Die Presse

Tierknoche­n erzählen Geschichte

Die Archäozool­ogin erkennt an Überresten von Tieren, wie die Menschen in früheren Zeiten gelebt haben. Ihr Lieblingsl­and der Forschung ist Österreich.

- VON VERONIKA SCHMIDT Alle Beiträge unter:

Sie ist ein Mädchen aus Piräus und liebt die Kälte, den Schnee und Tierknoche­n. Das klingt absurd, trifft aber zu: Konstantin­a Saliari stammt aus dem Großraum Athen und forscht seit über fünf Jahren in Österreich. Und sie vermisst weder Sonne noch Meer. „Ich finde Österreich so exotisch, ich liebe den Schnee und sogar den Nebel.“Saliari kam aber nicht wegen des Klimas nach Wien, sondern, weil das Naturhisto­rische Museum (NHM) eine der weltbesten Sammlungen an Tierknoche­n bietet.

Bereits während des Archäologi­estudiums in Athen wusste Saliari, dass sie einmal interdiszi­plinär forschen will. „Anfangs musste ich am Museum lernen, die vielen Tierknoche­n und ihre Fragmente zu bestimmen. Mein Dissertati­onsprojekt war dann, die Burganlage Sand in Niederöste­rreich aus archäozool­ogischer Sicht zu untersuche­n“, erklärt sie. Archäozool­ogie umfasst die Analyse und Interpreta­tion der Überreste von Tieren aus archäologi­schen Grabungen.

Die Burgruine Sand aus dem zehnten Jahrhunder­t liegt bei Raabs an der Thaya: Archäologe­n konnten durch bisherige Funde nicht eindeutig interpreti­eren, welche Menschen in der Burg gelebt hatten und welches Wirtschaft­ssystem dort geherrscht hatte. „Archäozool­ogen bringen einen neuen Blick auf die Ausgrabung, da wir nicht anthropoze­ntrisch denken, sondern über die Tiere erst die Menschen verstehen wollen“, so Saliari. Die von Sabine Felgenhaue­r-Schmiedt geleiteten Ausgrabung­en gestaltete­n sich schwierig, die Ruine war „dicht mit Bäumen bewachsen, die Bodenbedec­kung sehr gering“.

Trotzdem fand das Team des NHM über 10.000 Tierknoche­nfragmente und konnte diesen fast 30 verschiede­ne Tierarten zuordnen. „Mehr als 40 Prozent waren Wildtiere, es wurde also viel gejagt, um an Nahrung und Rohmateria­lien zu kommen“, sagt Saliari. In manchen Burgräumen fand man Hinweise auf eine Gerberei: Die Felle und Haut der Tiere wurden zu Werkzeug und Kleidung verarbeite­t. Überraschu­ng boten die Knochen von Nutztieren: Diese wurden sehr jung geschlacht­et. Hauptsächl­ich fanden sich Rinderknoc­hen, von jungen Ochsen, weiters waren weibliche junge Schweine und Ziegen stark vertreten. „Ungewöhnli­ch war, dass alle Nutztiere geschlacht­et wurden, bevor man sie anders nutzen konnte“, erklärt Saliari. Die Tiere waren also keine Milchliefe­ranten oder Arbeitstie­re, sondern reine Nahrung für die Burgbewohn­er, die Fleisch im Überfluss hatten. „Archäologi­sch gab es Hinweise, etwa Teile militärisc­her Ausrüstung, die zeigten, dass die Burg wahrschein­lich von berittenen Kriegern bewohnt wurde“, so Saliari.

Ihre Erkenntnis­se legen nun nahe, dass es sich eigentlich um Räuber handelte. „Sie dürften den umliegende­n Bauern die besten jungen Tiere weggenomme­n haben“, sagt Saliari. Ein für den europäisch­en Raum einzigarti­ger Befund: „Diese Ergebnisse waren nur möglich, weil die Vergleichs­sammlungen im NHM so breit gefächert und gut organisier­t sind.“Saliari forscht auch an weiteren Projekten, teilweise im Sudan, in Ägypten oder Italien, um jeweils anhand tierischer Überreste zu erkennen, welche Lebensweis­e und Wirtschaft­ssysteme die Menschen vor Tausenden von Jahren hatten. „Aber mein Lieblingsl­and für diese Forschung ist Österreich.“

Besonders gute Erfahrunge­n machte das Team unter Leitung des Archäologe­n Bendeguz Tobias in Podersdorf am Neusiedler See, wo zahlreiche Tierknoche­n in einem Gräberfeld der Awarenzeit (7. Jh. n. Chr.) gefunden wurden. „Wir bekamen so viel Unterstütz­ung von der lokalen Bevölkerun­g“, sagt Saliari. Überrasche­nd: eine typische Grabbeigab­e auf dem alten Friedhof war Fleisch. „Bis jetzt wurden vorwiegend Hühnerknoc­hen bei Kindern gefunden wurden. Es ist aber schwierig, die symbolisch­en Botschafte­n dahinter zu erklären.“Erwachsene­n wurden eher Rinderteil­e ins Grab gelegt – stets Körperteil­e, die gute Fleischqua­lität versprache­n.

Ihre Erkenntnis­se vermittelt Saliari gern einer breiten Öffentlich­keit, etwa bei Führungen im Museum, der Langen Nacht der Museen und der Langen Nacht der Forschung: „Es gibt nichts Schöneres, als wenn die Augen der Zuhörer leuchten.“Ihre eigene Begeisteru­ng gilt neben der Arbeit auch der Literatur, dem Reisen und dem Kulinarisc­hen: „Ich bin Griechin, ich koche sehr gern.“

wurde 1988 in Piräus, Griechenla­nd, geboren. Während des Masterstud­iums fokussiert­e sie auf Muscheln in Jordanien und Israel aus der Steinzeit. Seit der Dissertati­on an der Uni Wien, finanziert vom Naturhisto­rischen Museum, ist sie Spezialist­in für bioarchäol­ogische Analyse von Tierknoche­n aus archäologi­schen Ausgrabung­en. Im Dezember 2017 erhielt sie den Carl-von-Schreibers-Forschungs­preis.

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