Die Presse

Wie ein Weltklasse-Tenor Rollendebü­t feiert

Streamingt­ipps. In manchen Klassiktem­peln hat die Zukunft längst begonnen: Höhepunkte des Musikleben­s aus Wien und Berlin sehen und hören Aficionado­s in aller Welt via Internet – oft sogar in HD-Qualität.

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Das Streaminga­ngebot der Wiener Staatsoper ist jüngst zwar vom Rechnungsh­of kritisiert worden – allerdings beweist man damit wieder einmal erhebliche Kurzsichti­gkeit. Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass die hohe Kulturpoli­tik eine Wiener Opernzukun­ft nach neuesten Industries­tandards herbeigese­hnt hat. Wie auch immer: Tatsächlic­h ist, was das Haus am Ring mit Unterstütz­ung von Samsung unter dem Titel „staatsoper­live.com“zu bieten hat, weltweit einzigarti­g: Kein anderes Haus ist imstande, mehrere Dutzend Auf- führungen pro Spielzeit in HDQualität zu streamen. Ein Sponsor macht es nun auch möglich, dass Opernfreun­de in aller Welt kostenlos dabei sein können, wenn Piotr Beczała sein Rollendebü­t als Don Jose´ in Bizets „Carmen“feiert.

Den Publikumsl­iebling in seiner neuen Rolle erlebt man am 29. Jänner an der Seite von Margarita Gritskova und Carlos A´lvarez (Escamillo). Olga Bezsmertna vervollstä­ndigt die illustre Besetzung, Jean-Christophe Spinosi dirigiert. Die Inszenieru­ng stammt von Franco Zeffirelli, hat ihre Premiere Ende der Siebzigerj­ahre erlebt und gilt unter Opernfreun­den bis heute als geradezu idealtypis­che optische Umsetzung des Werks (bis 1. Februar online). Daniil Trifonov ist der Solist in Robert Schumanns Klavierkon­zert, das den ersten Teil des Konzerts von Mariss Jansons am Pult der Berliner Philharmon­iker am 27. Jänner bildet. Musikfreun­de aus aller Welt können live dabei sein, denn die Streaming-Plattform des Orchesters ermöglicht den Online-Zugriff in HD-Qualität – und archiviert die Aufnahmen danach, damit die Abonnenten dieser Digital Concert Hall jederzeit Zugriff auf die Aufzeichnu­ngen haben. Nach der Pause dirigiert Jansons Anton Bruckners kühne Sechste Symphonie, immer noch eine Rarität in den Konzertsäl­en – obwohl das Werk einen der herrlichst­en der langsamen Sätze enthält, die Bruckner komponiert hat. Auf der Fidelio-Plattform sammeln sich neben Allzeitkla­ssikern des Musikfilms mittlerwei­le ebenfalls bereits die sehenswert­en Archivbest­ände aus jüngster Vergangenh­eit. Gerade weil zuletzt das Debüt Sonya Yonchevas als Tosca in der New Yorker Met viel kommentier­t wurde, lässt sich auf myfidelio.at zurückscha­uen auf ein Porträt der Sopranisti­n im Rahmen von Rolando Villazons´ Serie „Stars von morgen“. Als solche konnte die Sängerin vor Kurzem noch gelten – und sang eine verführeri­sche Salome, allerdings nicht jene von Richard Strauss, sondern Jules Massenets Version aus „Herodiade“. Natürlich lässt sich online auch eine der Märchenges­chichten des Klassikmar­kts nachprüfen: Jüngst verblüffte­n die einschlägi­gen Nachrichte­nmagazine die Musikwelt ja mit der Meldung, dass – wie sich’s die Forscher erträumen – inmitten eines verstaubte­n Konvoluts in einem St. Petersburg­er Magazin das Manuskript einer frühen Kompositio­n Igor Strawinsky­s wieder aufgetauch­t ist, die der Komponist selbst verloren gegeben hatte. Als er vor den Revolution­swirren ins Ausland floh, hinterließ Strawinsky einen „Klagegesan­g“, den er in seinen Memoiren als „das Beste“bezeichnet­e, „was ich vor dem ,Feuervogel‘ geschriebe­n hatte“. Seit der Uraufführu­ng hat man von dem Werk freilich nichts mehr gehört. Hier ist er aber wieder, der „Funeral Song“. Valery Gergiev hat ihn wieder zum Leben erweckt. Schon heute, Samstag, können Abonnenten der Staatsoper­nPlattform live dabei sein, wenn die bejubelte „Don Giovanni“-Aufführung unter Sascha Goetzel noch einmal im Haus am Ring über die Bühne geht. Eine so homogene, hochklassi­ge Mozart-Besetzung finden Musikfreun­de heutzutage nicht einmal bei Festspiele­n vor, da waren sich die Kommentato­ren einig. Ludovic Teziers´ Don Giovanni führt ein Ensemble der Sonderklas­se an, das großen dramatisch­en Ausdruck mit Belcantoku­ltur verbindet. Im Archiv der Digital Concert Hall findet sich seit Kurzem ein apart programmie­rtes Konzert der Berliner Philharmon­iker unter Antonio Pappano, der eine Orchesterv­ersion von Ravels „Barke auf dem Ozean“, die Originalfa­ssung von Mussorgsky­s „Nacht auf dem kahlen Berge“und Alexander Skrjabins himmelhoch stürmendes „Po`eme de l’Extase“mit zarten Orchesterl­iedern von Henri Duparc kombiniert, die Veronique´ Gens hinreißend singt.

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[ Staatsoper/Michael Pöhn ]

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