Glaube, Hoffnung, Trump
Donald Trumps treueste Anhänger werden von der weißen Arbeiterschaft gestellt, die im sogenannten Rust Belt lebt (daneben auch von Bewohnern verarmter ruraler Gebiete; die Landwirtschaft alten Stils ist in den USA seit Langem auf der Verliererstraße). Der Rust Belt umfasst Industriereviere, die einst florierten, nun aber desolat sind, die meisten seit 20 Jahren oder mehr. Auffällig ist, dass viele dieser Industrieviertel früher fest in demokratischer Hand waren. Wie kam es zu dem Wandel, der wahrlich extremen Wende?
Enttäuschung über das Versagen der über die Jahre gewählten und unterstützten Mandatare mag ein wichtiger Beweggrund sein. Der Mythos vom „Establishment“, der suggeriert, die gesamte politische Klasse in Washington sei verkommen und verrottet, mag diesen Beweggrund noch verstärkt haben. Dabei ist es der Wählerschaft gleichgültig – zumindest auf lange Sicht –, welche Widerstände den Vorhaben der von ihnen gewählten Mandatare entgegenstanden: Hilfe wurde versprochen; zuletzt kam sie nicht an, konnte nicht realisiert werden, alles blieb, wie es war, allein das zählt.
Enttäuschung ist ja gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie eine gewisse Laufzeit braucht, um zu einer Enttäuschung zu werden, die sozusagen tätig wird, sich nach Abhilfe umschaut. Dass im angesprochenen Fall nicht unwesentliche Veränderungen zum Besseren erreicht wurden – ich denke etwa an Obamacare –, wird dabei übergangen: Die große Enttäuschung kennt keine Differenzierung, sie färbt alles gleichmäßig, Hoffnungslosigkeit stellt sich ein. Es ist, als würde man in einem Zimmer, das man nach Möglichkeit wohnlich – zumindest wohnlicher – eingerichtet hat, langsam die Beleuchtung herunterdimmen: Nun ist es gleich, wie das Zimmer aussieht, wie es früher ausgesehen hat – finster, wie es jetzt ist.
Tatsächlich sind die Bewohner des Rust Belt von einem ehemals erträglichen oder sogar angenehmen Lebensniveau über längere Zeit allmählich abgerutscht. (Im Wesentlichen war es die boomende Industrie im Zweiten Weltkrieg, die die Arbeiter jener Reviere zu Kleinbürgern werden ließ.) Sie hatten diesem Prozess des Verlustes wenig bis nichts entgegenzusetzen. Die Vorstellung, das Gefühl, nicht Herr des eigenen Geschicks zu sein, gründet im Rust Belt auf tatsächlichen Defiziten. Für Bildung, gar höhere, ist meist kein Geld vorhanden. Dieser Mangel lässt Einsicht in die Mechanismen von Politik und Ökonomie kaum zu. Im Zusammenspiel mit einem Medienangebot, das ebendiese Wissensdefizite geschickt ausnutzt und vor allem auf bestehende Ressentiments setzt, entstehen so Hoffnungen.
Woher soll Selbstbewusstsein denn kommen, wenn man sich über Jahre als hilflos, als, wie man sagt, fremdbestimmt erleben musste? Diese Menschen sind abgehängt. Ganz im Gegensatz zum uramerikanischen Versprechen, aus jedem könnte doch etwas werden, aus eigener Kraft: Der Spalt, der diese Leute von den Wohlhabenden trennt, ist unüberwindbar, und das wissen sie. – Der Reflex des Gedemütigten geht dahin, das Geringe, über das er verfügen kann, zu bewahren. Gerade dies, das Letzte, will er nicht auch noch verlieren. Also wird er sich einem Versprechen gegenüber offen zeigen, das ihm das Seine garantiert und ihm nichts abverlangt. Er kann bleiben, wie er ist. Er muss sich nicht hervorwagen, sich nicht exponieren und auf keine Abenteuer einlassen. Die von ihm erkorene politische Führung wird es für ihn schon richten. Er sieht sich gleichsam auf eine Rolltreppe gestellt, die ihn nach oben befördert – gerade dorthin, wo er, wie ihm vorkommt, ja ohnehin schon einmal war.
