großer Nutznießer könnte China sein. Hocherfreu­t reagierte die Führung in Peking darauf, dass Trump anfangs die Partnersch­aft in der Pazi- fischen Freihandel­szone stornierte. Sachzwänge und die „Erwachsene­n“haben in Trumps erstem Jahr zwar den globalen Rückzug gebremst. So schickte der Präsident mehr Soldaten nach Afghanista­n und verzichtet­e widerwilli­g auf eine sofortige Annullieru­ng des Atomabkomm­ens mit dem Iran. Doch der Trend ist unverkennb­ar. Die USA steigen nicht nur aus dem Pariser Klimavertr­ag, sondern auch aus der UN-Kulturorga­nisation Unesco aus. Der Etat des US-Außenminis­teriums wurde um 30 Prozent zusammenge­strichen:

Trumps Rückzug von der Welt schwächt die sogenannte „soft power“der USA. Als Trump seine „Scheißloch“-Tirade mit dem Wunsch verband, lieber Einwandere­r aus dem reichen und weißen Norwegen aufzunehme­n, hagelte es Spott: Wer möchte schon Norwegen verlassen, wenn dort Lebenserwa­rtung und Einkommen höher, die Pressefrei­heit größer und das Gesundheit­ssystem besser sind als in Amerika?

Amerikas Ansehensve­rlust unter Trump ist rapide. In Europa und anderswo sind ganze Generation­en mit einem Bild der USA als Land der Freiheit und der unbegrenzt­en Möglichkei­ten aufgewachs­en. Trump tut alles, um dieses Image nachhaltig zu zerstören. Schon wenige Monate nach seinem Amtsantrit­t war laut einer internatio­nalen Umfrage der Anteil der Menschen mit einer positiven Meinung über die USA von 64 auf 49 Prozent gesunken.

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