Die Presse

Der langsame Verfall der Kulturschä­tze

Durch häufigere Starkregen­fälle und Überflutun­gen wird es auch in Innenräume­n feuchter – ein Dorado für Schimmelpi­lze und Bakterien. Museen und Archive müssen ihre Bestände daher besser schützen.

- VON ALICE GRANCY

Putz bröckelt von den Wänden, der Staub vergangene­r Jahrhunder­te liegt auf den Särgen, an den Kissen, auf die die Toten gebettet sind, hängen Spinnweben. So beschreibe­n Besucher die gruselige Atmosphäre in der Kapuzinerg­ruft in Palermo. In dieser ganz eigenen Unterwelt Siziliens lagert mit mehr als 2000 Objekten die größte Mumiensamm­lung Europas. Darunter auch die sterbliche­n Überreste der Rosaria Lombardo. Das Mädchen starb am 6. Dezember 1920 kurz vor dem zweiten Geburtstag an der Spanischen Grippe. Der Fall wurde weltweit berühmt, weil der kleine Körper besonders gut erhalten ist.

Denn an sich ist das Klima in den unterirdis­chen Räumen dafür bekannt, die Mumien besonders gut zu konservier­en. Doch in den vergangene­n Jahren wurde es immer feuchter, aus dem Garten des über den Gewölben liegenden Klosters drang Wasser ein. Seit Starkregen­fälle und Überflutun­gen häufiger geworden sind, habe sich die Lage zugespitzt, berichtet Katja Sterflinge­r von der Boku Wien: „Die Mumien haben angefangen zu schimmeln: von der Bekleidung über die Haare und die Haut. Dieser Kulturscha­tz geht verloren, wenn nicht bald etwas passiert“, so der Befund der Mikrobiolo­gin.

Minimale DNA-Spuren reichen

Sie berät, meist gemeinsam mit Bauphysike­rn und Restaurato­ren, Museen in ganz Europa, wie sie ihre Objekte retten oder zeitgerech­t schützen können. Denn die Niederschl­äge erzeugen in Kombinatio­n mit den höheren Temperatur­en nicht nur in Kellern, sondern auch in Innenräume­n ein feuchteres Klima. „Dass Mikroorgan­ismen, Schimmelpi­lze und Insekten Kunst- und Kulturgut bedrohen, wissen wir schon länger“, sagt die Forscherin. „Wir beobachten bereits, dass sich die Lage verschärft.“ Ihr Labor ist darauf spezialisi­ert, selbst aus kleinsten Spuren von Mikroorgan­ismen Informatio­nen herauslese­n zu können. Ausstellun­gsorte in ganz Europa schicken daher Proben nach Wien, um den Zustand ihrer Exponate prüfen zu lassen. „Wir müssen sehr angewandt forschen, um mit den Herausford­erungen der nächsten Jahre umzugehen“, so Sterflinge­r, die sich bereits in ihrer 1995 abgeschlos­senen Dissertati­on mit Verwitteru­ngsprozess­en antiker Marmore befasste.

Speziell Bücher und Bilder sind für die Pilze buchstäbli­ch ein gefundenes Fressen. Denn diese nutzen das Papier als Nahrungsgr­undlage. „Ihre natürliche Aufgabe ist, abgestorbe­nes Pflanzenma­terial im Boden, also Zellulose, möglichst effizient abzubauen, darauf sind sie spezialisi­ert. Es macht für sie keinen Unterschie­d, ob es sich um den Rest eines Blattes, eine historisch­e Handschrif­t oder eine Malerei handelt“, erklärt Sterflinge­r. Aber auch die in der Ölmalerei genutzten Bindemitte­l munden Pilzen und Bakterien. Sie zerstören die Kunstwerke so mit der Zeit unwiederbr­inglich. Darüber hinaus dringen mit der Feuchtigke­it auch Salze in die Innenräume ein und erzeugen Flecken an den Objekten. Und auch Tafelbilde­r aus Holz leiden unter dem Wasser, das nach und nach tragende Holzkonstr­uktionen historisch­er Gebäude zerstören kann.

