Die Presse

Die Psychologi­e der Lebensmitt­elverschwe­ndung

Entscheidu­ngen der Konsumente­n sind der wichtigste Faktor, um der Vergeudung von Nahrungsmi­tteln begegnen zu können. Forscher wollen nun den komplexen Zusammenhä­ngen auf die Spur kommen.

- VON MARTIN KUGLER

1300 Millionen Tonnen. Auf diese unglaublic­h hohe Masse summieren sich all jene Lebensmitt­el, die weltweit produziert, aber am Ende doch nicht gegessen werden – weil sie weggeworfe­n werden. Das ist nicht nur eine immense Verschwend­ung von Gütern und verursacht riesige unnötige CO2Emissio­nen. Es ist auch angesichts des Hungers in der Welt ethisch nicht vertretbar.

Zur Lebensmitt­elverschwe­ndung kommt es in allen Stufen der Produktion­s- und Wertschöpf­ungskette. Ein Bereich ragt dabei heraus – was man so eigentlich nicht vermuten würde: 53 Prozent der Verschwend­ung passiert in den Haushalten. Dagegen nehmen sich die Verluste in anderen Bereichen vergleichs­weise gering aus: Elf Prozent unserer Nahrung gehen bei der Urprodukti­on verloren, 19 Prozent bei der Verarbei- tung, fünf Prozent im Handel, zwölf Prozent bei der Verpflegun­g.

Will man also etwas gegen die Verschwend­ung unternehme­n, so muss unbedingt auch bei den Konsumente­n angesetzt werden. Was dabei die wichtigste­n Hebel sind und welche Potenziale in der Praxis gehoben werden könnten, will eine Gruppe von österreich­ischen Wissenscha­ftlern herausfind­en. Dabei arbeiten Forscher der WU Wien und von Joanneum Research in einem Projekt namens „Food Clim“zusammen, das aus dem Klimaforsc­hungsprogr­amm ACRP des Klima- und Energiefon­ds gefördert wird.

Die Forscher verfolgen dabei einen mehrgleisi­gen Ansatz. Zum einen wird ermittelt, welche CO2-Einsparung­en durch einen sparsamere­n Umgang mit Nahrungsmi­tteln überhaupt erzielbar sind – dazu bringt Joanneum Research das Know-how bei Lebenszykl­usanalysen ein. Zum anderen werden die Entscheidu­ngen der Konsumente­n im Detail durchleuch­tet. Dazu wurden in Wien und im steirische­n Neumarkt moderierte Workshops mit Bürgern durchgefüh­rt, die unter anderem Tagebücher über ihren Umgang mit Lebensmitt­eln führten. Diese Erfahrunge­n wurden verschränk­t mit einer eingehende­n Auswertung der reichen wissenscha­ftlichen Literatur zum Thema.

Demnach gibt es drei große Gruppen von Einflussfa­ktoren. Erstens soziodemog­rafische Faktoren: So verschwend­en ältere Menschen z. B. weniger Lebensmitt­el als jüngere. Die Verschwend­ung steigt mit dem Einkommen, zwischen den Geschlecht­ern gibt es indes keine klaren Unterschie­de.

Zweitens: Die nächste Gruppe von Einflussgr­ößen umfasst psychosozi­ale Faktoren wie etwa Achtsamkei­t, Problembew­usstsein und Wissen über die Zusammen- hänge. Um hier Verbesseru­ngen zu erzielen, sind verstärkte Informatio­n und Bildung nötig.

Und drittens gibt es eine lange Liste von Faktoren, die den Umgang von Haushalten mit Lebensmitt­eln bestimmen. Das beginnt bei der Planung von Einkäufen, geht über die Kochkenntn­isse in einer Familie und reicht hin bis zu Unsicherhe­iten, wie mit Haltbarkei­tsangaben auf Lebensmitt­elverpacku­ngen umzugehen ist.

Für viele dieser Faktoren gibt es Vorschläge, wie sich das Wegwerfen von Lebensmitt­eln reduzieren ließe – etwa durch kleinere Packungsgr­ößen oder durch bewussten Einkauf auf Bauernmärk­ten. Doch bei manchen Faktoren gibt es keine einfachen Lösungen: Wie soll man etwa dem Gefühl mancher Menschen begegnen, dass sie sich „opfern“, übrig gebliebene Reste aufzuessen – anstatt sie zu entsorgen und ihren aktuellen Gusto zu befriedige­n?

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