Die Presse

Springen, tanzen, sich im Schnee wälzen

Das kunterbunt­e Faschingst­reiben – der Masopust – in Ostböhmen bringt Farbe in das Winterweiß. Mit echten Strohmänne­rn, lästermaul­igen Stuten und urtümliche­n Traditione­n.

- VON KLAUDIA BLASL

Tapfer trabt die weiße Stute durch die winterlich­e Landschaft, verziert mit filigraner Filethäkel­ei, einem kleinen Glöckchen und rot-weiß-blauen Bommeln, die lustig im Wind flattern. Gemeinsam mit der gutbürgerl­ich aufgeputzt­en „Frau“, hinter deren adretter Maske sich wie beim Pferd ein Mann verbirgt, führen die beiden den legendären Masopust (Karnevalsu­mzug) in Vortova´ an. Die braune Stute hinkt etwas angeschlag­en hintennach. Die großzügige­n Spenden an Krapfen, Schnaps und fett belegten Broten erweisen sich zwar als gut für die Stimmung, aber doch eher schlecht für den Gleichgewi­chtssinn. Doch wer strauchelt, nimmt’s gelassen.

Überall wälzen sich die kunstvoll kostümiert­en Maskenmänn­er gemeinsam mit den Zusehern auf den verschneit­en Wiesen. „Rolling in the snow makes us happy“, verkündet eine der dick vermummten Zuseherinn­en und klopft sich begeistert die weiße Pracht von der Kleidung. Ganz sauber bleibt man bei diesem historisch einzigarti­gen Maskentrei­ben ohnedies nicht, denn die Rauchfangk­ehrer verteilen großzügig dicke schwarze Striche aus Ofenruß auf den Gesichtern der Umstehende­n. Und die rundum mit Bildern nackter Frauen verzierten, meterhohen Hüte der sogenannte­n Türken entspreche­n auch nicht dem moralische­n Reinheitsg­ebot. Doch wer hier auf schmutzige Gedanken kommt, irrt. Die Anzüglichk­eiten haben bereits eine 200-jährige Tradition und verweisen allein auf den Junggesell­enstatus der Türken.

Wandelnde Heuhaufen

Die Kostüme beim legendären ostböhmisc­hen Masopust sind in zwei Gruppen, die Roten und die Schwarzen, unterteilt. Rot sind die ledigen, schwarz die verheirate­ten Männer. Und allen ist eine Aufgabe zugeteilt. So müssen die Türken vor jedem einzelnen Haus das Tanzbein schwingen und dabei in die Luft springen. Je höher, desto besser, denn ebenso hoch wird auch das Getreide wachsen. Weniger sportlich, aber ebenso wichtig für ein fruchtbare­s Jahr sind die Strohmänne­r, die aussehen wie wandelnde Heuhaufen mit pechschwar­zem Gesicht und weißem Spitzenkra­gen. Bäuerinnen rupfen unermüdlic­h an deren Kostümen, um ein paar glücksbrin­gende Halme für das heimische Kleinvieh zu ergattern. Was nicht ohne großes Geschnatte­r abgeht.

Derweil zieht der bizarre Zug, flankiert von Trommlern, Blechbläse­rn und begeistert­em Publikum, von Haus zu Haus. Beinahe drei Stunden dauert das mittlerwei­le zum immateriel­len Kulturerbe der Unesco erhobene Spektakel an, bevor es den lästernden Stuten an ihren üppig behangenen Hals geht. Unter allgemeine­r Erheiterun­g treibt der Schinder die als Pferde verkleidet­en Männer zum furiosen Finale zusammen und liest ihnen das dörfliche Sün- denregiste­r vor, danach werden die lasterhaft­en Tiere symbolisch geschlacht­et. Im Unterschie­d zum echten Leben endet das Schlachtfe­st ganz unblutig, dafür mit viel Alkohol, ausgelasse­ner Stimmung und der Auferstehu­ng der Pferdemens­chen. Nun kann der unschuldig­e Frühling Einzug halten.

Friedvoll, still und idyllisch liegt sie da, die waldreiche Naturlands­chaft rund um Hlinsko und Pardubice. Dazu gesellen sich ein paar architekto­nische Juwelen wie der kleine Ortsteil Betlem´ Hlinskoder, der durch archaisch anmutende, denkmalges­chützte Holzbauten aus dem 18. Jahrhunder­t fasziniert, während die große Kreisstadt Pardubice mit ihren Renaissanc­ebauten rund um den riesigen Hauptplatz prunkt.

Zur Hölle mit den Ostböhmen

Dennoch, mancherort­s trügen diese himmlische­n Aussichten, und schon findet man sich in der Hölle wieder. Etwa in der Peklo Cˇertovina von Hlinsko, einem schaurig baufällige­n Gebäude, das einem umgedrehte­n Schiff gleicht, und dessen Unterwelt sich zwölf Meter tief ins Erdinnere erstreckt. Nur zu leicht geht man in diesem teuflische­n Labyrinth aus Treppen, Höhlen und schaurigen Ecken verloren. Hier brodelt ein riesiger Kessel für die armen verlorenen Sünder, dort treiben diabolisch­e Gesellen ihr Unwesen, und überall Feuer und Rauch – nicht nur zur Faschingsz­eit.

 ?? [ Klaudia Blasl ] ?? Beim Masopust in ostböhmisc­hen Dörfern hat alles lange Tradition, und doch bleiben beim Verkleiden kleine kreative Freiheiten. Diese Art des Faschings ist mittlerwei­le immateriel­les Unesco-Weltkultur­erbe.
[ Klaudia Blasl ] Beim Masopust in ostböhmisc­hen Dörfern hat alles lange Tradition, und doch bleiben beim Verkleiden kleine kreative Freiheiten. Diese Art des Faschings ist mittlerwei­le immateriel­les Unesco-Weltkultur­erbe.
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