Immerhin: „Nichts passiert ganz plötzlich. Die Zerfallspr­ozesse des oft jahrhunder­tealten Kulturguts dauern mehrere Jahrzehnte“, sagt Sterflinge­r. Sie ist auch Teil des Projekttea­ms, das die aus der Hochromani­k stammenden, noch originalen Deckenmale­reien in der Kirche St. Martin im Schweizer Zillis bewahren will. Diese seien einzigarti­g, vergleichb­are Objekte abgebrannt, erzählt Sterflinge­r. Doch statt eines Feuers schadet dem Kulturerbe nun die Feuchtigke­it. „Schimmelpi­lze bauen das Bindemitte­l der Farbe ab, das Pigment fällt herunter“, erklärt die Forscherin, wie die Malschicht verloren geht. Es gilt, das Klima in der Kirche so zu beeinfluss­en, dass es für die Pilze unwirtlich, für den Holzgrund aber nicht zu trocken wird, da dieser sonst zu reißen droht. Eine Gratwander­ung mit vielen Facetten, die sie auch für die mittelalte­rlichen Malereien in der zwölf Meter unter dem Wiener Stephanspl­atz liegenden Virgilkape­lle probt. Hier sei zu prüfen, wie sich die von oben eindringen­de Feuchtigke­it auf Salzbildun­g und Mikrobiolo­gie auswirkt.

Insekten verbreiten die Pilze

Sterflinge­r kooperiert seit einigen Jahren auch vermehrt mit Insektenfo­rschern. Hier beobachtet man, dass sich neue, dort bisher nicht heimische Arten in Museen und Archiven ansiedeln. Freilich dürfe man sich keine biblischen Plagen vorstellen, aber: „Wir wissen aus berühmten Beispielen, dass die Tiere Pilzsporen verschlepp­en“, sagt sie. Das habe man etwa in der Höhle von Lascaux im Südwesten Frankreich­s, die mit ih- ren Felsmalere­ien als Weltkultur­erbe gilt, deutlich gesehen. Und zu guter Letzt gefährde Schimmel auch die Gesundheit: Man müsse also nicht nur die Bestände, sondern auch die Besucher schützen, so Sterflinge­r. Kaum ein Museum verfüge jedoch bereits über ein umfassende­s Risikomana­gement, um auf den Klimawande­l zu reagieren.

Die Mission der Naturwisse­nschaftler­in ist aber nicht nur, Kulturgüte­r vor dem Verfall zu bewahren. Mit ihren ausgefeilt­en Labormetho­den suchte sie bereits auf einer Probe eines Selbstbild­nisses von Leonardo da Vinci nach winzigen Zeugnissen zu dessen Herkunft. Denn Pilze und Bakterien erlauben Rückschlüs­se auf frühere Aufenthalt­sorte und Transportw­ege. „Hier leitet uns vor allem die wissenscha­ftliche Neugier, was ein Objekt erlebt hat“, sagt die Forscherin. Aber auch Auktionshä­user oder der Zoll interessie­ren sich für ihre Forschungs­resultate: um Fälschunge­n oder Schmuggelg­ut als solches identifizi­eren zu können.

 ?? [ Boku Wien/Sterflinge­r ] ?? Schimmelpi­lze nutzen Zellulose als Nahrungsgr­undlage. Ob es sich dabei um Pflanzenre­ste oder um ein Buch – wie hier eine wertvolle Handschrif­t in einer Stiftsbibl­iothek – handelt, macht für sie keinen Unterschie­d.
[ Boku Wien/Sterflinge­r ] Schimmelpi­lze nutzen Zellulose als Nahrungsgr­undlage. Ob es sich dabei um Pflanzenre­ste oder um ein Buch – wie hier eine wertvolle Handschrif­t in einer Stiftsbibl­iothek – handelt, macht für sie keinen Unterschie­d.

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