Die Presse

Frau Bock: Tod einer Kompromiss­losen

Nachruf. Flüchtling­shelferin Ute Bock ist tot. Sie lebte Menschlich­keit oft auch auf eigene Kosten.

- VON ERICH KOCINA

„Ich habe einen Vogel, aber es gibt viele Leute, die meinen Vogel unterstütz­en.“Als Ute Bock 2012 das Goldene Verdienstz­eichen der Republik Österreich verliehen bekam, charakteri­sierte sie sich selbst genau mit diesem Satz. Zu welchem weltanscha­ulichen Lager man auch zählt, man kann dieser Analyse zustimmen. Ob als liebevolle Beschreibu­ng einer Frau, die sich mit vollem Einsatz, viel Herz und Menschlich­keit ihrer Mission widmete. Oder weniger wohlmeinen­d für eine Person, die in der Hilfe für Flüchtling­e immer wieder eine fast schon kompromiss­lose Naivität an den Tag legte.

Tatsächlic­h lässt sich das, was Bock in den vergangene­n Jahrzehnte­n machte, als so etwas wie Aufopferun­g bezeichnen. Ohne Rücksicht auf eigene Bedürfniss­e („Am Abend kaufe ich mir zwei Wurstsemme­ln, das reicht“) widmete sie ihr Leben – und ihre eigene Pension – vor allem den anderen. Und ließ auch manches über sich ergehen, was schon ein Ausnutzen war. Nur konsequent, dass sie von ihren Schützling­en als „Mama“bezeichnet wurde. Und dass sie mit ihrem kompromiss­losen Einsatz auch zu

ZUR PERSON

Ute Bock wurde am 27. Juni 1942 in Linz geboren. Sie wurde bekannt als Aktivistin für Asylwerber und Flüchtling­e. Ihr Verein lebt von Spenden – u. a. ab 2008 durch den Industriel­len Hans-Peter Haselstein­er – und ihrem persönlich­en Einsatz. Freitagfrü­h starb Bock nach kurzer schwerer Krankheit mit 75 Jahren. einer Kultfigur wurde. Zur „Frau Bock“, für die Dutzende Wiener Lokale einen Zuschlag von 10 Cent pro Bier einhoben, die in ihre Einrichtun­gen flossen. „Bock auf Bier“hieß die Aktion, die auch von einigen Prominente­n beworben wurde. „Ich brauch die Reklame, und ich brauch das Geld“, sagte sie zu Aktivitäte­n wie diesen.

Begonnen hatte die am 27. Juni 1942 in Linz geborene Bock als Erzieherin in einem Heim für schwer erziehbare Sonderschü­ler in Biedermann­sdorf. In den 1970er-Jahren begann sie in einem Gesellenhe­im in der Favoritner Zohmanngas­se – eine Adresse, die symbolträc­htig für Bocks Aktivitäte­n wurde. In den 1990er-Jahren entwickelt­e sich das Haus zur Anlaufstel­le für junge Zuwanderer, aus dem Bürgerkrie­gsland Jugoslawie­n, später vor allem für Flüchtling­e aus Afrika.

Fehler eingestand­en

Mit ihnen ist auch einer der größten Kritikpunk­te an Ute Bock verknüpft – dass etwa unter den Menschen, die in der von ihr geführten Einrichtun­g leben, auch Kriminelle waren. Stichwort „Operation Spring“– damals stürmte die Polizei das Heim und nahm 21 Bewohner vorübergeh­end fest. Aber auch ihre Vergangenh­eit als Erzieherin in einem Heim tauchte Jahre später als Schatten über ihrem Leben auf. Da war von Misshandlu­ngen die Rede. Und Bock selbst gestand, dass sie auch immer wieder „Detschn“ausgeteilt habe. „Es war sicher nicht alles in Ordnung, was ich gemacht hab“, sagte sie.

Auch diese Vorwürfe konnten nur wenig am idealistis­chen Bild von Bock in der Öffentlich­keit krat- zen. Am Bild eines Menschen, der sich für andere einsetzt – mit Vehemenz und Aktionismu­s. So verkündete sie rund um den drohenden Konkurs ihres Vereins 2008, dass sie eher aus dem Fenster springen, als dass sie Menschen aus ihren Wohnungen absiedeln würde. Mit dem Erfolg, dass sich der Industriel­le Hans Peter Haselstein­er meldete, der den Verein rettete und fortan regelmäßig finanziell­e Zuwendunge­n lieferte.

Sie konnte jedenfalls weitermach­en, weiter Flüchtling­e betreuen – ehe sie 2013 einen Schlaganfa­ll erlitt. Zwar konnte sie wieder zu ihrem Wohnprojek­t zurückkehr­en, doch musste sie ihr Engagement doch deutlich einschränk­en. Stumm wurde sie dennoch nicht – während des Flüchtling­sansturms 2015 meldete sie sich zu Wort und kritisiert­e die Scheinheil­igkeit mancher Helfer, die meinten, dass es reichen würde, einfach einen Kilo Brot vorbeizubr­ingen, doch die dahinter eine fürchterli­che Einstellun­g verbergen würden.

Als Freitagfrü­h die Nachricht von ihrem Tod kam, waren die vielen Reaktionen darauf recht einhellig. Als „überzeugte Humanistin“wurde sie gewürdigt, als „Ikone der Zivilcoura­ge“und als „moralische Instanz“. Die Stadt Wien bot auch gleich ein Ehrengrab an. Hätte Bock davon erfahren, hätte sie vermutlich zunächst gesagt, dass die wohl auch einen Vogel haben müssen. Prompt lehnte die Familie das Ehrengrab ab.

Auf Urlaub fahre ich nicht, mein letzter war 1976. Kaufen tu ich mir ja auch nichts. Ute Bock in einem „Presse“-Interview 2012

 ?? [ Flüchtling­sprojekt Ute Bock ] ?? Ute Bock achtete wenig auf sich selbst, dafür umso mehr auf andere.
[ Flüchtling­sprojekt Ute Bock ] Ute Bock achtete wenig auf sich selbst, dafür umso mehr auf andere.

Newspapers in German

Newspapers from Austria