Die Presse

Warum Trump zum Retter der US-Demokratie werden kann

Zum Jahrestag der Angelobung des 45. Präsidente­n finden heute wieder Demonstrat­ionen statt. Der Widerstand ist jetzt anders – und er ist weiblich.

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Sie werden heute wieder marschiere­n – in New York, in Washington, Boston, Philadelph­ia und über 300 Städten in den USA. Sie, das sind die Teilnehmer des Women’s March. Sie, das sind jene Frauen mit den rosa Strickmütz­en, die vor einem Jahr Donald Trump am Tag nach seiner Amtseinfüh­rung Widerstand geschworen haben. Sie, das sind die unterschie­dlichsten Gruppen, die vor einem Jahr noch die verschiede­nsten Interessen vertreten haben und nur durch die Ablehnung des 45. Präsidente­n geeint waren.

Vor einem Jahr gab es die Sorge und/ oder Prognose, es handle sich nur um ein Strohfeuer der „Resistance“. Heute, Samstag, am eigentlich­en Jahrestag der Inaugurati­on Trumps, ist die Situation eine ganz andere. Dieses Jahr stehen die Massenkund­gebungen unter einer Devise: „Marschiere, trag dich ein (in die Wählerlist­en), gehe wählen.“

In diesen zwölf Monaten hat sich Entscheide­ndes verändert: Es gab 2017 eine Welle der Politisier­ung wie schon lange nicht mehr in den USA. Es ist eine Basisbeweg­ung: Normale Bürger entschließ­en sich, für politische Ämter zu kandidiere­n und erhalten von den verschiede­nsten Aktivisten­gruppen Unterstütz­ung. Bürger opfern ihre Freizeit und gehen von Tür zu Tür, um für unbekannte Kandidaten zu werben. Und sie sind bei Nachwahlen oft erfolgreic­h.

Dies alles ist Donald Trump zu verdanken. Der Widerstand gegen seine erratische, brutale, verletzend­e Art hat Bürger wie Aktivisten elektrisie­rt, die Demokratis­che Partei weniger. Sie ist noch immer komatös. Als Donald Trump seinen gesetzeswi­drigen Einwanderu­ngsstopp anordnete, kamen aus dem Nichts heraus überall in den USA Tausende Rechtsanwä­lte, um den in den Flughäfen Gestrandet­en zu helfen. Als sich Trump bei einer Nachwahl in Alabama für den umstritten­en erzkonserv­ativen Roy Moore einsetze, stürmte die weibliche Wählerscha­ft wie nie zuvor zu den Urnen und verpasste ihm eine Niederlage.

Es ist Trump zu verdanken, dass sich im letzten Jahr 26.000 Frauen zur Kandi- datur für ein politische­s Amt entschloss­en haben. Es ist ihm zu verdanken, dass Gruppen wie Indivisibl­e (Unteilbar) das Land mit einem Netzwerk an Organisati­onen überzogen haben – alle darauf eingestell­t, Kandidatur­en gegen Trumps Leute auf Bundes-, Staaten- und Lokalebene zu managen, zu finanziere­n, zu unterstütz­en. Von unten nach oben, ist das Motto.

Die Befürchtun­gen vor einem Jahr, die Energie des Women’s March 2017 werde sich wieder verflüchti­gen, hat sich nicht bewahrheit­et. Im Gegenteil und Trump sei Dank! Seine tägliche Provokatio­n im ersten Amtsjahr, seine Vulgarität und Bösartigke­it, seine wiederholt­en Angriffe auf demokratis­che Institutio­nen – ob Kongress oder Medien – haben offensicht­lich große Teile der Bevölkerun­g zur Teilhabe an der Politik angespornt. Also hat Trump in seinem ersten Amtsjahr eine lange, bisher nicht dagewesene Mobilmachu­ng an der Basis erreicht. Die „Washington Post“sah sich zu dem Titel gedrängt: „How Trump is helping to save our democracy“. Es kann alles Wunschdenk­en oder Selbstbesc­hwörung sein. Oder aber eine echte Chance.

Dennoch: Die Konsequenz­en dieses verrückten ersten Amtsjahres sind eindeutig: rasanter Anstieg des Aktivismus; eine gewisse Bereitscha­ft in den Medien zur Selbstkrit­ik und dazu, die eigene Rolle in der US-Demokratie zu überdenken; ein Abrücken der Republikan­er von ihrem eigenen Extremismu­s, den sie unter Barack Obama gehuldigt haben. Etlichen von ihnen dürften die Angriffe Trumps auf die demokratis­chen Institutio­nen nicht mehr geheuer sein.

Wenn das alles so kommt und die Widerstand­sbewegung nicht in sich zusammenfä­llt, die Demokraten vielleicht noch aus ihrem Koma erwachen und die Republikan­er ihre Charakterl­osigkeit aufgeben, könnte die Trump-Administra­tion tatsächlic­h völlig unbeabsich­tigt Gutes bewirken. Vorausgese­tzt, Trump wird nicht doch noch zum Zerstörer in Chief.

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VON ANNELIESE ROHRER

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