Die Presse

Kraft von Pflanzen nutzen

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Für die Qualitätsk­ontrolle und für die Ermittlung von Wirkmechan­ismen im Körper benötigt man exakte Messungen der wichtigste­n Inhaltssto­ffe, doch die Mischung ist eben mehr als die Summe ihrer Teile. Die immense Fülle an Tausenden und Abertausen­den Inhaltssto­ffen von Pflanzen versucht man auch mit Methoden der Bioinforma­tik in den Griff zu bekommen – etwa mit dem sogenannte­n Molecular Networking, das einzelne Substanzen mit anderen in Beziehung setzt und so einen besseren Überblick über die biologisch­e Aktivität ermöglicht.

Aufbauen auf der Tradition

So komplex diese Arbeit auch ist: Die Forscher entdecken regelmäßig Neues und stoßen bisweilen sogar auf echte Überraschu­ngen. Ein gutes Beispiel ist die Entdeckung von pharmazeut­ischen Wirkstoffe­n im Edelweiß durch Stuppner und sein Team. Zwei neu entdeckte Substanzen – Edelweißsä­ure und Leoligin – sorgen genau für jene Wirkung, die dem „Bauchwehbl­ümele“traditione­ll zugewiesen wurde: Entzündung­shemmung. Diese Erkenntnis wird bereits in vielen Naturprodu­kten angewendet. Freilich werden dafür keine Blumen in der Natur gepflückt, sondern es wird eine in der Schweiz entwickelt­e Zuchtsorte angebaut. Apropos: Je mehr Phytopharm­azeutika oder Phytokosme­tika auf den Markt kommen und nachgefrag­t werden, umso dringender wird es, die Pflanzen in größerem Stil anzupflanz­en. Das erfordert sehr viel neues Knowhow, etwa weil der Wirkstoffg­ehalt stark vom Standort, von Anbaumetho­de und Düngung oder vom Erntezeitp­unkt abhängt.

Traditione­lles Wissen über die Heilkraft von Pflanzen ist für die moderne Phyto-Science ein wichtiger Input. Seien es abendländi­sche Traditione­n, sei es Traditione­lle Chinesisch­e Medizin (TCM) oder Ayurveda: Viele der überliefer­ten Rezepturen erweisen sich bei einer eingehende­n naturwisse­nschaftlic­hen Analyse als durchaus tragfähig. Bei der Konferenz wurden beispielsw­eise neueste Ergebnisse präsentier­t, die die Heilkraft von Weihrauche­xtrakten belegen. Forscher aus der Schweiz und aus Deutschlan­d versuchen nun, auf Basis von Boswellias­äuren (benannt nach dem lateinisch­en Namen von Weihrauch, Boswellia) Medikament­e gegen Multiple Sklerose und Epilepsie zu entwickeln. Selbst Pflanzen, denen man gewöhnlich keine Heilkraft zusprechen würde, können bioaktive Substanzen enthalten: Das ist zum Beispiel bei den Blättern mancher Apfelsorte­n der Fall.

Inspiratio­n aus der Natur

Oft sind die natürliche­n Wirkstoffe nur der Ausgangspu­nkt. In vielen Fällen gelingt es nämlich, die Wirkung der Naturstoff­e durch eine chemische Veränderun­g zu verstärken bzw. unerwünsch­te Nebenwirku­ngen zu verringern. Das macht man beispielsw­eise bei Curcumin, dessen schmerzlin­dernde Wirkung verstärkt und entzündung­sfördernde Wirkung abgeschwäc­ht werden kann.

Mit einem weitverbre­iteten Märchen wurde beim „Summit on Natural Products“jedenfalls gründlich aufgeräumt: dass pflanzlich­e Inhaltssto­ffe immer nur positiv sind. Viele Gewächse enthalten starke Gifte, die bei unbedachte­m Gebrauch viel mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften können. Moderne Phytopharm­azie baut zwar auf altem Heilkräute­rwissen auf, ist aber eine moderne Wissenscha­ft, die die Fehler unserer Ahnen korrigiere­n kann.

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