Brandblasen auf meinen Worten
Wissen Sie, was „tulros“ist oder was „tulrosen“sind? Nein – ja? Stachelige Rose und prächtige Tulpe in einem und deswegen auch Produktionsanlass für das gleichnamige Gedicht in Gerlinde Weinmüllers Textsammlung namens „liebes.länglich“. Nicht nur an die 90 Gedichte, besser sprachliche Miniaturen, umfasst diese Sammlung, sondern auch eine Reihe von eigenständigen Fotokreationen von Florian Herzog, die – die Sprache beim Wort nehmend – daraus meist verschmitzt neue optische Eindrücke schaffen: etwa „Eischläger“, „Handschuheuter“, „Mondbrot“, „Nylonfänger“.
Nur das künstlerische Verfahren verbindet den Fotokünstler mit der Sprachkünstlerin, aber nicht die oft ins Existenzielle und manchmal ins schmerzlich Dunkle, insbesondere von Liebesbeziehungen reichenden Kreationen jener Miniaturen aus dem wortverspielten Schatzkästchen der Autorin: „doch die tulpen fahren / dornen aus“, heißt es zum Beispiel, „und in den blüten meiner rosen / sammeln sich die tropfen / einer hingerichteten liebe“. Das mag man bloß als luftig-leichtes Sprachspiel nehmen, aber Weinmüllers konzentrierte, gemäßigt experimentierende Verse zielen auf mehr.
Kürze, Verknappung, Verfremdung, also Wahrnehmungsstörung zwecks gezielter Aufmerksamkeitserregung haben es ihr angetan. Es ist, als ob sie die vor exakt 100 Jah- ren als revolutionär erachteten ästhetischen Theorien der russischen Formalisten, etwa eines Viktor Sklovskij,ˇ verinnerlicht hätte, wonach die „dichterische Sprache“darin bestünde, dass alltägliche Begriffe einem vielfältigen Verfahren des Verfremdens ausgesetzt werden mögen, um vorstrukturiertes, automatisiertes Wahrnehmen zu brechen und neu sehen zu lernen.
Weinmüller hat sich bei all jenen einen Namen gemacht, die die überraschende Wendung, das fein ziselierte und das spielerische Umgehen mit allen Dimensionen der Sprache, auch mit orthografischen Andeutungen, aber insbesondere mit zusammengesetzten Wörtern, mit gewitzten Neologismen, fortgesponnener Bildlichkeit und die
Qsich daraus ergebende Lust an überraschenden Pointen schätzen und lieben. In „nachtbrühten“etwa hat zuerst der Wind die Wolken steif geschlagen, so wie mit einem heiß gehenden Quirl Eidotter und Eiklar aufgerührt werden, dann sitzt konsequenterweise der Mond im Himmelsschnee und erscheint wie ein Dottersack, „zum Platzen voll“: „bald schon schlüpft ein / traum“– „brüten“? „brühten“? Aber meist begnügt sich die Autorin nicht mit dieser bloß spielerischen Freude an den semantischen Potenzialen der Wörter, an ihren nicht kodifizierten oder ihren an andere Wörter grenzenden Bedeutungen und damit am bloß Überraschenden, sondern versteht es, mit solchen Wörtern und ihren Bedeutungshöfen assoziativ zu hantieren, die schließlich in etwas Substanzielles münden: „verschlüsselt / wir schließen die fächer / wir binden die schlüssel / wir sperren die stunde / schließendlich / entschlüsseln wir uns“.
Zwei große Themenbereiche sind es, die „liebes.länglich“prägen: die schöpferische Sprachkraft – „als kind hatte ich / seifenblasen im kopf // jetzt habe ich / brandblasen / auf meinen worten“– und die verschiedenen Aspekte von Liebesbeziehungen: Angst vor Trennung, Verlassenheit, Verlustschmerz, Sehnsucht und Glücksträume, Verweigerung, Abstandnehmen, Abschied, Enttäuschung, Endgültigkeit: liebes.länglich, also „trauerflor“, „heimsucht nach dir“und „ich / bin / eine fahne / im wind der beziehungen“. Am Ende des schmalen, feinen Bändchens steht die nüchtern-schmerzvolle Erkenntnis: „was bleibt / willst du wissen // vor allem aber die gewissheit / es war“.