Mit Killerzellen gegen den Krebs
Eine neue Form der Immuntherapie bringt körpereigene Zellen dazu, Krebszellen gezielt anzugreifen. Ein internationales Forscherteam zeigte nun, dass die Behandlung wirkt.
Seit mehr als 100 Jahren versucht der Mensch, eine seiner größten Geißeln zu bekämpfen: den Krebs. Hunderte Milliarden wurden in die Forschung investiert, und trotzdem gibt es seit der zufälligen Entdeckung der Chemotherapeutika in den 1940erJahren praktisch unverändert nur drei wesentliche und allgemein wirksame Therapien: die operative Entfernung des Tumors, die Strahlen- und die Chemotherapie.
Bis heute, denn wie es scheint, bahnt sich eine Revolution in der Krebstherapie an. Und diese ist kein Medikament, sondern unser Körper selbst. Denn unser Immunsystem kann Krebszellen eigentlich erkennen und sie auch bekämpfen. Tumorzellen finden allerdings im Laufe der Erkrankung einen Weg, sich vor unseren Immunzellen zu verstecken oder sie ruhigzustellen. Im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre konnten diese Mechanismen nun erforscht werden.
Es stellte sich heraus, dass unsere eigene Immunabwehr zu einer wahren Armada gegen Krebszellen wird, wenn man die Blockade durch die Krebszellen hemmt. Die daraus entstandene sogenannte Immune-Checkpoint-Therapie konnte bisher beispiellose Erfolge unter anderem in der Behandlung von Melanomen erzielen.
Und auf die erste Revolution folgt auch schon die zweite. Denn gleichzeitig kam die Idee auf, körpereigene Immunzellen im Labor genetisch so umzuprogrammieren, dass sie den Tumor besser erkennen und verstärkt angreifen können. Dafür werden sogenannte T-Zellen des Patienten verwendet, die auch natürlicherweise körperfremde und bösartige Zellen aufspüren und zerstören. Durch die genetische Manipulation erkennen sie nun Markerproteine, die besonders auf der Oberfläche der Tumorzellen sitzen, und greifen sie so gezielt an. Und zwar höchst effektiv: In mehreren Studien weltweit zeigten Leukämie-Patienten, die mit den sogenannten CAR-T-Zellen (siehe Lexikon) be- handelt wurden, eine starke Reduktion des Tumors und waren teils auch Jahre nach der Therapie noch symptomfrei.
„Die CAR-T-Zellen könnten tatsächlich eine weitere Revolution in der Therapie gegen Krebs werden“, sagt auch Ulrich Jäger, Professor für Hämatologie an der Medizinischen Universität Wien. Er ist Leiter des österreichischen Zweiges einer weltweiten Studie, in der Forscher die Wirkung der auf den Tumor zielenden T-Zellen in der Kli- nik testet. Neun Patienten mit aggressiven Lymphomen (eine Form von Blutkrebs), die bereits mehrere Rückfälle erlitten und keine Heilungschance mehr hatten, wurden mit CAR-T-Zellen behandelt. „Unsere Ergebnisse sind unglaublich vielversprechend: Vier Patienten haben über ein Jahr nach der Be-
handlung kein Zeichen einer Krebserkrankung mehr“, so Jäger.
Die spezifisch gegen einen Marker der bösartigen Lymphozyten programmierten T-Zellen hatten die Tumorzellen so radikal attackiert, dass sie bis heute nicht mehr nachweisbar sind. Weitere Studien sollen nun folgen, um die mögliche Anwendung der CAR-T-Zellen zu früheren Zeitpunkten der Erkrankung zu testen. Gleichzeitig werden weitere Markertypen untersucht und die Therapie auch für andere Krebsarten getestet.
Bei aller Euphorie müssen aber auch noch einige Hürden genommen werden. So sprechen je nach Studie ca. 20 bis 70 Prozent der Patienten nicht oder nur unzu- reichend auf die Therapie an. Warum die Tumorzellen hier anscheinend resistent sind, konnte in einzelnen Fällen auch schon beantwortet werden. „Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, dass der Tumor den Marker, den die CAR-Ts erkennen, nicht mehr herstellt, oder in einer modifizierten Form, so dass er „entwischen kann“, so Jäger.
Weltweit wird fieberhaft daran geforscht, diese Mechanismen zu verstehen und so die Therapie bei möglichst vielen Patienten wirksam zu machen. Ein weiteres Problem ist auch die Finanzierung, denn die Zelltherapie ist extrem teuer. Für die erste schon zugelassene Generation von CAR-T-Zellen verlangt die Pharmafirma Novartis im Moment 475.000 Dollar – pro Patient. „Hier ist die Europäische Union gefragt, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen für die Pharmafirmen und die Patienten“, betont Jäger. „Es darf nicht sein, dass die Medikamente, die hier entwickelt werden, nur Menschen, die es sich leisten können, zur Verfügung stehen.“Es scheint, als müsste die Politik erst zu den Revolutionen der Krebstherapie aufholen.
(CAR steht für Chimeric Antigen Receptor) ist eine neuartige Immuntherapie gegen Krebs. T-Zellen können als natürlicher Teil des Immunsystems mithilfe eines Rezeptors körperfremde Zellen erkennen, zerstören und weitere Teile des Immunsystems alarmieren. Manipuliert man ihre DNA, kann ein neuer Rezeptor gebildet werden, der zu gewissen Tumorzellenmarkern passt. In den USA wurden kürzlich die ersten CAR-T-Therapien zugelassen.