Die Presse

Agrarier und der finanzpoli­tische Anstand

Der Brexit darf nicht als Vorwand für noch mehr Fördergeld dienen.

- Josef.urschitz@diepresse.com

D er nahende Brexit hat die europäisch­en Agrarlobby­s in heftige Bewegung versetzt. Ihr offenkundi­ger Plan: den Austritt Großbritan­niens aus der EU für einen größeren Fischzug im EU-Budget zu nutzen. Was da zuletzt an Forderunge­n kam, verdient jedenfalls das Etikett „völlig jenseitig“.

Die Argumentat­ion geht so: Der Ausstieg der Briten werde das EU-Budget rund zwölf Mrd. Euro kosten. Und weil nun einmal der größte Ausgaben brocken aus Landwirt schafts förderunge­n besteht, die denAgr ariern offenba run hinterfrag­t„ zustehen “, müsste diese Summe aus zusätzlich­en nationalen Budgetmitt­eln kompensier­t werden. Klar, oder?

Die Sache hat einen kleinen Haken: Die Agrarier operieren da mit aufgeblase­nen Zahlen. Zwölf Mrd. Euro war der britische Nettobeitr­ag zur Gemeinscha­ft einmal. Zuletzt ist er auf 5,57 Mrd. Euro gesunken. Da die Agrarförde­rungen „nur“40 Prozent des EU-Budgets verschling­en, beträgt die echte Lücke in der Bauernförd­erung durch den Wegfall der Briten also gerade einmal 2,2 Mrd. Euro. Das klingt in absoluten Zahlen immer noch nach viel Geld, entspricht aber gerade einmal vier Prozent der EU-Agrarausga­ben. S o, und jetzt werfen wir einmal einen Blick in die Transparen­z datenbank (www.transparen­zdatenbank.at), wo alle EU-Agrarförde­rungen aufgeliste­t sind.Unt erden zehn größten Förderungs empfängern in Österreich findet man dort keinen einzigen Bauern, dafür aber jede Menge Ag rar organisati­onen. Wir haben es also weniger mit einer Bauernförd­erung (und wenn, dann mit einer ausgeprägt­en Großbetrie­bs förderung) zutun als mit einem Selbstbedi­enungslade­n der Agrarlobby. Wer sagt, dass da nicht locker vier Prozent eingespart werden können, ohne dass einem einzigen Bauern etwas weggenomme­n wird – der muss schon Landwirt schafts kammerfunk­tionär sein.

Der Schweizer Thinktank Avenir Suisse hat in einer Analyse über die schweizeri­sche Agrarförde­rung gemeint, der Agrarpolit­ik sei „offenbar der finanzpoli­tische Anstand abhandenge­kommen“. Diese Diagnose kann man ruhig eins zu eins auf die EU-Agrarpolit­ik umlegen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria