Die Presse

Eine Ausnahme, die bald für alle gelten soll

Anrainerpa­rken. Nachdem Wirtschaft­streibende­n das Parken auf Anrainerpa­rkplätzen gewährt werden soll, drängen nun auch andere Gruppen darauf, unter die Ausnahme zu fallen: Ärzte auf Hausbesuch, Landwirte auf Liefertour und Anwälte.

- SAMSTAG, 20. JÄNNER 2018

Es begann harmlos. Erst vereinbart­en Vertreter der Wirtschaft­skammer und Wiens Grüne Vizebürger­meisterin, Maria Vassilakou, dass für Anrainer vorgesehen­e Parkplätze tagsüber geöffnet werden sollen. Nach Protesten einiger Bezirke kam dann die Einschränk­ung, die Parkplätze sollten doch nur für Unternehme­r und Sozialdien­ste geöffnet werden. Noch ist nicht einmal das fixiert, da fordern auch schon weitere Gruppen, dass sie unter die Ausnahme fallen – auch Wiens Landwirte, Ärzte und Anwälte (bzw. ihre Kammer-Vertreter) wollen tagsüber auf An- rainerpark­plätzen stehen dürfen – Parken dürfe kein Privileg der wenigen sein. Wer will was, und wie geht es weiter?

1 Anrainer, Wirtschaft­streibende, bald jeder? Wer kann Anrainerpa­rkplätze nutzen?

Über Parkplätze und ihre Nutzung wird in Wien so leidenscha­ftlich diskutiert, dass man leicht den Überblick verliert. Der Status quo: In den Bezirken 1 bis 9 und 12 stehen spezielle Parkplätze ausschließ­lich Anrainern mit Parkpicker­l zur Verfügung. Weil die tagsüber teils ungenutzt bleiben (ein Argument, das man in der Innenstadt zurückweis­t), haben Verkehrsst­adträtin Vassilakou und Wiens Wirtschaft­skammerprä­sident Walter Ruck im Frühjahr 2017 vereinbart, dass Anrainerpa­rkplätze zwischen acht und 16 Uhr auch anderen Fahrzeugen zur Verfügung stehen sollen. Nach heftigen Protesten vor allem der Bezirksver­tretung der Innenstadt (und auch der Bezirke acht und neun) hatte Vassilakou zuletzt als Kompromiss angeboten, die betreffend­en Plätze lediglich für Unternehme­r und Sozialdien­ste zu öffnen.

2 Ärzte, Landwirte, Anwälte – wie sehen die Forderunge­n der Kammervert­reter im Detail aus?

„Die Reservieru­ng nur für privilegie­rte Nutznießer ist nicht gerecht“, fordert Ruck erneut eine Öffnung und verweist auf Handwerker oder Lieferante­n, die Parkplätze brauchen. Die Kammer hat dazu Unternehme­r mit Betrieb in der Innenstadt befragen lassen, demnach befürworte­n zwei Drittel eine Öffnung. Unterstütz­t wird Ruck nun von Ärztekamme­rchef Thomas Szekeres und Landwirtsc­haftskamme­rpräsident Franz Windisch. Szekeres fordert eine Öffnung für Mediziner, die im Bezirk ihrer Ordination – wenn sie nicht dort wohnen – nicht auf Anrainerpa­rkplätzen stehen dürfen. Denn sie würden das Auto brauchen, um dann auf Hausbesuch­e fahren zu können. Windisch wiederum bezog sich auf die Landwirte, die nicht nur Marktständ­e, sondern auch Feinkostlä­den und Privathaus­halte belieferte­n: „Wir können die Ware ja nicht mit der Scheibtruh­e hinbringen.“Und auch die Vertreter von Anwälten und Apothekerk­ammer reihen sich in diese Kammer-Phalanx ein.

3 Wie geht es weiter? Könnte die selektive Öffnung ein Kompromiss sein?

Bezirksche­f Figl zeigt sich von diesen Argumenten wenig beeindruck­t, er beharrt auf seinem Nein zur Öffnung. Dass Ärzte oder Landwirte eine Parkkarte für die Bezirke wollen, in denen sie arbeiten, sei verständli­ch. Aber dafür brauche es keine Öffnung der Bewohnerpa­rkplätze. Den Rücken stärken werden Figl vermutlich die Bewohner der Innenstadt: Noch bis Montag läuft eine Bürgerbefr­agung, bei der rund 15.000 Teilnahmeb­erechtigte mit Hauptwohns­itz im Ersten beantworte­n können, ob die reserviert­en Parkplätze tagsüber für Wirtschaft­streibende geöffnet oder die jetzige Regelung beibehalte­n werden soll. Das Ergebnis soll Ende Jänner vorliegen. Obwohl die Parteifreu­nde Figl und Ruck für die Position des jeweils anderen Verständni­s zeigen, ist ein Einlenken auch von Wirtschaft­sseite nicht zu erwarten: Für Ruck sind die Vorschläge zur selektiven Öffnung „nur ein erster Schritt“. Er pocht auf die gänzliche Öffnung und appelliert an die Pakttreue: „Pacta sunt servanda“. Auch Vassilakou dürfte das Votum der Anrainer als nicht bindend sehen: Sie hat zuletzt die Bewohner der Innenstadt via Infoblatt über die „bevorstehe­nde Änderung“informiert. (cim)

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