Im Bild zu bleiben: Von der politischen Führung wird gleichzeitig versprochen, zwar nicht direkt, sondern gleichsam atmosphärisch, dass für den Betrieb dieser wundersamen Rolltreppe andere werden herhalten müssen. Die Existenz dieser anderen ist konstitutiv: Sie sind schuld am schlechten Funktionieren der gesellschaftlich-ökonomischen Maschinerie, insbesondere am schlechten Abschneiden der angesprochenen Gruppen.
Unter Trump wurde und wird versucht, Obamacare abzuschaffen, was für Millionen gerade seiner Wähler bedeuten würde, ihren Versicherungsschutz zu verlieren. Die geplante Steuerreform wieder, wie von Fachleuten zu hören ist, würde wohl die Reichen
Qbegünstigen, Mittelstand und Unterschicht hart treffen. Wallstreet hat Trump mit weitgehender Abschaffung bestehender Regulierungen auf seine Seite gebracht, die Deregulierung bedeutet eine gravierende Verschlechterung für die Konsumenten.
Im Gegenzug bietet Trump vor allem Sicherheit an. Aus bestimmten Ländern darf nicht eingereist werden. Ausländern ohne Papiere droht Abschiebung. Die Polizei soll härter im Fall von Verdachtsmomenten vorgehen. Die berühmte Mauer ist in Vorbereitung, was bürokratische Prozeduren und Erschwernisse betrifft, wird unermüdlich daran gearbeitet. Gerade die Härte und Unversöhnlichkeit von Trumps Position dürfte seinen Wählern imponieren: Endlich einmal konnten auch sie zeigen, was in ihnen steckt – durch bloße Stimmabgabe.
Was Trump propagiert, ist das Angebot einer sicheren Heimat. Der Inhalt des Begriffs definiert sich über Ausschließung. Trumps Heimat gibt dir das großartige Gefühl, dass du allein dadurch, dass du Amerikaner bist, schon – ja, was? Geadelt bist. Herausgehoben. Etwas Besonderes. Allein dadurch, dass du (weißer) Amerikaner bist, hast du Ansprüche, hast du Verdienst, auf das du pochen kannst. Endlich einmal wirst du fair behandelt. – Freilich spricht Trump unter dem Stichwort America first! von Ankurbelung der Wirtschaft, der Neuverhandlung von Wirtschaftsverträgen, die für die USA angeblich ungünstig sind – Maßnahmen, die Arbeit und damit Wohlstand für die Amerikaner schaffen sollen. Ironischerweise erleben die USA gerade jetzt eine Phase des Aufschwungs, der sich aber nicht den Maßnahmen der Regierung Trump verdankt, sondern dem kapitalistischen Zyklus. Überhaupt sind die Vorstellungen, die Trump in puncto Wirtschaft hegt, kaum geeignet, die gegenüber seinen Wählern propagierten Ziele zu erreichen, ja, negative Effekte sind nicht auszuschließen.
Bleibt die Frage: Weshalb sind Figuren wie Donald Trump auch für Wähler attraktiv, die keineswegs verelendet sind, denen es gut, zumindest einigermaßen gut geht? Die Antwort auf diese Frage fällt schwer: weil sie uns eine Korrektur, eine Retusche in der Hinsicht abverlangt, dass, gelingt es, ein Szenario der Bedrohung, des drohenden Verlustes, der Benachteiligung und Hintanstellung zu schaffen, auch Leute, die objektiv nichts zu fürchten haben, dazu tendieren beziehungsweise tendieren können, geradezu in Vorwegnahme realer Gefahren Zustimmung zu Sicherheitsmaßnahmen zu geben, mögen sie verfasst sein wie auch immer. Ein bedenklicher Befund. Was können wir dagegen tun?