Springen, tanzen, sich im Schnee wälzen
Das kunterbunte Faschingstreiben – der Masopust – in Ostböhmen bringt Farbe in das Winterweiß. Mit echten Strohmännern, lästermauligen Stuten und urtümlichen Traditionen.
Tapfer trabt die weiße Stute durch die winterliche Landschaft, verziert mit filigraner Filethäkelei, einem kleinen Glöckchen und rot-weiß-blauen Bommeln, die lustig im Wind flattern. Gemeinsam mit der gutbürgerlich aufgeputzten „Frau“, hinter deren adretter Maske sich wie beim Pferd ein Mann verbirgt, führen die beiden den legendären Masopust (Karnevalsumzug) in Vortova´ an. Die braune Stute hinkt etwas angeschlagen hintennach. Die großzügigen Spenden an Krapfen, Schnaps und fett belegten Broten erweisen sich zwar als gut für die Stimmung, aber doch eher schlecht für den Gleichgewichtssinn. Doch wer strauchelt, nimmt’s gelassen.
Überall wälzen sich die kunstvoll kostümierten Maskenmänner gemeinsam mit den Zusehern auf den verschneiten Wiesen. „Rolling in the snow makes us happy“, verkündet eine der dick vermummten Zuseherinnen und klopft sich begeistert die weiße Pracht von der Kleidung. Ganz sauber bleibt man bei diesem historisch einzigartigen Maskentreiben ohnedies nicht, denn die Rauchfangkehrer verteilen großzügig dicke schwarze Striche aus Ofenruß auf den Gesichtern der Umstehenden. Und die rundum mit Bildern nackter Frauen verzierten, meterhohen Hüte der sogenannten Türken entsprechen auch nicht dem moralischen Reinheitsgebot. Doch wer hier auf schmutzige Gedanken kommt, irrt. Die Anzüglichkeiten haben bereits eine 200-jährige Tradition und verweisen allein auf den Junggesellenstatus der Türken.
Wandelnde Heuhaufen
Die Kostüme beim legendären ostböhmischen Masopust sind in zwei Gruppen, die Roten und die Schwarzen, unterteilt. Rot sind die ledigen, schwarz die verheirateten Männer. Und allen ist eine Aufgabe zugeteilt. So müssen die Türken vor jedem einzelnen Haus das Tanzbein schwingen und dabei in die Luft springen. Je höher, desto besser, denn ebenso hoch wird auch das Getreide wachsen. Weniger sportlich, aber ebenso wichtig für ein fruchtbares Jahr sind die Strohmänner, die aussehen wie wandelnde Heuhaufen mit pechschwarzem Gesicht und weißem Spitzenkragen. Bäuerinnen rupfen unermüdlich an deren Kostümen, um ein paar glücksbringende Halme für das heimische Kleinvieh zu ergattern. Was nicht ohne großes Geschnatter abgeht.
Derweil zieht der bizarre Zug, flankiert von Trommlern, Blechbläsern und begeistertem Publikum, von Haus zu Haus. Beinahe drei Stunden dauert das mittlerweile zum immateriellen Kulturerbe der Unesco erhobene Spektakel an, bevor es den lästernden Stuten an ihren üppig behangenen Hals geht. Unter allgemeiner Erheiterung treibt der Schinder die als Pferde verkleideten Männer zum furiosen Finale zusammen und liest ihnen das dörfliche Sün- denregister vor, danach werden die lasterhaften Tiere symbolisch geschlachtet. Im Unterschied zum echten Leben endet das Schlachtfest ganz unblutig, dafür mit viel Alkohol, ausgelassener Stimmung und der Auferstehung der Pferdemenschen. Nun kann der unschuldige Frühling Einzug halten.
Friedvoll, still und idyllisch liegt sie da, die waldreiche Naturlandschaft rund um Hlinsko und Pardubice. Dazu gesellen sich ein paar architektonische Juwelen wie der kleine Ortsteil Betlem´ Hlinskoder, der durch archaisch anmutende, denkmalgeschützte Holzbauten aus dem 18. Jahrhundert fasziniert, während die große Kreisstadt Pardubice mit ihren Renaissancebauten rund um den riesigen Hauptplatz prunkt.
Zur Hölle mit den Ostböhmen
Dennoch, mancherorts trügen diese himmlischen Aussichten, und schon findet man sich in der Hölle wieder. Etwa in der Peklo Cˇertovina von Hlinsko, einem schaurig baufälligen Gebäude, das einem umgedrehten Schiff gleicht, und dessen Unterwelt sich zwölf Meter tief ins Erdinnere erstreckt. Nur zu leicht geht man in diesem teuflischen Labyrinth aus Treppen, Höhlen und schaurigen Ecken verloren. Hier brodelt ein riesiger Kessel für die armen verlorenen Sünder, dort treiben diabolische Gesellen ihr Unwesen, und überall Feuer und Rauch – nicht nur zur Faschingszeit.