Warum interessiert uns, wenn andere streiten?
Menschen leiten aus Konflikten anderer Anleitungen für das eigene Leben ab. Oder sind einfach froh, dass sie selbst gerade keinen Clinch haben.
Der Konflikt bringt die Quote. Das sei auch in der RealityShow „Ich bin ein Star. Holt mich hier raus“so, sagt Sarah Kohler von der Universität Klagenfurt. Dabei rittern zwölf B- und C-Promis, 24 Stunden von Fernsehkameras begleitet, um den Verbleib im Dschungelcamp. Brechen sie die teilweise ekelerregenden Prüfungen ab, gibt es weniger Essen für alle – und damit oft Streit. RTL zeigt das 2004 nach britischem Vorbild realisierte Format ab heute, Samstag, zum zwölften Mal. Und auch diesmal werden wieder mehrere Millionen Menschen zusehen, wie die Fetzen fliegen.
„Je mehr Streit, desto besser“, sagt Kohler. Die promovierte Kommunikationswissenschaftlerin, die nebenbei nun auch Psychologie studiert, hat analysiert, warum das Publikum so gern zusieht, wenn die Kandidaten Kakerlaken essen – und sich dabei in die Haare kriegen. „Streit ist in der westlichen Kultur etwas Privates, was nicht in der Öffentlichkeit stattfindet. Es weckt das Interesse, wenn wir – ob bei Nachbarn oder auf dem Bildschirm – etwas mitbekommen, was normalerweise nicht für unsere Augen und Ohren bestimmt ist“, sagt sie. Schaulust ist also das Argument.
Nutzen für sich selbst ableiten
Wobei die Zeugen des Szenarios nicht einfach nur neugierig seien, sondern auch einen Nutzen für sich ableiten wollten. „Die Menschen interessieren sich dafür, warum andere streiten und wie sie zu einer Lösung kommen, um daraus für Situationen im eigenen Leben zu lernen“, erklärt sie.
Schon der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel habe vor rund hundert Jahren in seiner Konflikttheo- rie funktionale Aspekte erkannt. Für ihn kann sich Streit für eine Gruppe durchaus positiv auswirken: Er löst Spannungen auf und hilft, Gruppenstrukturen auszubilden. Als Vertreter einer formalen Soziologie interessierte Simmel allerdings mehr, wie gestritten wird, und nicht, worüber.
Von 1957 stammt Leon Festingers Theorie der Kognitiven Dissonanz. Sie besagt, dass Menschen unangenehme Spannungszustände nach Möglichkeit vermeiden. Was bedeutet das für das Streiten? „Wer einen Konflikt verfolgt, denkt sich: ,Wie gut, dass wir gerade nicht im Clinch liegen‘ und erfährt dadurch Selbstbestätigung“, so Kohler.
Und auch die kulturtheoretischen Thesen des Franzosen Pierre Bourdieu lassen sich auf das Dschungelcamp anwenden. Dieser verglich die Interaktionen des Alltagslebens mit einem Spiel. Bei diesem besitzt jeder neben ökonomischem auch unterschiedlich viel soziales, symbolisches und kultu- relles Kapital. Werte, die sich wie Chips im Spielkasino einsetzen und auch umwandeln lassen: Beißt etwa ein Teilnehmer des Dschungelcamps zum Wohle aller in einen Krokodilhoden, investiert also symbolisches Kapital, erhöht das sein soziales Kapital. Verhandelt werde aber genauso um die Empathie des Publikums, das letztlich die Dschungelkönigin oder den Dschungelkönig wählt, so Kohler.
Die empirische Überprüfung ihrer Überlegungen steht allerdings noch aus. Für eine Teilnehmende Beobachtung, eine Methode der Feldforschung, bei der man mitten im Geschehen ist, würde sie aber jederzeit sofort in den Dschungel fahren. Denn sie gibt zu: „Ich habe alle Staffeln gesehen und würde das Verhalten der Kandidaten sehr gern wissenschaftlich näher ergründen.“
„Streit findet in der westlichen Kultur normalerweise nicht in der Öffentlichkeit statt.“ Sarah Kohler, Uni Klagenfurt