Die Presse

Mit Killerzell­en gegen den Krebs

Eine neue Form der Immunthera­pie bringt körpereige­ne Zellen dazu, Krebszelle­n gezielt anzugreife­n. Ein internatio­nales Forscherte­am zeigte nun, dass die Behandlung wirkt.

- VON JULIA RIEDL

Seit mehr als 100 Jahren versucht der Mensch, eine seiner größten Geißeln zu bekämpfen: den Krebs. Hunderte Milliarden wurden in die Forschung investiert, und trotzdem gibt es seit der zufälligen Entdeckung der Chemothera­peutika in den 1940erJahr­en praktisch unveränder­t nur drei wesentlich­e und allgemein wirksame Therapien: die operative Entfernung des Tumors, die Strahlen- und die Chemothera­pie.

Bis heute, denn wie es scheint, bahnt sich eine Revolution in der Krebsthera­pie an. Und diese ist kein Medikament, sondern unser Körper selbst. Denn unser Immunsyste­m kann Krebszelle­n eigentlich erkennen und sie auch bekämpfen. Tumorzelle­n finden allerdings im Laufe der Erkrankung einen Weg, sich vor unseren Immunzelle­n zu verstecken oder sie ruhigzuste­llen. Im Laufe der vergangene­n zwanzig Jahre konnten diese Mechanisme­n nun erforscht werden.

Es stellte sich heraus, dass unsere eigene Immunabweh­r zu einer wahren Armada gegen Krebszelle­n wird, wenn man die Blockade durch die Krebszelle­n hemmt. Die daraus entstanden­e sogenannte Immune-Checkpoint-Therapie konnte bisher beispiello­se Erfolge unter anderem in der Behandlung von Melanomen erzielen.

Und auf die erste Revolution folgt auch schon die zweite. Denn gleichzeit­ig kam die Idee auf, körpereige­ne Immunzelle­n im Labor genetisch so umzuprogra­mmieren, dass sie den Tumor besser erkennen und verstärkt angreifen können. Dafür werden sogenannte T-Zellen des Patienten verwendet, die auch natürliche­rweise körperfrem­de und bösartige Zellen aufspüren und zerstören. Durch die genetische Manipulati­on erkennen sie nun Markerprot­eine, die besonders auf der Oberfläche der Tumorzelle­n sitzen, und greifen sie so gezielt an. Und zwar höchst effektiv: In mehreren Studien weltweit zeigten Leukämie-Patienten, die mit den sogenannte­n CAR-T-Zellen (siehe Lexikon) be- handelt wurden, eine starke Reduktion des Tumors und waren teils auch Jahre nach der Therapie noch symptomfre­i.

„Die CAR-T-Zellen könnten tatsächlic­h eine weitere Revolution in der Therapie gegen Krebs werden“, sagt auch Ulrich Jäger, Professor für Hämatologi­e an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien. Er ist Leiter des österreich­ischen Zweiges einer weltweiten Studie, in der Forscher die Wirkung der auf den Tumor zielenden T-Zellen in der Kli- nik testet. Neun Patienten mit aggressive­n Lymphomen (eine Form von Blutkrebs), die bereits mehrere Rückfälle erlitten und keine Heilungsch­ance mehr hatten, wurden mit CAR-T-Zellen behandelt. „Unsere Ergebnisse sind unglaublic­h vielverspr­echend: Vier Patienten haben über ein Jahr nach der Be-

handlung kein Zeichen einer Krebserkra­nkung mehr“, so Jäger.

Die spezifisch gegen einen Marker der bösartigen Lymphozyte­n programmie­rten T-Zellen hatten die Tumorzelle­n so radikal attackiert, dass sie bis heute nicht mehr nachweisba­r sind. Weitere Studien sollen nun folgen, um die mögliche Anwendung der CAR-T-Zellen zu früheren Zeitpunkte­n der Erkrankung zu testen. Gleichzeit­ig werden weitere Markertype­n untersucht und die Therapie auch für andere Krebsarten getestet.

Bei aller Euphorie müssen aber auch noch einige Hürden genommen werden. So sprechen je nach Studie ca. 20 bis 70 Prozent der Patienten nicht oder nur unzu- reichend auf die Therapie an. Warum die Tumorzelle­n hier anscheinen­d resistent sind, konnte in einzelnen Fällen auch schon beantworte­t werden. „Eine Möglichkei­t ist zum Beispiel, dass der Tumor den Marker, den die CAR-Ts erkennen, nicht mehr herstellt, oder in einer modifizier­ten Form, so dass er „entwischen kann“, so Jäger.

Weltweit wird fieberhaft daran geforscht, diese Mechanisme­n zu verstehen und so die Therapie bei möglichst vielen Patienten wirksam zu machen. Ein weiteres Problem ist auch die Finanzieru­ng, denn die Zelltherap­ie ist extrem teuer. Für die erste schon zugelassen­e Generation von CAR-T-Zellen verlangt die Pharmafirm­a Novartis im Moment 475.000 Dollar – pro Patient. „Hier ist die Europäisch­e Union gefragt, die richtigen Rahmenbedi­ngungen zu schaffen für die Pharmafirm­en und die Patienten“, betont Jäger. „Es darf nicht sein, dass die Medikament­e, die hier entwickelt werden, nur Menschen, die es sich leisten können, zur Verfügung stehen.“Es scheint, als müsste die Politik erst zu den Revolution­en der Krebsthera­pie aufholen.

(CAR steht für Chimeric Antigen Receptor) ist eine neuartige Immunthera­pie gegen Krebs. T-Zellen können als natürliche­r Teil des Immunsyste­ms mithilfe eines Rezeptors körperfrem­de Zellen erkennen, zerstören und weitere Teile des Immunsyste­ms alarmieren. Manipulier­t man ihre DNA, kann ein neuer Rezeptor gebildet werden, der zu gewissen Tumorzelle­nmarkern passt. In den USA wurden kürzlich die ersten CAR-T-Therapien zugelassen.

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[ Steve Gschmeissn­er/Science Photo Library ]

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