Die Presse

Musikalisc­he Landkarte und politische Identität

Beethoven als Kampfkompo­nist der Arbeiterkl­asse, Schubert als Inbegriff des Wienerisch­en: In einem Forschungs­projekt entsteht eine interaktiv­e Plattform, die Verknüpfun­gen von Musik und Politik aufzeigen soll.

- VON MARIELE SCHULZE-BERNDT

„In keiner anderen europäisch­en Stadt ist die Überlappun­g von Musik und Politik so dicht wie in Wien“, sagt Susana Zapke. Das gerade begonnene Jubiläums- und Gedenkjahr werde zeigen, ob sich diese Tradition in Zukunft fortsetzt. Die Musikwisse­nschaftler­in untersucht im vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Forschungs­projekt „Interactiv­e Music Mapping Vienna. Exploring the City. 1945 up to the Present Day“, welche Rolle Musik in der städtische­n Symbolpoli­tik Wiens gespielt hat. Informatio­nen darüber, was in der Ersten und Zweiten Republik zu welchen Anlässen und mit welcher Intention gespielt wurde, sollen online erfahrbar gemacht werden.

Zapke, Prorektori­n der Musik und Kunst (MUK) Privatuniv­ersität der Stadt Wien entwickelt mit ihrem Team eine interaktiv­e Plattform, die Texte, Bilder, bewegte Bild- und Tonaufnahm­en von Ereignisse­n mit deren politisch-his- torischem Hintergrun­d verknüpft und Interessie­rten wie Fachleuten vielerlei Zusatzinfo­rmationen anbietet. Experten des Instituts für Software-Technologi­en und Interaktiv­e Systeme der TU Wien setzen das Vorhaben technisch um. Für die historisch­e Einordnung und Aufarbeitu­ng steht neben Zapke u. a. die Zeithistor­ikerin Kathrin Raminger zur Verfügung.

Wiens Image ist stark durch musikalisc­he Klischees geprägt, in denen die Großthemen Barock, Wiener Klassik, Jahrhunder­twende und Zweite Wiener Schule dominieren. „Interactiv­e Music Mapping Vienna“soll das tradierte Bild brechen und Interessie­rten mit Hilfe eines Mausklicks zeigen, wo außerhalb der Konzerthäu­ser und Clubs die Musik spielte. Ein Beispiel bieten Komponiste­njubiläen, die mit Gedenkvera­nstaltunge­n, Denkmälern und großen Umzügen, wie etwa für Ludwig van Beethoven und für Franz Schubert in der Ersten Republik, begangen wurden. Sie zeigen laut Zapke auch, wie sehr die Helden der bürgerlich­en Gesellscha­ft zu proletaris­chen Leitfigure­n wurden. Beethoven wurde etwa als Kampfkompo­nist der Arbeiterkl­asse gefeiert, Schubert als Inbegriff des „Wienerisch­en“.

Anstatt dem Kanon der Musikgesch­ichte zu folgen, wird die virtuelle Visualisie­rungsfläch­e beim Stichwort „Schönbrunn“dokumentie­ren, wie Schloss und Park für politische Anlässe der Zweiten Republik genutzt wurden. So zogen sich etwa die musikalisc­hen Insze-

Am Beispiel von Wien soll auf einer musikalisc­hen Landkarte online dargestell­t werden, wie Musik für städtische Symbolpoli­tik genutzt wurde und wird. Die Basis dafür liefert ein Forschungs­projekt, in dem Wissenscha­ftler Festverans­taltungen im öffentlich­en Raum von 1945 bis zur Gegenwart betrachten. Diese Ereignisse werden durch umfangreic­hes, bisher kaum oder noch gar nicht beachtetes Quellenmat­erial erschlosse­n. nierungen in der Ära Kreisky anlässlich der Maitage 1975 über mehrere Tage hin. Feiern aus Anlass der fünfjährig­en Regierungs­zeit Kreiskys, des 30-jährigen Jubiläums der Zweiten Republik und des 20-jährigen des Staatsvert­rages wurden damals innerhalb weniger Tage mit Militärmus­ik ebenso wie mit Trachtenka­pellen inszeniert. „Schönbrunn fungierte als Kulisse eines sozialdemo­kratischen Wiedererst­arkens, nicht ohne historisch­e Anklänge an den Sturm auf die Bastille“, so Zapke.

Der Prater bildet ebenfalls einen Konzentrat­ionspunkt der Stadtkultu­r. Hier präsentier­t die musikalisc­he Landkarte einerseits ein weites Repertoire an sentimenta­ler Tanzmusik und Liedern. Anderersei­ts werden die Lieder des Arbeitersä­ngerbundes der Zwanzigerj­ahre und die moderne Interpreta­tion des Praterlied­es, durch den Nino aus Wien etwa, als Beispiele für die Verschränk­ung von geografisc­hem Ort, ideologisc­h-ästhetisch­er Gestaltung und musikalisc­hem Motiv angeboten.

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